Stand: 24.08.23 18:00 Uhr

Über 600 Tote: EU kümmert sich nicht um Aufklärung

von A. Ghassim, G. Christides und S. Tadmory

Hunderte Menschen sind gestorben. Noch immer - mehr als zwei Monate nach der schwerwiegendsten Schiffskatastrophe im Mittelmeer der letzten zehn Jahre - ist unklar, was genau passiert ist. Die Kritik an der mangelhaften Aufarbeitung durch die griechischen Behörden nimmt zu.

Über 600 Tote: EU kümmert sich nicht um Aufklärung
Im Juni gab es ein Schiffsunglück mit hunderten Toten vor Griechenland. Die Schuldfrage ist noch nicht aufgeklärt.

Strittig ist insbesondere, warum das Flüchtlingsschiff am 14. Juni unterging. Mehrere Überlebende machen die griechische Küstenwache und ihren angeblichen Abschleppversuch mit einem Seil für die Katastrophe verantwortlich. Die griechische Küstenwache bestreitet jedoch, den Fischkutter mit einem Seil gezogen zu haben. Daher kommt weiteren Beweismitteln besondere Bedeutung zu.

Beweismittel Mobiltelefone

Wichtig könnten etwa mit Mobiltelefonen gedrehte Videos kurz vor dem Untergang sein. Zahlreiche Überlebende hatten dem ARD-Politikmagazin Panorama und internationalen Medienpartnern berichtet, dass ihre Handys, mit denen sie an Bord gefilmt hatten, durch die Küstenwache konfisziert worden seien.

Überlebende Flüchtlinge eines Schiffsunglücks vor Griechenland sitzen in einer Halle auf dem Boden. © picture alliance / AA | Costas Baltas

Überlebende forderten die Rückgabe ihrer Handys samt möglichem Beweismaterials.

Die griechischen Behörden bestritten zunächst wochenlang, dass es überhaupt Handys von Überlebenden samt möglichem Beweismaterial gebe. Einige Überlebende forderten trotzdem mithilfe von Anwälten die Rückgabe ihrer Handys.

Und knapp zwei Monate später sind laut griechischen Medien nun doch 20 Mobiltelefone von Überlebenden aufgetaucht: Im Büro der Küstenwache auf der griechischen Insel Kythira, die keinen Bezug zu der Katastrophe hat. Die aufgenommenen Videos bleiben allerdings für die Öffentlichkeit weiter unbekannt.

Mangelhafte Untersuchung

Neben den Daten der Mobiltelefone fehlt weiteres mögliches Beweismaterial. So gibt es weder Aufnahmen der Überwachungskamera des Küstenwachen-Schiffs noch eine Tonaufnahme der Kommunikation der Küstenwache mit der zuständigen Zentrale in Athen.

Im Ermittlungsverfahren des zuständigen Marine-Gerichts wurde bisher zudem nicht ein einziger der 104 Überlebenden befragt. Beobachter kritisieren diese Verzögerung, da Zeugen mit der Zeit das Land verlassen oder wichtige Details vergessen könnten.

Mariana Gkliati, Professorin für Internationales- und EU-Recht © NDR

Mariana Gkliati sieht die EU-Kommission in der Pflicht ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten.

"All das erweckt den Eindruck einer mangelhaften Untersuchung, und dann ist es eigentlich die Pflicht der EU-Kommission, bei so einem schweren Vorfall ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, für eine unabhängige Untersuchung zu sorgen und die Rechtsstaatlichkeit zu sichern", sagt die Professorin für Internationales- und EU-Recht Mariana Gkliati im Gespräch mit Panorama.

Hunderte Wissenschaftler sowie Menschenrechtsorganisationen haben in mehreren offenen Briefen die Kommission aufgefordert, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland sowie unabhängige Untersuchungen einzuleiten.

EU-Kommission schweigt

Doch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich seit knapp zwei Monaten nicht öffentlich zu der Katastrophe geäußert. Zuletzt wurden sogar Fotos von ihr beim gemeinsamen Urlaub mit dem griechischen Ministerpräsidenten Mitsotakis publik. Mehrere Tage verbrachte sie mit ihrem Ehemann in der Villa des mächtigsten Mannes Griechenlands.

Auch auf eine neue Anfrage von Panorama hin möchte sich Kommissionspräsidentin von der Leyen nach wie vor nicht zur Tragödie äußern.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 24.08.2023 | 22:00 Uhr