Stand: 18.11.13 11:00 Uhr

Geben, aber nicht bekommen

von Stefan Buchen
Außenansicht des NSA-Hauptquartiers in Fort Meade, Maryland, USA. © dpa Foto: Jim Lo Scalzo

Außenansicht des NSA-Hauptquartiers in Fort Meade, Maryland, USA.

Von seinem jüngsten Besuch bei der National Security Agency (NSA) in Fort Meade kehrte der Chef des Bundesnachrichtendienstes Gerhard Schindler mit leeren Händen zurück. An NSA-Chef Keith Alexander ist er abgeprallt. In der einstündigen Audienz am 4. November im Herzen der US-Überwachungsmaschine bekamen Schindler und sein Begleiter, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen, keine Zusage, dass die USA in Deutschland nicht mehr spionieren würden. Ein "No-Spy-Abkommen" mit den USA, das die Bundesregierung als Konsequenz aus den Snowden-Enthüllungen wochenlang vollmundig angekündigt hatte, ist "vom Tisch", um es in den inzwischen legendären Worten von Kanzleramtschef Ronald Pofalla zu sagen. Die US-Geheimdienste lassen sich darauf nicht ein. So berichtet es das Nachrichtenmagazin "Spiegel". Demnach hielt sich Gastgeber Alexander bei dem Treffen bedeckt, sagte nur, dass das Mobiltelefon der Kanzlerin "nicht mehr" abgehört werde. Zur möglichen Überwachung anderer Mitglieder der Bundesregierung oder des Bundestags äußerte sich der NSA-Chef ebenso wenig wie zu dem Horchposten auf dem Dach der US-Botschaft in Berlin.

Orientierung an "war on terror"-Doktrin

Eine Abfertigung, die das Kräfteverhältnis zwischen Herr und Diener widerspiegelt. Der Herr hat kein "mea culpa" nötig, selbst wenn seine Verfehlungen auffliegen. Dabei hatte Schindler alles getan, um dem großen Verbündeten zu gefallen. Nach Recherchen von Panorama sah er seit seinem Amtsantritt im Dezember 2011 seine Aufgabe darin, den BND stärker an der amerikanischen Doktrin des "war on terror" zu orientieren. "Es muss krachen", soll in den Besprechungsräumen des BND sein Leitsatz sein, erzählen Mitarbeiter. In diesem Sinne setzte Schindler durch, dass Mobilfunkdaten Verdächtiger, etwa ihre Telefonnummern, großzügiger als bisher an die USA weitergegeben werden. Anhand dieser Daten können Geheimdienste die Funkzelle orten, in der sich der Nutzer eines Mobiltelefons befindet. Dies rief internen Widerspruch hervor. BND-Mitarbeiter sprachen sich gegen eine Lockerung der Weitergabepraxis aus, so die Panorama-Recherchen, weil die GSM-Mobilfunkdaten für die militärische Zielerfassung, beispielsweise in Afghanistan, benutzt werden können. Es habe intern "gekracht". Ein Referatsleiter sei auf Grund seiner Kritik versetzt worden.

Auf Anfrage von Panorama stritt der BND eine solche Versetzung ab und verwies auf die "übliche Personalrotation". In der Sache teilte der BND-Sprecher die interne Regel für die Datenweitergabe an die USA mit: "Eine Übermittlung unterbleibt, wenn für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Information und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der/des Betroffenen das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen." An dieser Dienstvorschrift habe sich unter Schindler nichts geändert. Der Sprecher fügte hinzu: "Diesbezügliche Unklarheiten wurden ausgeräumt." Das darf man wohl so verstehen, dass Schindler die "schutzwürdigen Interessen der Betroffenen" und das "Allgemeininteresse" anders gewichtet als seine Vorgänger und damit die Übermittlung von GSM-Mobilfunkdaten Verdächtiger ausgeweitet hat.

Zu unpräzise für gezielte Tötungen

Der BND bestreitet in seiner Reaktion auf die Recherchen auch den Nutzen dieser Daten für die militärische Zielerfassung. Sie seien nämlich zu "unpräzise", als dass sie etwa für gezielte Tötungen benutzt werden könnten. Diese Aussage Schindlers wurde von Mitgliedern des Parlamentarischen Kontrollgremiums mehrfach wiederholt, allen voran vom Vorsitzenden des Gremiums Thomas Oppermann (SPD). Computer- und Militärexperten bestätigen hingegen, dass die GSM-Daten bei der Bestimmung des Aufenthaltsortes einer Person sehr wohl hilfreich sein können. "Gerade, wenn solche Daten über einen längeren Zeitraum erhoben werden," erläutert der Hamburger Informatikprofessor Hannes Federrath, seien sie "für Nachrichtendienste nützlich, um Personen zu orten." Geheimdienste können ein Mobiltelefon der Zelle zuordnen, die sich um den Funkmasten bildet. Diese Funkzellen haben in Ballungsräumen kleine Radien von einigen hundert Metern. In dünn besiedelten und unbewohnten Gebieten können die Radien mehrere Dutzend Kilometer betragen, weil die Funkmasten dort viel weiter auseinanderstehen.

Die Geheimdienste können durch regelmäßiges Abrufen des Funksignals einer Zielperson feststellen, wann und wo diese sich von einer Funkzelle in die andere begibt. So kann im Laufe der Zeit ein Bewegungsprofil erstellt und der Aufenthaltsort des Verdächtigen eingegrenzt werden. In den Grenzbereichen zwischen zwei Funkzellen überschneiden sich zudem die Kreise um die beiden einander am nächsten stehenden Funkmasten. In diesen "Schnittmengen" wird ein überwachter Mobiltelefonbesitzer von zwei Funkzellen gleichzeitig erfasst. In einem solchen Moment lässt sich der Aufenthaltsort ziemlich genau bestimmen.

"No risk, no fun"

BND-Chef Schindler will den USA mit seiner Linie im "Krieg gegen den Terrorismus" engagierter zuarbeiten. "No risk, no fun", hatte er bei Amtsantritt öffentlich als Maxime ausgegeben. Fehlverhalten, Missbrauch und mögliche Kriegsverbrechen der USA, etwa beim Einsatz von Kampfdrohnen, scheinen den BND-Chef weniger zu interessieren. Angesprochen auf die Rolle Deutschlands beim US-Drohnenkrieg in Afrika gibt sich der BND ahnungslos. "Unsere Verbündeten sind nicht Gegenstand unserer Aufklärung", erläuterte BND-Sprecher Heinemann im vergangenen Sommer. Das klingt etwas naiv, nachdem wir wissen, dass die USA es mit ihrer "Aufklärung" bei Verbündeten ganz anders halten.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 28.11.2013 | 21:45 Uhr