Stand: 02.09.21 06:00 Uhr

Slahi und seine Folterer

von John Goetz

Wir wussten damals nicht, was bei dieser ersten Drehreise in die USA herauskommen würde. Zusammen mit meinem Team wollte ich 2018 einen Mann zu besuchen, der als Wärter an der Folter von Gefangenen in Guantanamo beteiligt war. Die Fahrt durch Kentucky war wenig romantisch: Rechts und links riesige Hühnerfarmen, bei geöffnetem Fenster stank es bestialisch. Wir sahen Armut, Wohnwagenteile, isolierte Häuser. Wir hatten keine Ahnung, ob der ehemalige Wärter zu Hause war, ob er bereit war, mit uns zu sprechen, ob er einen aggressiven Hund hatte oder was auch immer. Als wir morgens kurz nach 9 Uhr klingelten, hörten wir Hunde bellen. Niemand antwortete.

Slahi und seine Folterer
Mohamedou Ould Slahi, ein früherer Guantanamo-Insasse, spricht in Panorama erstmals mit seinen ehemaligen Folterern.

Spuren auf der Facebook-Seite

Dank seiner Facebook-Seite wussten wir viel über den Mann. Wir wussten, wann er Arzttermine hatte, wann er zum Friseur ging, wann er Fußball trainierte. Wir kannten seine Lieblingsfilme. Auf seiner Seite gab es einige zynisch wirkende Memes über die US-Armee. Das war vielversprechend.

Niemand war also da. War die ganze Reise umsonst? Auf Facebook fand ich ein wenige Minuten altes Posting: Er ging mit seiner Tochter zum Zahnarzt. Also kamen wir ein paar Stunden später zurück. Er hat uns willkommen geheißen! Er heißt Scott und gibt uns sogar ein Interview.

"Der Mauretanier": Mohamedou Ould Slahi

Mohamedou Ould Slahi © NDR/ARD Foto: Screenshot

Mohamedou Ould Slahi war 14 Jahre lang in Guantanamo gefangen. Er beteuert bis heute seine Unschuld.

Wir interessieren uns für einen der einstmals bedeutendsten Gefangenen aus Guantanamo, Mohamedou Ould Slahi aus Mauretanien. Mohamedou Ould Slahi galt für US-Ermittler lange als zentraler Hintermann der 9/11-Attentate. Er war einer von zwei deutschsprachigen Gefangenen in Guantanamo. Slahi wurde 2016 aus Guantanamo freigelassen, seine Geschichte wird in dem Hollywood Film "Der Mauretanier" erzählt. Heute lebt Slahi in Mauretanien.

Ex-Wärter Scott erinnert sich gut an Slahi: "Ich hatte Angst vor Mohamedou Slahi und er vor mir.  Ich hatte einen Riesen erwartet, dann war da dieser magere Kerl." Nur Monate zuvor war Scott noch obdachlos gewesen. Es stellte sich heraus, dass er sogar obdachlos aufgewachsen war und sein Sozialarbeiter ihm empfohlen hatte, zum Militär zu gehen. Und wenige Wochen nach der Grundausbildung fand er sich als Slahis Wächter in Guantanamo wieder.

Scott war unser Durchbruch. Er erzählte uns, wie die Kommandostruktur in Guantanamo funktionierte. Er war der Erste, der uns von den Misshandlungen erzählte, die er miterlebt und an denen er teilgenommen hatte.

Erstes öffentliches Geständnis von Folter

Scott ist einer von mehreren früheren US- Militärangehörigen, die im Fernsehinterview einräumen, einen Insassen im Gefangenenlager Guantanamo misshandelt zu haben. Einer von ihnen akzeptiert auch explizit die Einordnung als "Folter". Dies ist das erste öffentliche Geständnis von Folter in Guantanamo. Bislang hatten sich die Vernehmer des "Special Project Teams" in Guantanamo nur in internen Anhörungen zu ihren Methoden geäußert. Dabei hatten sie nie von Folter gesprochen. In dem Fernsehinterview, rund 18 Jahre nach den Ereignissen, schildern sie detailliert, wie sie den Mauretanier Mohamedou Ould Slahi misshandelten. 

Folterer "Mister X": "Er dachte, dass er getötet wird"

Folterer Mister X © NDR/ARD Foto: Screenshot

"Mister X" war Teil des "Special Project Teams" und nennt die damaligen Methoden heute "Folter".

"Seine Angst war absolut. Er dachte wahrscheinlich, dass er gleich getötet wird." So schildert ein weiterer Ex-Mitarbeiter des "Special Project Teams", der sich "Mister X" nennt und außer in Guantanamo auch in Afghanistan und im Irak tätig war, sein Opfer. Die Identität von "Mister X", der nicht mit Klarnamen genannt werden möchte, ist dem NDR bekannt. Im Interview spricht "Mister X" zunächst von "robusten Techniken" (enhanced techniques), die heute illegal seien. Auf Nachfrage räumt das ehemalige Mitglied des US-Vernehmungsteams dann aber ein: "Das war Folter". Auch andere Wärter hätten gefoltert, einmal habe sein Opfer eine blutige Nase, aufgeplatzte und geschwollene Lippen und Augen gehabt.

Slahi: "Zweimal fast umgebracht"

Das Opfer der Folter, Mohamedou Ould Slahi, schildert im Interview mit dem NDR die Vorgänge deckungsgleich. Ein Peiniger habe ihm immer wieder Eimer mit kaltem Wasser über den Körper gegossen, um ihn zum Reden zu bringen. "Ich sollte ein Geständnis ablegen, aber selbst, wenn ich etwas zu sagen gehabt hätte, hätte ich nicht mehr sprechen können. Ich war schon zu unterkühlt. Dieser Mann hat mich zweimal fast umgebracht," berichtet der heute 51-jährige Slahi, der über seine Zeit als Gefangener der USA auch ein Buch veröffentlicht hat: "Das Guantanamo-Tagebuch".

Vorwurf: Slahi soll Todespiloten rekrutiert haben

Mohamedou Ould Slahi © NDR/ARD Foto: Screenshot

1988 kam Mohamedou Ould Slahi zum Studium nach Deutschland.

Slahi war 1988 als Stipendiat der Carl-Duisburg-Gesellschaft nach Deutschland gekommen. Während seines Studiums in Duisburg schloss er sich freiwillig den Mujahadeen in Afghanistan an, die damals mit Unterstützung der USA gegen die von der Sowjetunion unterstützte afghanische Regierung kämpften. In dieser Zeit war Slahi zweimal, jeweils für mehrere Monate, in einem Ausbildungslager des späteren al-Qaida-Führers Osama bin Laden. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland brach er - nach eigener Aussage - seine Kontakte zu al-Qaida ab, hatte aber weiterhin Kontakt zu Freunden in der islamistischen Szene. Nach dem Terrorangriff am 11. September 2001 warf ihm das US-Verteidigungsministerium vor, drei der vier beteiligten Todespiloten im Auftrag von al-Qaida-Chef bin Laden rekrutiert zu haben.

Slahi wurde daraufhin nach Guantanamo entführt und in dem umstrittenen Lager von 2002 bis 2016 gefangen gehalten. Die Vorwürfe der US-Regierung mündeten aber nie in eine Anklage oder ein reguläres Gerichtsverfahren. Nachdem sowohl die US-Militärjustiz als auch die Geheimdienste zu der Überzeugung gelangten, dass gegen Slahi keine Beweise vorlagen, ließ die US-Regierung ihn 2016 frei.

Androhung der Vergewaltigung der Mutter

Slahi hatte seine Unschuld stets beteuert. Zu einem vermeintlichen Geständnis kam es erst, als der Leiter des "Special Projects Teams", ein Polizeikommissar aus Chicago namens Richard Zuley, die Verhörmethoden änderte. Auch mit ihm sprachen die NDR Reporter. In dem Interview berichtet Zuley, er habe Slahi 2003 ein Schreiben präsentiert, das wie ein offizieller Brief des US-Außenministeriums ausgesehen habe und so eine offizielle Drohung vortäuschte.

In dem Schreiben habe es geheißen, dass Verwandte von Slahi, auch seine Mutter, ebenfalls gefangen genommen werden sollten, wenn Slahi die Fragen der Vernehmungsbeamten nicht beantworten sollte. Das Schreiben legte nahe, dass Slahis Mutter nach Guantanamo gebracht und dort männlichen Insassen überlassen werden könnte. Zuley schildert im NDR Interview den Erfolg seiner vorgetäuschten Vergewaltigungsandrohung von Slahis Mutter: "Ich beobachtete ihn, wie seine Augen die vier der fünf Absätze des Schreibens überflogen. Ich sah, wie sich Tränen in seinen Augen bildeten und über sein Gesicht strömten." Danach habe Slahi jede Menge Informationen geliefert, die angeblich das Innenleben der Terrororganisation al-Qaida beschrieben.

Lügendektor kippt vermeintliches Geständnis

Der große, wenn auch zweifelhafte Erfolg des US-Vernehmers wurde allerdings wenige Monate danach zunichte gemacht, als ein offizieller Lügendetektor-Test der Amerikaner zeigte, dass Slahis "Geständnis" nach der Vergewaltigungsandrohung wesentlich aus falschen Informationen bestand. Auch eine Wiederholung dieses Testes bestätigte den Befund.

Eine Analystin des "Special Projects Teams", die Slahi ausgiebig befragte, bestätigte, die "speziellen Vernehmungsmethoden" seien im Falle Slahi vom damaligen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld persönlich genehmigt worden. Sie selbst habe in Guantanamo empfohlen, den Mauretanier von den übrigen Gefangenen zu isolieren, was dann auch geschah. Außerdem habe sie beobachtet, wie Slahi von anderen Wärtern geschlagen wurde.

"Was man mit Slahi gemacht hat, war Folter"

Stuart Crouch © NDR/ARD Foto: Screenshot

Der ehemalige US-Militärstaatsanwalt Stuart Crouch ermittelte einst im Fall Slahi.

"Was man mit Slahi gemacht hat, war Folter", räumt auch der ehemalige US-Militärstaatsanwalt Stuart Couch ein, der im Fall Slahi ermittelte. Auch Couch, der heute als Richter arbeitet, war schließlich überzeugt, daß keine Beweise gegen Slahi vorlagen. Slahis Aussagen hätten sich vor Gericht ohnehin nicht verwenden lassen, weil sie illegal zustande gekommen seien, so Couch.

Folterer: Bedauern und Rechtfertigung

Heute blicken die Mitglieder des US-Vernehmungsteams unterschiedlich auf ihre Tätigkeit in Guantanamo zurück. Während "Mister X" Bedauern über seine Gewalttaten gegen Slahi äußert und diese als "falsch" bezeichnet, beharrt der ehemalige Teamleiter Richard Zuley darauf, dass die Methoden angemessen gewesen seien. "Unsere Aufgabe war es, an verborgene Informationen zu kommen, um einen weiteren möglichen Terroranschlag auf die USA zu verhindern", meint Zuley. Auch die frühere Analystin des "Special Projects Teams" glaubt bis heute an Slahis Schuld und rechtfertigt die Methoden: "Immerhin hat Slahi 14 Jahre in Guantanamo gesessen. Das ist mehr als nichts. Aber genug war es nicht." Auf die Nachfrage, was "genug" gewesen wäre, antwortete die ehemalige Regierungsangestellte: "Der Tod. Er hätte mit seinem Leben büßen müssen."

Scott in Kentucky hat die Erfahrungen als Wächter im Special Projects Team nicht gut verkraftet. Er nimmt Antidepressiva, hat Schlafstörungen. Er bedauert, Teil des Folterteams gewesen zu sein. "Ich kann mich nicht im Namen meiner Regierung entschuldigen", sagt er. "Aber ich kann mich für das entschuldigen, was ich getan habe."

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Das Erste | Panorama | 02.09.2021 | 21:45 Uhr