Stand: 02.02.17 14:00 Uhr

Muslimischer Männer-Stammtisch für Frauenrechte

von Fabienne Hurst & Caroline Schmidt

Von wegen die muslimischen Männer würden sich doch nie ändern, die könnten sich nicht integrieren, denn der Islam sei da im Weg oder die paternalistische Erziehung oder beides. In Berlin-Neukölln kann man jeden Dienstagabend beobachten, wie falsch diese populären Thesen sind. Dann sitzen nämlich fast ein Dutzend Muslime um einen Resopaltisch, trinken Chai und reden über Ehe, Kinder, Politik und Frauen.

Muslimischer Männer-Stammtisch für Frauenrechte
Orientierung, Anschluss, Integration - oder auch einfach nur reden: In Berlin treffen sich muslimische Männer-Gruppen und diskutieren über Ehe, Kinder, Politik und Frauen.

Thema heute: Die Ereignisse an den Silvesterabenden in Köln und anderswo, als vor allem muslimische Männer Frauen angrabschten und misshandelten. "Wie konnte das passieren?", fragen sie sich auch hier. Der Islam verbietet doch Gewalt gegenüber Frauen. Lag es vor allem an Alkohol und Gruppenzwang ("Die waren ja alle betrunken"), wie Murat und Cumali denken? Oder an der Kultur in den Heimatländern ("Dort waren alle Frauen verschleiert, hier stehen plötzlich Tausende Frauen wie eine Ware vor einem"), wie Mehmet meint?

Die Meinungen gehen weit auseinander

Ob es um Ehre geht oder darum, ob man als Mann auch noch die erwachsene Schwester erziehen darf: Die Meinungen gehen - wie an jedem Stammtisch - weit auseinander. Und so bekommt man an diesem Abend einen seltenen Einblick  in eine Welt, die den meisten Menschen in diesem Land fremd ist. Manche Männer argumentieren modern ("Meine Schwester kann machen, was sie will"), andere konservativ ("Deutsche Männer wollen doch auch nicht, dass ihre Schwester als Flittchen gilt"), und wieder andere haben sich noch kaum Gedanken über diese Themen gemacht und hören interessiert zu.

Raus aus der Isolation

Muslimische Männer mal anders: Stammtisch für Frauenrechte

Faiz ist mit seiner Familie vor anderthalb Jahren aus Afghanistan geflohen. Von der Männergruppe hat er über Freunde erfahren.

Der Psychologe Kazim Erdogan hat die Gruppe vor über zehn Jahren gegründet mit einem klaren Ziel: Er wollte die Männer in Neukölln aus der Isolation holen, in die sie mehr und mehr abrutschten. Damals hatte er den Eindruck, dass die Arbeitslosigkeit in Neukölln nicht mehr sinken wollte, der Druck in den Familien stieg, und auch die Gewalt im Stadtteil zunahm. Und so zog er durch die Teehäuser, sprach Familienväter an, überzeugte sie, dass Reden helfen könnte.

Heute gibt es insgesamt sechs solcher Gruppen in Berlin. Und es kommen nicht nur alteingesessene Berliner Muslime hierhin, manche schon seit vielen Jahren, weil sie Freude an den Debatten entwickelt haben. Sondern auch Menschen wie Faiz, der mit seiner Familie erst vor anderthalb Jahren aus Afghanistan geflohen ist. Er hat von der Gruppe über Freunde erfahren, ist nun hier, weil er Anschluss finden will, sich integrieren, so schnell es geht, denn nur so kommt man heraus aus der Misere.

"Was versteht Ihr unter Ehre?"

Mehmet Kiratli

"Ehre ist für mich das, wo ich mir selbst meine persönlichen Grenzen setze", sagt Gruppenleiter Mehmet Kiratli.

Die Gruppen basieren auf einer alten Tradition in orientalischen Ländern: der Rat der Älteren, der Religionsgelehrten, wird geschätzt. Deshalb hat jede Gruppe mindestens einen Leiter. Er moderiert die Debatten und sorgt dafür, dass sie immer in die richtige Richtung laufen, Richtung Integration, also am heutigen Abend Richtung Frauenrechte. Gruppenleiter Mehmet Kiratli hört deshalb immer mal wieder den Vorwurf von Teilnehmern, er wolle ihnen ihre eigene Kultur abgewöhnen. Darum gehe es nicht, entgegnet er in solchen Momenten, er wollte "ihnen helfen, sich mit ihren Werten in dieser Gesellschaft zurecht zu finden".

Ein weiteres Thema heute ist die Ehre, die im Islam so anders ausgelegt wird. "Was versteht Ihr unter Ehre?", fragt Kiratli in die Gruppe. Nun ja, sagen die meisten, Ehre bedeute für sie immer noch, ihre Müttern und Schwestern vor Übergriffen zu schützen. In Teilen der muslimischen Gemeinde gäbe es überdies nach wie vor die Kultur des Ehrenmordes, davon hätten sie in der Zeitung gelesen.

Mustafa wartet nicht lange, um seine Gegenmeinung zu präsentieren. Ehre, sagt er stolz, bedeute für ihn "leben und leben lassen". Keiner habe das Recht, andere zu drangsalieren oder gar zu verletzen. Mustafa versteht Ehre im sehr europäischen Sinne von Anstand. So sieht es auch Gruppenleiter Kiratli. "Ehre ist für mich das, wo ich mir selbst meine persönlichen Grenzen setze", sagt er und nickt.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 02.02.2017 | 21:45 Uhr