Stand: 14.06.16 14:35 Uhr

EM-Krawalle in Marseille: Hooligans filmen sich selbst

von Andrej Reisin
Russische Hooligans in Marseille.

Pure Gewalt: Szene aus dem Video.

Russische Hooligans haben sich bei ihrem Angriff auf englische Fans während der Europameisterschaft in Marseille selbst gefilmt. Auf YouTube existiert ein Video (Achtung: verstörende Szenen), das mit einer sogenannten Action-Kamera am Körper eines der Täter gedreht wurde. Das geschnittene Video, das zudem stark mit Zeitraffer-Effekten arbeitet, zeigt in gut sechs Minuten, wie eine Gruppe russischer Hooligans offenbar weitgehend unbehelligt von Polizei und Sicherheitskräften durch die Marseiller Innenstadt rund um den Hafen zieht - und mehr oder weniger auf alles einschlägt, was ihnen in die Quere kommt. Mehrfach werden Opfer zu Boden gebracht und gnadenlos zusammengeschlagen. Auch Stühle, Tische, Mülleimer und anderes herumliegende Gegenstände werden als Waffen eingesetzt. Mehrfach agiert der filmende Täter an vorderster Front und beteiligt sich an Schlägereien.

Überall dabei: Der "Mann mit Hut"

Gut zu erkennen ist außerdem, dass es sich bei der Gruppe um eine offenbar organisiert vorgehende Schlägertruppe handelt. Weder wirken die Angreifer betrunken, noch entsteht ihre Gewalt spontan aus Kneipenschlägereien oder Ähnlichem. Gezielt laufen sie auf der Suche nach Gegnern, beziehungsweise Opfern durch die Straßen, einzelne Szenen lassen zum Teil auf geübte Kampfsportler schließen. Auffällig zudem: Einer der Täter ist der "Mann mit dem Hut", der laut ARD auch maßgeblich an der lebensgefährlichen Verletzung eines englischen Fans beteiligt war: Der Mann, der anhand seiner Kleidung gut wiederzuerkennen ist, agiert offenbar auch im Hooligan-Video die meiste Zeit in vorderster Reihe.

Russischer Politiker: "Weiter so!"

Bemerkenswert an dem Video ist das offenbar fehlende Unrechtsbewußtsein der Täter, womit sie nicht allein sind. Auch der russische Parlaments-Vizepräsident Igor Lebedew hat die Fanausschreitungen von Marseille verteidigt. "Ich kann nichts Schlimmes an kämpfenden Fans finden. Im Gegenteil, gut gemacht Jungs. Weiter so!", schrieb der Politiker der nationalistischen Liberaldemokraten laut Süddeutscher Zeitung am Montag auf Twitter.

150 Randalierer - keine Festnahmen

Russische Hooligans in Marseille.

Hier in der Bildmitte: einer der mutmaßlichen Haupttäter mit weißem T-Shirt und auffälligem Fischerhut.

Gestern gab der Polizeipräfekt von Marseille auf einer Pressekonferenz an, dass ca. 150 russische Hooligans in der südfranzösischen Hafenstadt gewütet hatten, es der Polizei aber nicht gelungen war, auch nur einen einzigen festzunehmen: In einem Interview mit der französischen Nachrichtenagentur AFP erklärte ein russischer Hooligan, der sich Vladimir nennt und nach eigenen Angaben an den Auseinandersetzungen beteiligt gewesen sein soll, er habe den Eindruck gewonnen, dass die französische Polizei sich die Krawalle "interessiert angeschaut" und erst "im letzten Moment eingegriffen" habe.

UEFA verurteilt Russland

Die UEFA hat Russland wegen der Ausschreitungen im Stadion von Marseille mit einer Geldstrafe in Höhe von 150.000 Euro belegt - und zudem einen Turnierausschluss auf Bewährung verhängt. Im Wiederholungsfall müsste die russische Mannschaft damit sofort nach Hause fahren. Die Disqualifikation auf Bewährung gilt für die gesamte restliche Dauer der EM. Russland spielt am Mittwoch in Lille gegen die Slowakei, Deutschland trifft am Donnerstag in Stade de France bei Paris auf Polen. Beide Partien gelten als Risikospiele mit erhöhtem Sicherheitsbedarf.

Sorge um weitere Gruppenspiele

Nachdem es auch in Lille und Nizza zu Auseinandersetzungen gekommen war, wirft all dies ein schlechtes Licht auf die Organisation und die Sicherheit an den Spielorten und in den Stadien. In Lille hatten deutsche Hooligans mit Reichskriegsflagge posiert und ukrainische Fans angegriffen, in Nizza waren Polen und Nordiren aufeinander losgegangen, wobei zuvor auch Anhänger des lokalen Fußballvereins beteiligt gewesen sein sollen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 13.06.2016 | 17:08 Uhr