Stand: 13.06.14 01:49 Uhr

Todespilot Atta: Die andere Seite der "Bestie"

Mehr als zwölf Jahre schlummerte das zeitgeschichtliche Dokument in einer Schublade, unzugänglich für die Öffentlichkeit. Jetzt konnten Panorama und "Süddeutsche Zeitung" erstmals die 152-seitige Diplomarbeit von Mohammed Atta lesen. Der Ägypter, der am 11. September 2001 ein Flugzeug gegen den Nordturm des World Trade Center in New York prallen ließ, hatte die Arbeit im August 1999 im Fachbereich Städtebau und Stadtbaugeschichte der Technischen Universität Hamburg-Harburg eingereicht.

Todespilot Atta: Die andere Seite der "Bestie"
Die Diplomarbeit von 09/11-Todespilot Mohammed Atta schlummerte mehr als 12 Jahre in einer Schublade. Nun konnte sie erstmals eingesehen werden.

Der Terrorist als Stadtplaner

7. Jahrestag der Anschläge vom 11. September © dpa Foto: A3396 Hubert Boesl

Unvergessen: Die Bilder der Anschläge vom 11. September.

Thema der Diplomarbeit ist die Sanierung eines Altstadtviertels der nordsyrischen Metropole Aleppo. Die Lektüre bietet jedoch mehr als exakte Zeichnungen von Straßenzügen und einen Plan zur Wiederbebauung einer Brachfläche in Aleppo. Weil der spätere Terrorist und Massenmörder das spezielle Thema in einen größeren kulturellen, historischen und politischen Kontext stellt, liefert die Diplomarbeit erstaunliche Einblicke in seine Gedankenwelt.

"Der Mensch steht im Mittelpunkt des planerischen Interesses", schreibt Atta. Er zeigt enormes Engagement, die von Abriss und Verfall bedrohten Altstädte Arabiens zu erhalten. Es gehe darum, den Bewohnern "ein würdiges Leben" zu ermöglichen. Die Lebensqualität in den traditionellen Häusern sei höher als in den Geschossbauten der Neubauviertel. Die drohende Zerstörung der arabischen Altstädte führt er auf die Bevölkerungsexplosion, das Desinteresse der Regierungen und auf den schädlichen Einfluss europäischer Berater zurück.

"Eine ernsthafte, ehrliche Arbeit"

Das Haus in der Marienstraße 54, in dem Mohammed Atta wohnte © NDR.de Foto: Marc-Oliver Rehrmann

Das Haus in der Marienstraße 54 in Harburg, in dem Mohammed Atta wohnte.

Paradoxerweise wird in der Diplomarbeit das Profil eines Mannes erkennbar, der aufbauen und nicht zerstören will. Sein ehemaliger Betreuer Prof. Dittmar Machule hat die Arbeit seines bekanntesten Studenten deshalb bislang nicht öffentlich diskutiert. "Ich hatte das Gefühl, man würde das nicht verstehen. Man liest da ja das Gegenteil von dem, was man vermutet, wenn man die Bilder von 09/11 sieht", erklärt der inzwischen emeritierte Professor für Städtebau und Stadtbaugeschichte. Dass Atta die Diplomarbeit schrieb, um seine Terrorpläne zu vertuschen, schließt Machule aus: "Das ist eine ernsthafte, ehrliche Arbeit".

Bibliotheken wollen Arbeit nicht archivieren

Dittmar Machule

Dittmar Machule ist dafür, Mohammed Attas Diplomarbeit anderen zugänglich zu machen.

Machule plädiert dafür, Forschern und Interessierten den geregelten Zugang zu dem Dokument der Zeitgeschichte zu ermöglichen. Bislang hat die Diplomarbeit jedoch keinen offiziellen Archivar gefunden. "Niemand möchte die Diplomarbeit haben", so Machule. "Es ist nicht unsere Aufgabe, eine unveröffentlichte Diplomarbeit in den Lesebestand aufzunehmen", sagte eine Mitarbeiterin der Hamburgischen Staats- und Universitätsbibliothek auf Anfrage von Panorama und SZ.

Die Leiterin der Bibliothek der TU Harburg antwortete auf die Frage, ob sie bereit sei, die Diplomarbeit von Mohammed Atta zu archivieren: "Ungern bei uns. Wir sind kein Archiv, sondern eine Gebrauchsbibliothek." Sie fügte jedoch hinzu: "Wenn sich sonst niemand findet, würde ich das zumindest bei uns zwischenlagern. Das ist ja Teil unserer Geschichte."

9/11 und die Stationen von Mohammed Atta



1. September 1968: Atta wird in Ägypten geboren.
1986-1990: Er studiert in Kairo.
24. Juli 1992: Atta besucht Deutschland im Rahmen eines Austausch-Programms.
23. November 1992: Er schreibt sich an der der TU Hamburg-Harburg im Fach Stadtplanung ein.
Ende 1997: Er reist offenbar erstmals nach Afghanistan, um mit Al Kaida Kontakt aufzunehmen.
1. November 1998: Atta bezieht zusammen mit Freunden die Wohnung in der Marienstraße 54.
29. November 1999: Er macht sich erneut auf dem Weg nach Afghanistan.
24. Februar 2000: Er tritt die Rückreise nach Hamburg an.
3. Juni 2000: Er reist in die USA, wo er eine Flugschule besucht und die Anschläge vorbereitet.
11. September 2001: Atta steuert ein Flugzeug in den Nordturm des World Trade Centers.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 12.06.2014 | 22:00 Uhr