Neue Zeugen, brisante Bilder - Joschka Fischer und seine Vergangenheit

von Bericht: Andreas Cichowicz

Moderatorin Patricia Schlesinger zitiert aus der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 10. November 1998: "Schon ein Blick auf die Regierungsbank zeigt, was die große Mehrheit unter uns politisch geprägt hat. Diese Generation steht in der Tradition von Bürgersinn und Zivilcourage. Sie ist aufgewachsen im Aufbegehren gegen autoritäre Strukturen und im Ausprobieren neuer gesellschaftlicher und politischer Modelle."

Eigentlich hat er doch damals alles gesagt, oder? Warum beugt sich das Land jetzt fast kollektiv über die 70er Jahre, über die Vita der Symbolfigur Joschka Fischer? Liegt es wirklich nur an den Fotos, den Details, die jetzt bekannt wurden, und an der Veränderung - vom Pflasterstrand ins Ministeramt?

Viele, auch in der "Panorama"-Redaktion, möchten, dass dieser Mann Außenminister und Vizekanzler bleibt. Und wir wissen auch, dass er Feinde hat, alte und neue, innerhalb und außerhalb der Frankfurter Szene, Feinde, die jetzt viel erzählen. Aber wir wollen von ihm, gerade von ihm, auch die Ehrlichkeit, die er selbst von seiner Vätergeneration und von dem Staat, den er damals bekämpfte, eingefordert hat. "Panorama" hat sich nochmals mit den Details in der Vergangenheit von Joschka Fischer beschäftigt, und da bleiben noch so einige Fragen offen.


Marzahn, ein Stadtteil von Berlin. Neben Hochhäusern die Idylle. Dort lebte bis vor kurzem ein kleiner Gauner mit großer Klappe. Sein Name: Manfred Scholz. In einer Kneipe treffen wir Waldemar Hammer, der viel über Scholz erzählen kann. Immer wieder hat der bei ihm gewohnt, am Ende nur Schulden hinterlassen. Er erinnert sich genau daran, dass Scholz immer davon sprach, einem bekannten Politiker helfen zu müssen: Joschka Fischer.

"Der Mann hat gesagt, also er möchte verhindern, dass dem Joschka Fischer an die Karre gepisst wird und dass er selber jetzt was tun muss dafür", erinnert sich Hammer.

Telefonlisten dokumentieren, wie Scholz dem Bundesaußenminister helfen wollte, indem er Frankfurter Ermittlern scheinbar neue Erkenntnisse lieferte.


Hammer weiter: "Der Manfredo, der hat täglich die K41/42 angerufen. Ich weiß aber nicht, was das für eine Abteilung ist, ich kenne mich da nicht aus. Aber zumindest hat er jeden Tag Rechenschaft dort abgelegt und hat gesagt, was er tut und wie der Stand ist."

K41/42 in Frankfurt, eine Abteilung im Polizeipräsidium. Hier wird wegen eines Verbrechens ermittelt, das vor 25 Jahren geschah und heute wieder für Schlagzeilen sorgt. Der Mordanschlag auf einen Polizisten bei der Demonstration nach dem Tod von Ulrike Meinhof. Molotow-Cocktails verletzten ihn lebensgefährlich. Strafrechtlich ist das Verbrechen bis heute nicht verjährt. Nach der Demonstration wurden Verdächtige festgenommen, darunter auch Joschka Fischer, mangels Beweisen aber wieder freigelassen. Dass Fischer mit den Molotow-Cocktails nichts zu tun hatte, davon wollte Scholz auch eine Hamburger Journalistin überzeugen, die im Milieu recherchierte.

Die Journalistin Bettina Röhl berichtet: "Eines Tages rief mich Manfred Scholz an, und er sagte mir ziemlich schnell im Gespräch: Joschka Fischer war es nicht auf der Meinhof-Demonstration, vergiss es, es waren die Frauen. Und das war der Anfang eines wahren Telefonbombardements, das ich dann also ziemlich genervt beendet hab'. Bettina Röhl hat stundenlange Gespräche mit ihm auf Band festgehalten und immer dieselbe Botschaft.

Und Manfred Scholz weiß: "Und ich muss wirklich - ich muss immer wieder sagen: Der Joschka hat solche Aktionen nicht gut geheißen, in seiner Funktion als Häuptling. Niemals wäre Fischer bereit gewesen, Mollis zu akzeptieren."

Aber statt dessen Frauen als Täter - von dieser Theorie hielt Röhl nichts: "Also es war ziemlich schnell klar, dass das, was er vom Tathergang zu erzählen hatte, überhaupt nicht übereinstimmte mit dem, was ich bis dahin recherchiert hatte. Und von diesem Zeitpunkt an war mein Interesse nur noch eigentlich, herauszufinden, für wen arbeitet der eigentlich."

Inzwischen sitzt Manfred Scholz im Knast bei Darmstadt wegen Betrugs. Für die Staatsanwaltschaft Frankfurt ist er nach "Panorama-Recherchen dennoch d e r Kronzeuge für das damalige Verbrechen. Seine Aussagen haben dazu geführt, dass das Verfahren wieder aufgenommen wurde. Konkretes will die Staatsanwaltschaft lieber nicht sagen. Auch Hubert Harth, leitender Oberstaatsanwalt in Frankfurt bleibt vage: "In der Tat, seit einiger Zeit finden gezielte polizeiliche Überprüfungen statt. Warum das so ist, dazu möchte ich keine Stellung nehmen, weil das die Ermittlungen gefährden würde, und ich dazu im Augenblick nichts sagen kann."

Seine Version des Mordanschlags schilderte Kronzeuge Scholz so: "Die ganze Eskalation kam dadurch zustande, dass diese blöden Bullen mit ihrem blöden in diese Leute reinfuhren. Und das war sozusagen der Tropfen, der dieses Fass dort zum Überlaufen brachte. Ich dachte, also die Bullen sind ja wahnsinnig geworden. Da wurden die Mollis ausgepackt, und los ging's."

Der damalige Einsatzleiter Horst Breunig widerspricht dieser Schilderung gegenüber "Panorama" energisch: "Das ist barer Unsinn, das weiß ich ganz genau. Wir sind, wie ich schon sagte, bis etwa 30 Meter an die Demonstranten herangekommen. Dort habe ich anhalten lassen, dort habe ich meine Befehle gegeben. Und es war immer eine Distanz von mindestens 15, 20 Metern zwischen den Demonstranten und uns."

Und auch der Polizist Jürgen Weber, das Opfer, das damals nur durch Glück überlebte, erinnert sich anders: "Nein, das stimmt absolut nicht, das kann ich als absoluten Schwachsinn bezeichnen. Wie schon vorhin gesagt, betrug der Abstand Wurfweite 15, 20 Meter. Ich bin zu keinem Zeitpunkt in die Demonstranten reingefahren, um irgendeine Situation zu provozieren."

Doch ihre präzisen Erinnerungen interessierten die Ermittler nicht, bis heute. Horst Breuning berichtet: "In den ganzen 24 Jahren hat sich nie jemand von der Staatsanwaltschaft bei mir gemeldet. Ich bin zu der ganzen Angelegenheit auch nie vernommen worden." Und auch Jürgen Weber ist "von Seiten der Staatsanwaltschaft nie informiert worden und bin bis zum heutigen Tag nicht von der Staatsanwaltschaft vernommen worden."

Beide sind darüber empört. Doch Staatsanwalt Hubert Harth weicht aus: "Ich sag' Ihnen, ich kann das im Augenblick nicht beurteilen, weil ich diese Akte im Detail nicht kenne."

Nur Fahndungspannen oder verwischte Spuren? Aber nicht nur zum Tathergang hat sich der zwielichtige Kronzeuge der Staatsanwaltschaft festgelegt, auch in der Frage, wer es war - die Frauen. Manfred Scholz: ".... kamen diese Weiber da an oder diese Frauen, die RK-Weiber, wie sie genannt wurde. Ja, und die hatten natürlich ihre Munition dabei. Und die wurden auch zum Einsatz gebracht. Das war wie so'ne Gasse. Und da wurden die Mollis ausgepackt, und los ging's."

Frauen als Täter - genau diese Theorie wird jetzt in den Medien fleißig kolportiert. Motto: Neuer Zeuge entlastet Fischer. Und sogar angebliche Beweise werden zitiert, so auch ein geheimnisvolles Polizei-Video. Im Spiegel steht: "Deutlich ist zu sehen, dass eine Frau den mörderischen Brandsatz schleudert." Und die 'Süddeutsche Zeitung' schreibt: "Offenkundig schleudert eine Frau einen Brandsatz auf den Polizeiwagen."

Aber keiner der Journalisten hat dieses Video offenbar bisher gesehen. "Panorama" liegt dieses Video jetzt vor. Es ist etwa 13 Minuten lang und wurde bis heute noch nie öffentlich gezeigt. Das ist die entscheidende Szene, gefilmt von Polizeibeamten. Im Hintergrund brennt das Polizeiauto. Der Mordanschlag ist nicht zu sehen und schon gar nicht eine Frau, die einen Molotow-Cocktail wirft - nur flüchtende Menschen. Die Kameraleute in Uniform kamen zu spät. Weitere Aufnahmen zeigen Randale am Rand der Demonstration und die aufgeladene Stimmung an diesem Tag. Aber zum Tathergang liefert das Polizei-Video nichts Neues. Alles in allem: kein Beleg für eine Frau als Täter.

Und auch Jürgen Weber, das Opfer, hat ganz andere Erinnerungen als der Kronzeuge: "Diese absurde Täterinnen-Theorie ist mir aus der Presse bekannt. Ich habe mich also sehr aufgeregt, als ich das gelesen habe. Ich konnte natürlich nicht die ganze Bandbreite der Demonstranten überschauen, aber eine Person, eine männliche Person, ist mir all die Jahre in Erinnerung geblieben, den ich hab' werfen sehen, der ungefähr 1,80 Meter, etwas größer war und schulterlange schwarze Haare trug."

Doch bei der zuständigen Staatsanwalt interessiert auch diese Aussage des Opfers keinen. Die angeblich zu klaren Beweise auf dem Video - eine gezielte Falschinformation, um Fischer und seine Putzgruppe zu entlasten? Oder was sonst sollen die Aussagen des dubiosen Kronzeugen der Staatsanwaltschaft?

Hubert Harth: "Ich möchte im Augenblick aus den Ermittlungsgründen nun wirklich überhaupt keine Bewertung irgendwelcher tatsächlich vorhandener oder mutmaßlich oder angeblich, wie in der Presse verbreitet, vorhandener Beweismittel Stellung nehmen."

Und noch etwas: Inzwischen behauptet der Fischer-Freund und ehemalige Straßenkämpfer Daniel Cohn-Bendit, gar nicht auf der Meinhof-Demonstration gewesen zu sein. Im damaligen Einsatzprotokoll der Polizei, das "Panorama" vorliegt, heißt es dagegen ganz klar: "Cohn-Bendit tritt als Rädelsführer auf."

Und Joschka Fischer? Viele Fragen bleiben. Ob er auf der Demonstration war, welche Rolle er spielte, und ob er den dubiosen Kronzeugen Manfred Scholz kennt - auf all diese Fragen ließ Joschka Fischer "Panorama" am 1. Februar mitteilen, es werde von ihm keine Antworten geben. Begründung - keine.

Überraschenderweisde verkündete der hessische Justizminister am 1. Februar, dass die Frankfurter Staatsanwaltschaft den mutmaßlichen Werfer des Brandsatzes ermittelt habe, der 1976 den Polizisten so schwer verletzte. Nach "Panorama"-Recherchen stützt man sich dabei, bei dieser vermeintlichen Erfolgsmeldung, auf die Aussagen des dubiosen Zeugen Manfred Scholz, über den Sie in diesem Bericht einiges erfahren haben. Wir gehen deshalb davon aus, dass der Fall damit noch nicht gelöst ist.

Buchtipps:

Christian Schmidt: "Wir sind die Wahnsinnigen...". Joschka Fischer und seine Frankfurter Gang, Econ Verlag, München 1998

Autobiographie von Joschka Fischer: "Mein langer Lauf zu mir selbst", Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 1999

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 01.02.2002 | 21:45 Uhr