Unterhalt: Unterstützung für Rabeneltern?

von Tina Soliman & Sha Hua

Liesl Hilgen hat ihren Erzeuger drei Mal in ihrem Leben gesehen - zufällig auf der Straße. Er verließ die Mutter, als sie gerade mit Liesl schwanger war. Doch nun soll die Oldenburgerin für den Vater zahlen - bis zu 750 Euro im Monat, für einen Fremden. Denn der mittlerweile 89-Jährige kann sein Pflegeheim nicht selbst finanzieren.

Liesl Hilgen ist Frührentnerin, arbeitete lange Zeit als Energieberaterin und bekommt zusätzlich eine Betriebsrente. Insgesamt hat sie 2.500 Euro im Monat. Ein Leben lang legte sie jeden Cent bei Seite, um für sich und ihre Mutter vorzusorgen. Seit Jahren pflegt sie ihre Mutter zu Hause - ohne staatliche Hilfe. Doch dass sie jetzt auch für ihren Vater aufkommen soll, sieht sie nicht ein: "Jahrzehntelang war man nicht die Tochter, und jetzt heißt es, dass man doch die Tochter ist, und das finde ich nicht in Ordnung, denn ich habe von ihm nichts gehabt.“

Keine Möglichkeit, die Gesetze zu ändern?

Pflegebeauftragter der Bundesregierung Karl-Josef Laumann

Will an der bestehenden Regelung festhalten: der Pflegebeauftragte der Bundesregierung Karl-Josef Laumann (CDU).

Für den Pflegebeauftragten der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), ist der behördlich erzwungene Elternunterhalt mehr eine Frage der Finanzierung: “Individuell kann ich jeden verstehen, der nicht für einen Rabenvater zahlen will, aber ich sehe politisch keine Möglichkeit, die Gesetze zu ändern, weil ich den Grundsatz, dass auch Kinder für den Vater einstehen müssen, richtig finde, und weil ich auch nicht weiß, wie man das sonst bezahlen soll“. Bei diesem Zugriff auf die Kinder geht es also nicht um die Stärkung der Familie. Es geht um die Entlastung der Sozialämter.

Eine trinkende Mutter - ein schlagender Vater

Als Martin Schmidt fünf Jahre alt war, wurde er aus der Familie geholt und zu einer Pflegemutter gebracht. Die leibliche Mutter war schwere  Alkoholikerin, hatte auch während der Schwangerschaft getrunken, mit folgenschweren Konsequenzen - für Martin. Durch Fleiß und Hartnäckigkeit hat er die Fesseln seiner Herkunft abgeschüttelt.

Profitieren soll davon nun ausgerechnet die Person, die diesen schweren Start ins Leben zu verschulden hat, nicht die Frau, die ihn aufgezogen hat: "Meine richtige Mutter ist meine Pflegemutter, weil die erkenne ich komplett an als meine Mutter, wo ich gewohnt und gelebt habe und auch groß geworden bin. Und die andere Person? Das ist in dem Bereich eine Fremde."

Was heißt in "unerträglicher Weise"?

Die Rechtsprechung sieht so aus: Grundsätzlich regelt Paragraph 1601 des Bürgerlichen Gesetzbuches, dass Verwandte in gerader Linie verpflichtet sind, einander Unterhalt zu gewähren. In Paragraph 1611 heißt es weiter, dass diese Pflicht eingeschränkt werden kann, wenn der Unterhaltsberechtigte sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht hat. Die Unterhaltspflicht entfällt komplett, wenn sie der Gerechtigkeit in "unerträglicher Weise" widerspricht. Unerträglich ist zum Beispiel sexueller Missbrauch.

Schläge, Seelische Grausamkeit und Kontaktabbruch reichen nicht aus, sich der Unterhaltspflicht zu entziehen. Und so soll es auch bleiben: "Wir haben in der BRD eine klare Rechtslage: Eltern haften für ihre Kinder, aber auch Kinder müssen unter bestimmten Umständen für ihre Eltern einstehen in der Haftungskette. Ich glaube auch, dass wir diesen Haftungsgrundsatz nicht aufgeben dürfen", so Karl-Josef Laumann.

Ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen

Peter Nowak wurde von seinem Vater misshandelt.

Peter Nowak empfindet das Vorgehen der Behörden als neuen Akt der Gewalt.

Für Betroffene aber ist das ein erneuter Schlag: "Es ist wie ein Bumerang aus der Kindheit: Die Ohnmacht, die ich gegenüber meinem schlagenden Vater empfand, diese Ohnmacht empfinde ich jetzt gegenüber dem Sozialamt, das mich einfach nicht in Ruhe lässt", so Peter Nowak (58), der nun für seinen extrem gewalttätigen Vater zahlen soll. "Ich empfinde das als unsensibel und einmal mehr gewaltvoll - als unmenschlich."

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Das Erste | Panorama | 03.04.2014 | 21:45 Uhr