"Nutten" und "Schweine" - Was manche Politiker von Journalisten halten

von Bericht: Ilka Brecht, Sabine Platzdasch

Wie reagiert ein Politiker, wenn er etwas falsch gemacht hat und ihm das auch noch nachzuweisen ist? Wenn Parteifreunde und Ehefrau schon Abstand nehmen? Wenn selbst Mitglieder der Opposition nur noch den mitleidigen Bruderblick haben?

Was manche Politiker von Journalisten halten
Decken Journalisten Skandale von Politikern auf, wählen manche Politiker 2001 statt Konsequenzen lieber Beschimpfungen.

Nun, sie bemühen ihren Lieblingsfeind, die Medien. Die werden dann beschimpft, weil wieder mal an allem schuld. Ein Phänomen, das gerade in diesen Tagen wieder gut zu beobachten ist: bei den Herren Diepgen und Landowsky, aber auch bei Kurt Biedenkopf.

So wie damals bei Kanther, bei Lafontaine oder - das hat ja lange Tradition - bei Barschel. Journalisten sind in so einem Fall dann "Ratten und Schmeißfliegen", sagte einst Franz Josef Strauß, oder: "Wegelagerer", so Helmut Schmidt. Andererseits brauchen und gebrauchen sie eben jene so beschimpften Medienmenschen, wenn's grad' passt.

Zuweilen haben Politiker und Journalisten auch Spaß zusammen: Hans Eichel spielt Chefredakteur bei der BILD-Zeitung, ein gelungener PR-Termin. Beim FOCUS mimt Roland Koch den Redaktionsleiter. Ein Tag zum telegenen Gute-Laune-Plausch. Bei anderen Gelegenheiten beschimpft er Journalisten schon mal gern. Feindseligkeit mit Tradition.

Beispiel Otto Graf Lambsdorff: Journalisten, die die Flick-Affäre recherchierten - für ihn "Todesschwadrone".

Beispiel Oskar Lafontaine: Er sprach während der Rotlicht-Affäre vom "Schweinejournalismus.

Beispiel Johannes Rau: Für ihn waren die Journalisten während der Flug-Affäre "Wegelagerer".

Beispiel Joschka Fischer: Als sie in seiner Vita wühlten, nannte er einige "5-Mark-Nutten".

Der Chefredakteur der Zeitung "Die Woche", Hans-Ulrich Jörges bewertet das so: "Aus einer bodenlosen Enttäuschung und Wut auf Journalisten in bestimmten Situationen, wenn Journalisten nicht mehr so funktionieren, wie es die Politiker eigentlich über viele Jahre gewohnt waren, dass sie nämlich unterwürfig waren, devot waren, den Politikern den Bauch gepinselt haben, ihre Karrieren begleitet haben, sie nach oben geschrieben haben. Wenn irgendwann dieser im Prinzip immer - aus meine Sicht - immer ausgeprägtere Herdentrieb mal umschlägt in einen kritischen Herdentrieb, dann fasst das die Psyche des Politikers nicht mehr."

Heribert Prantl, Autor bei der "Süddeutschen Zeitung", weiß: "Solche Ausdrücke fallen vor allem dann, wenn Politik oder Politiker gemerkt haben, sie haben einen furchtbaren Fehler gemacht. Dann macht man das, was man seit wahrscheinlich vielen hundert Jahren macht, man sucht einen Sündenbock, und der Sündenbock ist dann der, der die schlechte Botschaft zu transportieren hat. Das sind wir, die Journalisten."

Und die haben in der Vergangenheit so manches ans Tageslicht gebracht, was eigentlich verborgen bleiben sollte. Immer wieder haben sie enthüllt, was den Mächtigen unangenehm war. Aufklärung nennen das die Journalisten, Medienkampagne die ertappten Politiker.

Beispiele: die Flick-Affäre

oder: die Luxusreisen des Ministerpräsidenten Späth

oder: der Skandal um die Neue Heimat

auch: die Prügelvergangenheit von Außenminister Fischer

und: der Spendensumpf der CDU.

Prantl: "Man kann dann politische Skandale auch positiv sehen. Man muss nicht nur sagen: Das sind die großen Unfälle unserer Demokratie, sondern man kann auch sagen: Unsere Demokratie funktioniert, weil jedenfalls Medien, weil der Journalismus in der Lage ist, aufzudecken, und weil es nicht immer gelingt, die Dinge - Skandale - unter den Teppich zu kehren."

Recherchieren, Informationen sammeln, Nachfragen, Dranbleiben - eigentlich der Job eines politischen Journalisten. Aber genau diese Aufgabe wird immer schwieriger.

So auch für Thomas Leif vom Journalisten-Netzwerk "Recherche". Er wollte wissen, warum Bund und Länder Steuergelder für sinnlose Gutachten verschwenden. Deshalb fragte er bei jeder Länderregierung nach, wie viele Gutachten sie in Auftrag gegeben hätten. Eigentlich eine einfache Frage. Das Ergebnis: "Nur ein Bundesland, Schleswig-Holstein, hat ausführlich geantwortet und auch den Hinweis gegeben, dass die Gutachten im Internet zu finden sind. Alle anderen waren ausweichend oder abwartend und wollten sozusagen die Fragen nicht beantworten. Man kann sagen: Die meisten stehen auf der Informationsbremse, blockieren, wollen ausweichen und geben Informationen nach Gutsherrenart, gerade das, was sie wollen."

Jörges erzählt: "Wenn man nicht in eine Strategie reinpasst, wenn der Interview-Antrag zum falschen Zeitpunkt kommt, wenn man vorher unangenehm aufgefallen ist durch kritische Kommentare oder kritische Geschichten, dann wird man mal auf eine gewisse Zeit lang auf Eis gelegt und kriegt keinen Termin mehr. Das ist alltägliche Erfahrung."

Warten auf den Politikerauftritt für das kurze Statement - Routine. Die Ausnahme dagegen: längere Interviews, kritische Nachfragen - bei Politikern immer weniger willkommen. Bisweilen deshalb auch schon mal der Interviewabbruch nach Gutsherrenart.

Interviewabbrüche, die zum Beispiel so lauten können:

"Also lassen Sie bitte mal solche Unverschämtheiten hier aus dem Rahmen, dann können Sie das Interview alleine machen."

"Nein, nein, .... alleine machen."

"..... Hören Sie mir mal zu, Sie sind doch wohl nicht zu retten. Sie glauben doch nicht, mir ständig hier dazwischenquatschen zu können. Was glauben Sie eigentlich, wen Sie vor sich haben."

"Ich mag jetzt nicht mehr, es tut mir schrecklich leid."

Das Berliner Büro eines Strippenziehers: Hans Hermann Tietje, ehemaliger BILD-Chef und Berater von Ex-Kanzler Kohl. Er kennt beide Seiten, weiß, wie es Politiker am liebsten hätten, was sie tun müssen, um sich als Erfolgsmenschen zu profilieren:

"Politiker spannen die Presse ein rund um die Uhr. Politiker spannen die Presse ein, wo es nur grade geht. Politiker suchen den Kontakt zur Presse, Politiker nutzen die Presse, Politiker benutzen die Presse. Politiker machen das im Grunde wie Schauspieler. Die gehen zur Presse hin und sagen: Wir haben diese und jene Botschaft, und seid ihr oder bist du nicht derjenige, der sie am liebsten und gerne verbreitet in meinem Sinne. Also Politiker machen sich bei jeder Gelegenheit mit der Presse gemein."

Und umgekehrt. Manche Journalisten kungeln mit Politikern, transportieren die Themen, die die Politiker für wichtig halten, um beim Wähler anzukommen.

So räsonniert die Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf gerne in der BILD-Zeitung, auch über Werte und Windeln. Im gleichen Massenblatt kämpft auch der Kanzler um den Stammtisch. Kein Recht auf Faulheit. Und Rudolf Scharping legte Hand an sein Image - bei Biolek. Menschelnder Auftritt mit gräflicher Freundin. Und Helmut Kohl weiß: er kann die Welt am Sonntag als Sprachrohr nutzen.

Sie dagegen war nie Darling der Medien. Der Skandal um BSE zwang sie zum Rücktritt: Andrea Fischer, ehemalige Gesundheitsministerin. Eine der wenigen, die dennoch nicht auf die Medien schimpfte, trotz schlechter Erfahrungen:

"Ich fand's manchmal bedrohlich, wie gesagt, wenn da so eine Mauer von Kameras und Mikrophonen vor mir stand und ich auch gar keine Chance hatte, ohne ein Wort da wegzukommen. Also, das ist ja eine schwierige Situation. Sagen Sie: Ich will jetzt nichts sagen, ist es trotzdem auf allen Filmen drauf. Oder sagen Sie: Lassen Sie mich in Frieden, dann wirken Sie irgendwie unsouverän. Das ist eine No-win-Situation. Das heißt: Sie müssen dahin gehen und sagen: Okay, ich will euch jetzt eine Botschaft geben, obwohl man eigentlich keine hat."

Erzwungene Nullsätze - auch weil immer mehr Medien nur schnelle Häppchen brauchen. Allein 3.000 Journalisten sind im Berliner Bundestag akkreditiert, Tendenz steigend. Politiker und Medien, sie beschimpfen sich, sie benutzen sich, aber sie brauchen sich.

Prantl streitet die Symbiotik auch nicht ab: "Natürlich ist es irgendwo ein symbiotisches Verhältnis zwischen Journalist und Politiker. Der eine braucht den anderen. Jetzt gibt's ja, wenn ich einen kleinen Sprung mache, auch in der Biologie bekanntermaßen symbiotische Verhältnisse. Da gibt's dann, na Gott, was gibt's da - Nashorn und Madenpicker und den Hai und den Putzerfisch. Und dann kann man sich im Einzelfall dann fragen beim Verhältnis Journalist und Politiker, wer der Hai ist und wer der Putzerfisch."

Wie auch immer. Hai und Putzerfisch - das innige Verhältnis hält sie am Leben - und uns auch.

Weiterführende Informationen zu diesem Thema:

Literatur:

Ludger Reuber: Politik im Medienzirkus

Verlag der Universitätsbuchhandlung Blazek und Bergmann

Frankfurt am Main, DM 24,90

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 07.06.2001 | 21:00 Uhr