Verbrannt im Pflegebett - Defekte Technik tötet hilflose Menschen

von Bericht: Wiebke Huhs, Annette Krüger-Spitta

Es gibt viele Menschen, die sich kaum mehr rühren können, die vollkommen auf fremde Hilfe angewiesen sind. Alleine aufstehen oder sich auch nur im Bett aufsetzen geht nicht mehr. Aber es gibt wenigstens ein paar technische Hilfsgeräte, die ihnen das Leben ein bisschen erleichtern: elektrisch verstellbare Betten zum Beispiel, bei denen man Fuß- oder Kopfteil per Knopfdruck bewegen kann. Rund eine Million gibt es davon in Deutschland. Aber ausgerechnet die können für die Menschen zur tödlichen Gefahr werden.

Pflegebetten: Defekte Technik tötet hilflose Menschen
Ein Bericht von 2001 über elektrisch verstellbare Pflegebetten, in denen bereits mehrere Menschen verbrannt sind.

Als sich das elektrische Pflegebett in einer Privatwohnung in Buchholz entzündet, schläft die 85-jährige Mieterin. Die Nachbarn bemerken den Qualm, rufen sofort die Feuerwehr. Aber die kann bei der Frau nur noch den Tod feststellen.

Ein weiterer Fall ereignet sich in Zweibrücken in Rheinland-Pfalz. Ein Brand in einem Altenheim. Ursache ist hier vermutlich das Netzkabel des elektrischen Pflegebettes. Die bettlägrige 80-jährige bemerkt das Feuer. Voller Panik klingelt sie nach der Schwester - zu spät.

Ulrike Hirth von der "Arbeiterwohlfahrt Pfalz" sagt später dazu: "Da muss es schon gebrannt haben, als der Schwesternruf abging. Und der Motor ist zentral unterm Bett angebracht. Das heißt, die Matratze geht in Flammen auf, und da hat keiner eine Überlebenschance."

Dann passiert es in Krefeld: Im zweiten Stock eines Altenpflegeheims bricht Feuer aus. Wahrscheinlich ist eine Flüssigkeit in den Motor des elektrischen Pflegebetts gedrungen und hat einen Kurzschluss verursacht. Die Bewohnerin stirbt qualvoll. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung.

Wenn Pflegebetten brennen, muss das gemeldet werden, beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn, denn Pflegebetten sind Medizinprodukte. In den letzten Jahren hat Dr. Roger Grase hier 18 neue Mappen angelegt für 18 Brände von Pflegebetten. Grase hat die Ursachen erforschen lassen, vom Bundeskriminalamt, vom TÜV und von eigenen Sachverständigen. Die haben die Brandursache in den meisten Fällen herausgefunden.

Dr. Roger Grase vom Bundesinstitut für Medizinprodukte fasst das Ergebnis zusammen: "Nach unserer Erkenntnis liegen die Brandursachen in der Verkabelung, in den Netzkabeln, die die Zuleitung zu den Motoren sind. Eventuell auch bei den Motoren selbst, falls Flüssigkeit in die Motoren eingedrungen ist und es zum Kurzschluss geführt hat."

Ein TÜV-Sachverständiger für Medizinprodukte zeigt, wie das passieren kann. Das Netzkabel kann leicht beschädigt werden, wenn es ohne Knickschutz einfach herunterhängt, sich zwischen dem Metallrahmen verheddert und eingeklemmt wird. Eine weitere Gefahr ist der Motor, der direkt unter der Matratze in der Mitte des Bettes ist. Wenn er feucht wird, etwa durch Urin, kann es passieren: ein Kurzschluss, ein Funke, und das Bett fängt Feuer.

"Wir beurteilen das äußerst gravierend und halten Maßnahmen unmittelbar für erforderlich", sagt Dr. Roger Grase. "Denn in 14 Fällen haben diese Brände ja zu Todesfällen geführt."

In deutschen Pflegeheimen herrscht deshalb Aufregung . Die Heimbetreiber müssen - auf Anordnung der Gesundheitsministerien - alle Betten überprüfen. Panorama begleitet den Sachverständigen und eine leitende Pflegekraft bei einer solchen Prüfung in Hamburg. Schon beim ersten Bett ist das Urteil eindeutig: "Das Netzkabel muss getauscht werden", resümiert der TÜV-Sachverständige für Medizinprodukte Torsten Zimmer. "Ich denke, die Primärsicherung ist auch nicht vorhanden, so dass die angebracht werden muss. Es sind zusätzliche Zugentlastung, Knickschutz usw. an diesem Bett zu integrieren."

Was passiert also in Folge mit dem Bett? "Vom Netz trennen", urteilt Torsten Zimmer und beugt sich über Zufallsbett Nummer 2 von einem anderen Hersteller. "Hier kann man sehen, dass der Antriebsmotor für die Höhenverstellung abgerissen ist. Auch dieses Bett ist sofort vom Netz zu trennen und nur noch eingeschränkt zu betreiben." Der Grund: "Weil hier dort auch die EPR-Leitung, also die hochqualitative Netzzuleitung fehlt, der Feuchtigkeitsschutz fehlt, und speziell dieses Bett extrem mechanisch vorgeschädigt ist, so dass dort zwingend Reparaturmaßnahmen erforderlich sind."

Für das Pfelegepersonal heißt das, dass sie die Betten ab sofort nicht mehr bedienen dürfen. Und das trifft nach dem Urteil von Torsten Zimmer ebenfalls für das Pflegebett Nummer 3 zu: "Ähnlich wie bei den vorherigen Betten, die wir uns angesehen haben, fehlt der Tropfwasserschutz, es fehlt die hochwertige Netzzuleitung und der Knickschutz, so dass dort auch wieder zwingend eine Umrüstung erforderlich ist, und bis dahin sind die Betten vom Netz zu trennen."

Insgesamt prüft Torsten Zimmer sechs Betten. Das Ergebnis: Sechs Betten müssen vom Netz. Der Heimleiter wird vom Prüfer darüber informiert, dass alle untersuchten Betten und wahrscheinlich die Betten im ganzen Heim umgerüstet werden müssen. Der Befund erschreckt ihn. Noch mehr aber alarmieren den Heimleiter Wolfgang Korn die Kosten: "Wir sind ein Haus mit 195 Betten, und wir haben ca. 120 Elektrobetten hier, die dann umgerüstet werden müssen. Und bei je 200 bis 650 Mark kommt schon ein stolzer Preis zusammen."

Und den bezahlt immer derjenige, dem das Bett gehört. Das sind nicht nur Pflegeheime, sondern auch Tausende von Privatleuten, die ein solches Bett zu Hause haben. Auf Pflegeheime, Kassen und Privatleute kommt jetzt einiges zu. Das sagt auch der TÜV-Sachverständige Torsten Zimmer: "Wenn wir davon ausgehen, dass die Umrüstung pro Bett ca. 200 DM an reinen Materialkosten verursacht und wir in der schlimmsten Betrachtung 1,3 Millionen Betten am Markt umrüsten müssen, führt das zu einer Gesamtsumme von 260 Millionen an reinen Materialkosten zuzüglich den Arbeitslöhnen, die für die Arbeiten halt aufgebracht werden müssen."

Insgesamt könnte das leicht die Milliardengrenze überschreiten, so die Befürchtungen. Verdienen werden daran die Hersteller und Händler, wie schon beim Verkauf der heute bemängelten Pflegebetten.

Im Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik sind die Händler organisiert. Sie räumen zwar eine gewisse Mitverantwortung ein, die Hauptschuld aber trage jemand anderes, so Dieter Korn vom Bundesinnungsverband: "Der Hersteller ist für sein Produkt verantwortlich. Wenn er im Detail gespart hat, da konnten wir als In-Verkehr-Bringer, wie es so schön heißt, nicht reingucken." Die Nachfrage von PANORAMA: "Wer hätte denn die Betten testen müssen?" "Tja, der Test findet ja meist im Markt statt, da, wo es gebraucht wird." "Das ist in diesem Fall ja auch passiert", stellt die Interviewerin fest.

Die Antwort von Dieter Korn: "Das ist in diesem Fall so passiert, das ist richtig." "Wie ist denn der Test ausgegangen?" "Es sind leider Menschen im Bett umgekommen."

Dietrich Tabelander vertritt die Hersteller und ist Vorsitzender des Industrieverbandes und zugleich Geschäftsführer der Firma Stiegelmeyer. Auch Stiegelmeyer-Betten haben im letzten Jahr gebrannt. Trotzdem - die Hersteller weisen jede Schuld von sich, so Dietrich Tabelander vom Industrieverband Krankenhaus- und Pflegeeinrichtungen:

"Wir haben ja sichere Betten konstruiert. Wir haben die vorgegebenen Normen und Sicherheitsstandards immer eingehalten. Nun hat das BKA detaillierte Überprüfungen gemacht und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das, was die Industrie bietet, was in den Normen enthalten ist, nicht sicher genug ist, und aufgrund dessen die Nachrüstung gefordert über das Bundesinstitut für Arzneimittel."

Die Reporterin fragt nach: "Aber warum konnten die Hersteller nicht selbst sehen, dass ihre Produkte nicht sicher genug sind?" "Das müssen die Hersteller im Einzelnen fragen, dazu kann ich von Verbandsebene nichts sagen." "Sie sind aber auch Hersteller. Was sagen Sie als Hersteller dazu?"

Dietrich Tabelander antwortet "Wir als Hersteller haben die Normen immer eingehalten. Wir haben die neuen Erkenntnisse, was Sicherheitstechnik betrifft, immer einfließen lassen. Und so haben wir unsere Betten den Kunden zur Verfügung gestellt." "Wie erklären Sie sich denn, dass offenbar diese Sicherheitsmaßnahmen nicht ausgereicht haben", will die Interviewerin wissen.

"Dafür habe ich keine Erklärung." "Das heißt aber in der Konsequenz, dass die Betten erst anders konstruiert worden sind, nachdem Menschen gestorben sind." Dietrich Tabelander: "Ja."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 09.08.2001 | 20:25 Uhr