Stand: 15.02.17 17:15 Uhr

Panorama: Ein dilettantischer Islamist aus dem Saarland

Brief von Eric B.

Den Islam entdeckte er vor einem Jahr beim Beladen eines Lastwagens. An seinem Halskettchen hing ein Kreuz. Für einen dürftigen diesseitigen Lohn jobbte der damals 19-jährige Eric B. bei einem Logistikunternehmen in Neunkirchen im Saarland, genau wie der Seelenfänger im Namen Allahs Anis P. Der bärtige Mann pakistanischer Herkunft sprach den saarländischen Burschen auf das Kreuz an der Halskette an und predigte ihm, wie man es mit der Religion zu halten habe. Wenige Tage später stand Eric B. auf einer Brücke über dem Flüsschen Blies und warf sein Kreuz in die Fluten.

"Radikalisierung im Schnelldurchlauf"

So ist Eric B. Muslim geworden, wie wir aus seinem Freundeskreis im Saarland erfahren. Heute, ein Jahr danach, soll er sich in Pakistan aufhalten und dort mit anderen Islamisten aus Deutschland Anschläge in seiner Heimat planen. So die Warnungen von Innen-Staatssekretär August Hanning und aus dem BKA, die "Der Spiegel" veröffentlichte.

Eric B. schloss sich sofort nach seinem Übertritt zum Islam einem kleinen Kreis extremistisch gesinnter junger Männer im Saarland an, dem auch der im September wegen eines mutmaßlichen Anschlagsplans festgenommene Daniel S. gehörte. Im Frühsommer 2007 wohnten Eric B. und Daniel S. in bescheidenen Zimmern auf dem Grundstück der Omar-Moschee in Saarbrücken-Herrensohr.

In dieser Zeit hatte Eric B. tatsächlich den Wunsch geäußert, im Dschihad zu sterben. Mit dem Märtyrertod wolle er die höchste Stufe in Allahs Paradies erklimmen, da, wo die Attentäter des 11. Septembers bereits sitzen. Solch markige Sprüche des Eric B. sind Panorama bekannt. Dass er sich vom naiven Konvertiten zum Bewunderer des Terrors entwickelt hat, steht außer Zweifel. Aber was ist das für einer, der, wie es in der Ermittlersprache heißt, eine "Radikalisierung im Schnelldurchlauf" erfahren, und es nun in die Warnungen des BKA geschafft hat?

Zweifel an der geistigen Reife

Kairo, Madinat Nasr. In den endlosen Wohnblockschluchten der Satellitenstadt finden Postboten nicht jede Adresse. Eric B. schlug hier im August auf, eine Woche, bevor im Sauerland Erics Freund Daniel S. und zwei Komplizen festgenommen wurden in dem Verdacht, Anschläge in Deutschland geplant zu haben. Eric B. hatte sich den islamischen Namen Abd al-Ghaffar gegeben und wollte in der Beton-Vorstadt Kairos Arabisch und den Koran studieren. "Das wird da unten für mich bezahlt und organisiert," hatte er Freunden im Saarland erzählt. Aber bei seiner Ankunft im Orient wurden seine Vorstellungen von islamischer Brüderlichkeit auf eine harte Probe gestellt. Nichts wurde ihm bezahlt. Miete und Sprachkursgebühren musste er aus eigener Tasche berappen. Und obwohl die Preise in Ägypten billig sind, ging sein Vorrat von 800 Euro allmählich zur Neige. Deshalb mailte er die Adresse "Project 27, Haus 8, Nummer 2401, Achter Bezirk, Madinat Nasr, Kairo" ins Saarland. Das sei nicht seine eigene Adresse - sein Wohnblock habe keine offizielle Anschrift - sondern dort wohnten gute Freunde. Dorthin solle man Geld schicken, auch das Kindergeld, das ihm zustehe. Bafög solle man für ihn beantragen und ihm an die genannte Adresse schicken.

Bafög für einen Koran- und Arabischkurs in Madinat Nasr? Die Zweifel an der geistigen Reife dieses jungen Mannes werden größer und die Adresse interessanter. Im achten Bezirk der Satellitenstadt begegnet man auf der Straße unweigerlich Leuten, die Eric sein könnten: orientierungslose junge Männer aus aller Welt, die rote und blonde Zauselbärte tragen, früher John oder Wladimir hießen und sich jetzt Abd ar-Rahman oder Muhammad nennen und im Kaftan herumlaufen. Auch deutsche Konvertiten und Söhne von türkischen Gastarbeitern tummeln sich hier. Zur Befriedigung der Bedürfnisse dieser merkwürdigen Klientel hat sich hier ein ganzer Industriezweig gebildet: Hunderte Privatschulen für Arabisch und islamische Religion.

"Das ist im Islam so"

Im Erdgeschoss des Hauses 8 ist der Bawwab, der Hauswärter, von seinen vielen Kindern so abgelenkt, dass er den Fremden nicht bemerkt. Im vierten Stock öffnet ein bärtiger Mann Anfang Dreißig, der Deutsch spricht, sich mit Abu Hafsa vorstellt und sagt, dass er Abd al-Ghaffar kenne. Zögernd bittet er in die spärliche Stube. Abu Hafsa bereitet einen Tee in der Küche. In dem nur mit einem Tisch und zwei Stühlen möblierten Wohnzimmer gibt es nichts, auf dem der Blick haften bliebe, zumal die Frau und die drei Kinder in einem Hinterzimmer verschwunden sind. Ja, Abd al-Ghaffar habe ihn gefragt, ob er seine Adresse für den Empfang von Post benutzen könne. Er, Abu Hafsa, komme aus Köln-Bilderstöckchen, ursprünglich aus Marokko. In Deutschland habe er eine Aufenthaltserlaubnis, er sei mit seiner Familie nach Ägypten gekommen wegen der Koranstudien. Er sei bekannt dafür, dass er Deutschen helfe. Deshalb sei Abd al-Ghaffar zu ihm gekommen. Aber seit drei Wochen habe er nichts von ihm gehört. Sein Handy sei ausgeschaltet. Er wisse nur, dass Abd al-Ghaffar sich einem Kreis von Gläubigen um den Prediger und Gelehrten Scheich Dubaisi angeschlossen habe.

"Mit 130 Euro im Monat kommt man über die Runden", hatte Eric ins Saarland gemailt. Nur heiraten sei teuer. Da müsse man sich mit dem Vater der Braut einig werden. Eine Frau hatte er bereits im Saarland nach islamischem Ritus geehelicht. Am 6. März 2007 erschien er mit seiner deutschen Freundin Eva vor dem Imam der Umar-Moschee in Saarbrücken-Herrensohr, der Heiratsvertrag liegt Panorama vor. Eric B. verpflichtet sich darin zur Zahlung von 100 Euro Brautgeld, gesplittet in eine Sofortzahlung von 60 und eine Nachzahlung von 40 Euro. Er bekennt sich außerdem zu der Pflicht, "die Zahl der Muslime zu erhöhen". Dieser Gedanke scheint ihn sehr zu beschäftigen, denn seiner ersten Braut kündigte er an, dass sie nicht die alleinige bleiben solle. "Er hat gesagt, er sucht sich noch eine Frau. Er sagte, das ist im Islam so, damit man mehrere Kinder auf die Welt kriegt. Der Islam werde erweitert und die Muslime kommen so irgendwann an die Macht." Aus den Plänen einer weiteren Heirat scheint in Ägypten allerdings nichts geworden zu sein.

Paradies als Instant-Erfahrung?

Scheich Dubaisi ist krank und bettlägerig. Ein Dutzend junger Männer in weißen Überhängen und mit schwarzen Bärten kommt aus seinem Haus in der Nähe der "Genena Shopping Mall". "Ich wohne in der reichen Gegend von Madinat Nasr", hatte Eric in einer Mail geschrieben. "Für Deutsche ist das eine Bruchbude, für Ägypter ein Luxuszimmer." Ob jemand aus der Gruppe Abd al-Ghaffar aus Deutschland kenne. Ein korpulenter Mann meldet sich. "Er hat bei mir gewohnt." Aus dem Munde dieses wohlbeleibten Mannes, hinter dessen Bart ein freundlich-überlegenes Lächeln hervorlugt, klingt das fast väterlich. Er stellt sich als Zakariah vor, ist offensichtlich arabischer Herkunft. Er sei in Dänemark aufgewachsen, könne ein bisschen Deutsch und so habe er sich mit Abd al-Ghaffar unterhalten können. Abd al-Ghaffar habe, obwohl er einen Kurs besucht habe, kein Arabisch gekonnt und auch sein Englisch sei sehr schwach gewesen. Die Vorträge von Scheich Dubaisi habe er gar nicht verstehen können. Und hat Abd al-Ghaffar gesagt, er wolle in den Dschihad ziehen? - Nein, vom Dschihad habe Abd al-Ghaffar nicht geredet.

Eric B. war kein guter Schüler. Seine Mails sind voller Rechtschreibfehler. "Schule bringt nichts", muss er seinen Freunden im Saarland gesagt haben. Seine Frau Eva bedrängte er, ihre Ausbildung abzubrechen. Er hatte früher mit Drogen zu tun wie die meisten Gestalten aus der saarländischen Islamistenszene. Das Paradies als Instant-Erfahrung? Der Dschihad als Rausch-Ersatz? Seine Eltern sind geschieden. Sie hätten sich nicht viel um ihn gekümmert. Im Islam habe er die Liebe und den Zusammenhalt bekommen, die ihm zu Hause gefehlt hätten, berichten seine Freunde. Die Missionare im Saarland sprächen gezielt solche Leute an.

Studium auf "Niveau Null"

Die Männer im Markaz Taqniya at-Ta´limi haben nicht nur Bärte, sie tragen ausnahmslos Brillen und ihre Stimmen sind hell. Die Privatschule für Arabisch und Islamstudien ist im Erdgeschoss eines Mietshauses in der Mustafa-Uthman-Straße untergebracht. Hier ging Eric zum Arabisch-Unterricht. "Er hat auf dem Niveau Null, dem untersten Niveau studiert," erklärt der Direktor Asim Shauqi. Während Eric sich mit einfachsten Vokabeln und den Grundregeln der arabischen Grammatik herumschlug, lesen Fortgeschrittene in dieser Schule Texte über die Heiligkeit der Stadt Jerusalem für alle Muslime und lernen, dass diese Stadt von den Juden usurpiert wurde. Die Pflicht der Muslime sei es, Jerusalem von den Juden zu befreien.

Vom Dschihad habe Abd al-Ghaffar nicht gesprochen, meint Direktor Shauqi. Eines Tages Anfang Dezember sei er mit einem aus Deutschland angereisten Freund libanesischer Herkunft in der Schule erschienen. Danach sei Abd al-Ghaffar verschwunden. Die Geschichte von dem libanesischen Freund wird von Zakariah bestätigt. Die beiden hätten sich ohne Abschied davongemacht. Bei dem Libanesen scheint es sich um Husein al-M. aus Neunkirchen zu handeln, der ebenso den Sprung von der Kiffer- in die Islamistenszene gemacht hat.

Von der Sonnenbank zu al-Qaida

Die Bibel sei zur Hälfte erlogen, die Wahrheit sei im Koran, hat Eric von seinem Missionar Anis in Neunkirchen gelernt. Deutschland sei Kafir-Land, Land der Ungläubigen. Eric sei häufig schwarz mit der Bahn durchs Saarland gefahren, berichten seine Freunde, "damit dieses Land an ihm kein Geld verdiene". Im muslimischen Ägypten scheint er sich auch nicht wohlgefühlt zu haben. In seinen Mails schreibt er viel von der "Unordnung". Er beklagt, dass er nichts versteht und dass "die Leute auf Müllhalden scheißen".

Er habe schon immer auffallen wollen, erzählen seine früheren Freunde. Er habe Wert auf sein Äußeres gelegt, sei auf die Sonnenbank gegangen und habe seine Haare sorgfältig gegelt, bis vor einem Jahr. Jetzt ist er laut "Spiegel" mit Husein al-M. und zwei weiteren Islamisten aus Deutschland in einem al-Qaida-Ausbildungslager in Pakistan. Bei al-Qaida sei die Entscheidung gefallen, in Deutschland zuzuschlagen, warnt August Hanning. Das klingt nach einer Neuauflage des 11. September auf deutschem Boden. Das kann auch sein. Aber damals hieß der al-Qaida-Rekrut Muhammad Ata, ein fleißiger Student der Terrorschule mit Einsernoten. Im Vergleich mutet Eric B. wie ein Hauptschüler mit erheblichen Lernschwierigkeiten an.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 27.09.2007 | 21:55 Uhr