Bomben gegen Afghanistan - Tote Zivilisten, zunehmende Proteste

von Bericht: Sabine Platzdasch, Larissa Scheler, Peer Vorderwülbecke

Wer würde schon tatsächlich auf die Idee kommen, eine Nadel im Heuhaufen zu suchen? Genauso gestaltet sich aber die Jagd nach Osama Bin Laden. Das hat der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wörtlich zugegeben: Es ist die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Und wir alle suchen mit, weil wir nichts Genaues wissen und weil wir nichts Überprüfbares erfahren. Bis vor kurzem noch waren Zweifel am Militärschlag gegen Afghanistan auch in Deutschland weitestgehend tabu. Doch langsam beginnen sich auch die "Heute sind wir alle Amerikaner"-Vertreter zu fragen, wohin dieser Krieg führen soll, denn die Bilder aus Afghanistan haben sich verändert.

Am Anfang war der Krieg nur grün, und deshalb anonym und weit weg - irreal wie Szenen aus einem Computerspiel. Im Kopf diese Bilder. Ein Grauen, das nach einer schnellen Reaktion verlangte. Und als Bush dann reagierte, waren fast alle an seiner Seite.

Gerhard Schröder verkündete: "Meine Damen und Herren, ich habe dem amerikanischen Präsidenten die uneingeschränkte - und ich betone: die uneingeschränkte Solidarität Deutschlands zugesichert." Schröder sagte das, was die meisten dachten: gezielte Bomben als zulässiges Mittel gegen den Terror.

Richard Hilmer vom Meinungsforschungsinstitut infratest dimap: "Zu Beginn der Bombardements machte sich bemerkbar, dass die Solidarität mit der USA sehr groß ist, und auch die Zustimmung zu dem Bombardement, zu den Attacken war in der Bevölkerung in Deutschland insgesamt sehr hoch."

Der Krieg begann am 7. Oktober, 20.30 Ortszeit. 26 Tage später ist die Wahrnehmung des Krieges eine andere. Keine grünen Bilder mehr, sondern tote Kinder. Propaganda-Aufnahmen, behaupten die Amerikaner, bestreiten aber nicht, dass es zivile Opfer gibt. Opfer und Bilder, die auch in Deutschland Wirkung zeigen.

Richard Hilmer: "Mit der Zeit ist die Unterstützung noch etwas zurückgegangen insofern, als man sich durchaus vorstellen könnte, einen Stopp des Bombardements vorzunehmen, um die Bevölkerung zu versorgen mit Medikamenten, mit Nahrungsmitteln."

Und es wachsen die Zweifel, ob die Kanzlerparole der uneingeschränkten Solidarität richtig war.

Peter Scholl-Latour, Publizist und Kriegsberichterstatter dazu: "Ich finde sie töricht, nämlich sie geht nicht an die Adresse der Bevölkerung der USA, mit der wir uns voll solidarisch erklären könnten, sondern an den Mann, der alles zu entscheiden hat, der auch die absolute Macht besitzt, das ist der amerikanische Präsident. Und George W. Bush - ich will nicht über ihn herziehen, aber er hat bisher noch nicht den Beweis erbracht, dass er über große politische und strategische Fähigkeiten verfügt."

Die strategische Bilanz in der vierten Kriegswoche: Die Nordallianz ist erfolglos, hat kaum Landgewinne zu verzeichnen. Einer ihrer wichtigsten Führer wurde von den Taliban liquidiert. Die Luftabwehr der Taliban scheint - entgegen bisherigen Behauptungen - nicht vollständig zerstört zu sein. Und Bin Laden wurde noch nicht gefunden. Ein Ende des Taliban-Regimes ist nicht in Sicht.

Peter Scholl-Latour: "Es ist offenbar überhaupt keine Planung gemacht worden, wie man diese Taliban von innen zu Fall bringen kann. Man hat auch nicht bedacht, dass man durch diese Bombardierung selbst die Gegner der Taliban, aber die ja mit betroffen sind durch die Bomben, mit den Taliban in eine gewisse Solidarität hineintreibt."

Und so verbünden sich Tausende von Fundamentalisten nicht nur in Pakistan gegen die USA und für Bin Laden, immer mehr Demonstrationen, Gewalt und Hass. Deshalb westliches Krisenmanagement, D-Mark, Dollars und Durchhalteparolen, hektische Reisen durch die Nachbarstaaten. Gestern noch Schurken, heute Freunde. Das Interesse an den neuen Verbündeten ist jetzt riesengroß.

Peter Scholl-Latour: "Ja, ich weiß nicht, was das alles soll. Wenn es darum geht, gute Geschäfte mit Indien und mit China zu machen, ist ja alles in Ordnung. Aber man soll sich doch in Deutschland nicht einbilden, dass man nun den Pakistani zureden muss oder dass man Erklärungen abgeben muss, wie der Außenminister: Wir sind gegen den Stopp der Bombardierung. Das geht die Deutschen doch gar nichts an im Moment, sie haben ja gar keine Entscheidungsgewalt über den Krieg."

Die Lage für die Zivilbevölkerung wird nach 26 Tagen Dauerbombardement immer bedrohlicher, ihnen zu helfen, so gut wie unmöglich. Vier Lager des Roten Kreuzes sind durch US-Angriffe zerstört, versehentlich. Doch Millionen von Menschen sind auf Hilfslieferungen angewiesen, Zehntausende auf der Flucht. Es fehlt an allem: Wasser, Nahrung, Medikamente.

"Unsere Nachschublinien sind unterbrochen, unsere Kollegen können nicht mehr vor Ort sich so bewegen, wie es notwendig wäre", so Erhard Bauer von der Welthungerhilfe. "Wir haben keinen direkten Zugang mehr zu den Bedürftigen, und dadurch wird unsere Arbeit sehr stark eingeschränkt."

Und Edith Wallmeier von CARE Deutschland: "Die Hilfslieferungen müssen jetzt anlaufen in den nächsten Tagen, um die Menschen rechtzeitig vor dem Winter erreichen und schützen zu können sozusagen. Der Wintereinbruch steht direkt vor der Tür. Die Winter dauern in der Regel zwischen sechs und sieben Monaten in Afghanistan. Um eine humanitäre Katastrophe verhindern zu können und verhindern zu können, dass diese Menschen schlichtweg verhungern, müssen wir jetzt unsere Hilfsmaßnahmen anlaufen lassen können."

Auch die Grünen-Chefin Claudia Roth forderte deshalb eine Feuerpause. Vergebens, trotz breiter Zustimmung.

"Unmittelbar nach der Forderung gab es eine große Zustimmung," berichtet Richard Hilmer. "70 Prozent waren dafür, dass das Bombardement eingestellt wird, um die Bevölkerung zu versorgen in Afghanistan. Das traf eben offensichtlich auf Zustimmung über sämtliche Parteien hinweg. Selbst Anhänger auch der Union befürworteten dies mehrheitlich. Dass es bei den Grünen auf breite Zustimmung stieß, bei den Grünen-Anhängern, versteht sich von selbst."

Gerhard Schröder: "Frau Roths Stellungnahme ist die Stellungnahme von Frau Roth, das ist nicht die Politik der Bundesregierung, und es wird auch nicht die Politik der Bundesregierung werden."

Und vor Ort brodelt es weiter. Bin Laden wird für viele zum Idol. Heute sind wieder 1.000 bewaffnete Pakistaner nach Afghanistan gezogen, neue Kämpfer für die Taliban, Bin Laden und den heiligen Krieg. Die Situation eskaliert, immer bedrohlicher das Szenario.

Peter Scholl-Latour: "Ein Flächenbrand, ein Flächenbrand. Afghanistan ist im Grunde ein Land ohne politische Bedeutung. Afghanistan ist nur die Zielscheibe, weil Osama Bin Laden, also dieses Phantom, muss man eigentlich sagen, sich dort aufhält und seine Qaida, die dort allerdings ihre Schlupfwinkel hat, nicht ihren Stützpunkt, ihre Schlupfwinkel. Und wenn es übergreift auf Pakistan, ist der Schaden unermesslich.

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Das Erste | Panorama | 01.11.2001 | 21:00 Uhr