Todeszone Gaza: Waffen aus Deutschland (Manuskript)

von Stefan Buchen

Panorama v. 18.04.2024

Anmoderation Anja Reschke: "Gestern war Außenministerin Annalena Baerbock in Israel - wieder einmal. Und mahnte - wieder einmal. Wie auch schon so viele andere vor ihr. Ob nun angesichts der jüngsten Angriffe des Irans oder der Angriffe der Hamas - an beschwichtigen Worten, die Netanjahu und die israelische Regierung bei ihrer Reaktion zur Besonnenheit, zur Vermeidung einer „Eskalationsspirale“ bringen sollen, gibt es keinen Mangel. Nur, so richtig Wirkung scheinen sie nicht zu entfalten. Vielleicht wäre es Zeit für die nächste Warnstufe. Andere Länder haben die Waffenlieferungen an Israel angesichts der Zerstörung des Gazastreifens eingestellt. Doch die größten Lieferanten, die USA und Deutschland, liefern weiter. Stefan Buchen."

"Wo wurde ich da hineingeritten?", mag Bundeskanzler Olaf Scholz sich denken. Israels Premier Netanjahu galt doch als demokratischer Wertepartner, als Bollwerk gegen den Terrorismus. Und jetzt: nach mehr als sechs Monaten Krieg ist da ein Trümmerhaufen übrig, Gaza eine Ruinenlandschaft geschaffen, wie die Recherche zeigt, auch mit deutschen Waffen. Der 7. Oktober. Die militante palästinensische Hamas richtet in Israel ein Massaker an, entführt hunderte Geiseln. Die Reaktion von Scholz: bedingungslose Unterstützung der Regierung Netanjahu, auch mit Waffen.

O-Ton Olaf Scholz, SPD Bundeskanzler, 12.10.2023, Regierungserklärung: "Unsere Solidarität erschöpft sich nicht in Worten. Ich habe Premierminister Netanjahu gebeten, in engem Kontakt zu bleiben und uns über jeglichen Unterstützungsbedarf zu informieren. Das gilt z.B. für die Versorgung Verwundeter. Aber auch andere Unterstützungsbitten Israels werden wir unverzüglich prüfen und auch gewähren."

Der Vergeltungsschlag gegen die Hamas. Die Bundesregierung steht hinter dem Feldzug in Gaza. Ihre Begründung: Das Recht auf Selbstverteidigung. Sind auch deutsche Waffen im Einsatz? Ein Video der israelischen Armee. Im eingeblendeten Text heißt es: Erster Kriegseinsatz der Korvette Sa´ar 6. Das Schiff wurde in Kiel gebaut, von Thyssen-Krupp. Stolz dokumentiert hier die israelische Armee, wie die Korvette aus Deutschland Gaza beschießt. Die Bundesregierung hat schon immer Waffen und Rüstungsgüter an Israel geliefert. Aber nach dem 7. Oktober schnellten die Exportgenehmigungen in die Höhe. Diese Liste des Bundestages zeigt, welche Waffenkategorien 2023 genehmigt wurden. Gesamtwert dieser Rüstungsexporte nach Israel: 326 Millionen Euro. Informationen, die auf Anfrage der Abgeordneten Sevim Dagdelen an die Bundesregierung herauskamen. Sie zieht daraus einen klaren Schluss.

O-Ton Sevim Dagdelen, BSW Bundestagsabgeordnete: "Nach dem furchtbaren Angriff der Hamas hat die Bundesregierung die Waffenexporte immens gesteigert an Israel. Wir haben eine Verzehnfachung der Waffenexporte. Das deutet darauf hin, dass nicht lange nachgedacht wurde, nicht lange geprüft wurde, sondern sofort und unmittelbar die Genehmigung erteilt wurde."

Das Angebot der deutschen Rüstungsgüter ist breit. Viele Panzer in Israel fahren mit deutschen Dieselmotoren, German diesel engines, für den Markava-4-Panzer. Nach den USA ist Deutschland der zweitwichtigste Rüstungslieferant, wie Andreas Krieg vom renommierten King’s College in London weiß. Der Militärexperte berät auch die britische Regierung.

O-Ton Andreas Krieg, Militärexperte, King’s College London: "Das Rückgrat der deutsch-israelischen Beziehungen ist die Sicherheitskooperation. Wenn man sich die Marine anguckt, die israelische, da sind immer noch deutsche Schiffe, Korvetten, ein großer und wichtiger Bestandteil. Wenn man sich die Komponenten der einzelnen Waffensysteme anguckt, dann sieht man immer wieder mittelständische deutsche Unternehmen, die da Israel unterstützen. Bei Panzermotoren usw."

Auch bei Schulterwaffen. Diese hier wird im Siegerland gebaut. Das Werbevideo des Herstellers demonstriert martialisch, wofür sich die Panzerfaust RGW90, auch Matador genannt, besonders gut eignet: für den Gebäudekampf.

O-Ton Andreas Krieg, Militärexperte, King’s College London: "Der Matador ist ein interessantes Einzelsystem, weil es wirklich aus Deutschland geliefert wird und in dem urbanen Krieg, den wir jetzt in Gaza sehen, auch eine wichtige Rolle spielt."

Diese Panzerfaust sieht der aus dem Siegerland verdammt ähnlich. Wir haben dem Hersteller die Filme vorgelegt - keine Auskunft. Offenkundig ist es der Matador. Dieses Video haben israelische Soldaten offenbar selbst ins Netz gestellt, Musik inklusive. Die Bundesregierung räumt ein: 2023 hat sie die Lieferung von 3.000 Stück nach der Nummer 37 der Kriegswaffenliste genehmigt. Auf deutsch: 3000 Panzerfäuste wie der Matador.

O-Ton Andreas Krieg, Militärexperte, King’s College London: "Das ist kein indirekter Eingriff in den Krieg, sondern ein relativ direkter Eingriff in den Krieg und da müsste zumindest Deutschland, die Bundesregierung, Fragen stellen: inwiefern wird der Matador eingesetzt, wo wird er genutzt? Und warum wird er genutzt und welche klaren Regeln gibt es für Soldaten, wenn sie den nutzen?"

Die Bundesregierung sagt: sie habe keine Kenntnis, ob und wie deutsche Waffen im Gaza-Krieg eingesetzt werden. Kein Wissen, keine Mitverantwortung, so offenbar die Linie von Scholz, selbst dann noch, als Berichte über den Feldzug und die vielen zivilen Opfer in jeder Zeitung stehen.

O-Ton Olaf Scholz, SPD Bundeskanzler, 26.10.2023: "Israel ist ein demokratischer Staat mit sehr humanitären Prinzipien, die ihn leiten. Und deshalb kann man sicher sein, dass die israelische Armee auch bei dem, was sie macht, die Regeln beachten wird, die sich aus dem Völkerrecht ergeben. Da habe ich keinen Zweifel."

Andere schon. Die israelische Armee hat inzwischen große Teile des dicht besiedelten Gazastreifens in einen Trümmerhaufen verwandelt. Ist es ein Krieg gegen die Hamas, oder gegen Gaza insgesamt? Die Luftwaffe fliegt Tausende Angriffe. Wie werden die Ziele ausgewählt? Militärexperte Krieg hält Berichte für zutreffend, wonach die Zielauswahl hochautomatisiert ist. Also von Computern gesteuert wird.

O-Ton Andreas Krieg, Militärexperte, King’s College London: "So was hat es in der Kriegsführung noch nicht gegeben auf operationeller und strategischer Ebene, wo alle verschiedenen Datenflüsse zusammenlaufen und wo ein Computer nachher entscheidet, ob ein Ziel zu zerstören ist oder nicht, da werden ganz einfache Nummernspiele gespielt, wo gesagt wird: dieses Ziel ist 25 tote Zivilisten wert. Und der Computer sagt: angreifen. Das hat zu einer enormen Zerstörung geführt aber auch zu enorm hohen Opferzahlen. Weil man eben Opfer in Kauf genommen hat. Vor allem Frauen und Kinder."

Die Ziele werden vom Computer ausgewählt. Aber die Bomben, die dann auf die Ziele abgeworfen werden, sind eher nicht so intelligent. Die Bomben stammen nicht aus Deutschland, sondern aus Amerika und sind, auch weil es billiger ist, häufig dumm.

O-Ton Andreas Krieg, Militärexperte, King’s College London: "Die israelische Armee hat sehr viele sogenannte dumb bombs benutzt. Also dumme Bomben, die nicht durch Laser oder GPS geleitet werden, d.h. die werden einfach vom Flugzeug losgelassen. Man weiß nicht genau, wo sie dann ankommen. Diese dumb bombs haben einen Sprengkopf, der bis zu 2000 Pfund schwer ist. Man benutzt solche Sprengkraft nicht in einem urbanen Kontext.

Panorama: "Aber sie haben es ja gemacht, sie haben es ja benutzt in einem urbanen Kontext."

O-Ton Andreas Krieg, Militärexperte, King’s College London: "Genau. Und das ist ein Kriegsverbrechen."

Ein harter Vorwurf. Aber Anhaltspunkte dafür häufen sich. Dieses Video zeigt offenbar, wie Menschen in Gaza aus der Luft getötet werden. Die israelische Armee sagt dazu, es könnten Terroristen gewesen sein. Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, die in ihren Autos getötet werden. Netanjahu sagt, das passiere nun mal im Krieg. Die Einsatzdetails sind meist unklar, aber unstrittig ist: Auch Deutsche Waffen sind im Gaza-Krieg mit dabei.

O-Ton Aref Hajjaj, Auswärtiges Amt, 1972 – 2003: "Angesichts der Tatsache, dass die Deutschen offiziell Waffen liefern an Israel, sehe ich eine Mitschuld der deutschen Politik an dieser fatalen Lage in Gaza."

Aref Hajjaj ist gebürtiger Palästinenser und Gegner der Hamas. An seinen Vorträgen in Deutschland sind viele interessiert. Denn er kennt die deutsche Nahostpolitik. Er war mehr als 30 Jahre Berater und Arabisch-Übersetzer im Auswärtigen Amt, beriet Genscher, Schmidt und Kohl. Im Vergleich zu diesen hätten die heute Regierenden an Mut und Klarheit eingebüßt, meint Hajjaj.

O-Ton Aref Hajjaj, Auswärtiges Amt, 1972 – 2003: "Jeder Mensch, der halbwegs rational agiert, hätte erwarten müssen, dass die Deutschen jetzt in dieser Phase die Waffenlieferungen an Israel eingestellt hätten. Aber das haben sie nicht getan. Die liefern weiter Waffen."

O-Ton Andreas Krieg, Militärexperte, King’s College London: "Alle, die an Israel liefern, alle, die die israelische Armee unterstützen, vor allem materiell und finanziell unterstützen, haben eine Mitverantwortung, wie diese Waffensysteme, wie diese Unterstützung am Boden benutzt wird. Diese Verantwortung, da kann sich Deutschland nicht von freisprechen."

O-Ton Aref Hajjaj, Auswärtiges Amt, 1972 – 2003: "Die Deutschen müssen auch mit ihren Freunden, und Israel zählt zu den besten Freunden Deutschlands, müssen sie endlich Tacheles reden. Aber wenn man keinen Mut hat, dann redet man um den heißen Brei herum. Das hilft weder den deutschen Interessen noch hilft das den israelischen Interessen."

Verantwortung? Mitschuld? Die Bundesregierung liefert weiter Waffen und sagt, dass sie von Israel die Einhaltung des Völkerrechts erwarte. Unangenehm ist Olaf Scholz die Sache inzwischen wohl schon. Das zeigt er bei seinem jüngsten Treffen mit Netanjahu. Aber der kanzelt ihn einfach ab.

O-Ton Olaf Scholz, SPD Bundeskanzler: "Je länger der Krieg dauert, und je mehr die Zahl der zivilen Opfer steigt, je verzweifelter die Lage der Menschen in Gaza wird, desto dringender wird die Frage: Kann der wichtige Zweck so hohe Kosten rechtfertigen?"

O-Ton Benjamin Netanjahu, Premierminister Israel: "Wir waren immer geleitet von dem Gedanken, zivile Opfer zu verringern. Und das werden wir auch künftig tun. Danke, Herr Bundeskanzler."

Bericht: Stefan Buchen
Kamera: Torsten Lapp
Schnitt: Bettina Behrens, Stephan Sautter, Rainer Wolf

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Das Erste 18.04.2024 | 21:45 Uhr