Bargeld statt Medikamente - Der skrupellose Handel mit Rezepten

von Bericht. Thomas Berndt und Rainer Kahs

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Das Apotheken-Logo © dpa Foto: Maurizio Gambarini

Auch Apotheker sind in Deutschland sicher keine Vertreter einer notleidenden Branche. Trotzdem haben wohl so einige von ihnen unser ja bekanntlich für Betrug recht anfälliges Gesundheitswesen für sich nutzbar gemacht - auf Kosten der Elenden und Hilflosen in unserer Gesellschaft. Sie haben ein ganz eigenes Abrechnungssystem zu ihren Gunsten entwickelt. Das brachte zum Beispiel viele aidskranke und drogenabhängige Patienten um ihre dringend benötigten Medikamente und den Apothekern so einige Tausender im Monat extra.

Über skrupellose mutmaßliche Betrüger in einem sonst sehr ehrenwerten Beruf berichten Thomas Berndt und Rainer Kahs.

KOMMENTAR:

Unangemeldeter Besuch in einer Bremer Apotheke. Die Besitzerin aber ist kamerascheu, flüchtet ins Hinterzimmer. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Abrechnungsbetrug. Auch hier soll skrupellos mit Rezepten gehandelt worden sein.

Skrupelloser Handel mit Rezepten
Apotheken-Betrug: Ein Bericht von 2000 über Machenschaften einiger Apotheken auf Kosten von Patienten.

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INTERVIEWER:

"Wir hätten gerne die Inhaberin der Apotheke gesprochen."

APOTHEKERIN:

(Apotheke am Sielwall)

"Die ist nicht da jetzt."

INTERVIEWER:

"Wir haben doch grade angerufen, da war sie noch da."

KOMMENTAR:

Und das ist der Stoff, mit dem sich schnell und viel Geld verdienen lässt. Zum Beispiel Retrovir, ein Mittel der Aidstherapie. Bis zu 3.000 Mark kostet die Behandlung pro Monat.

Heiß begehrt ist der Stoff vor allem in der Bremer Drogenszene, denn mehrere Apotheken sollen für das Rezept Bargeld über den Tresen schieben statt Medikamente. 300 Mark kassiert der Drogensüchtige, bis zu 3.000 rechnet die Apotheke mit der Krankenkasse ab, ohne das Mittel je verkauft zu haben - Betrug.

In einem Interview, das wir im Studio verfremdet haben, bestätigt ein Zeuge den kriminellen Handel. Mehrfach hat der Drogenabhängige seine Rezepte verkauft. Die Sucht war ihm wichtiger als eine Aidstherapie.

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ZEUGE: (Stimme verändert)

"Ich bin da rein, wenn es voll ist, macht der Apotheker mir ein Zeichen, dass ich einen Moment warten soll. Dann in den Hinterraum, da haben wir uns kurz unterhalten. Ich gebe ihm das Rezept, er greift in die Schublade, holt 300 Mark raus, bar auf die Hand und tschüß. Das ist normal. So eine Apotheke hat einen festen Kundenkreis von 10 bis 15 Leuten."

KOMMENTAR:

Bargeld statt Medikamente. In Bremen sollen mindestens fünf Apotheken beim Rezeptbetrug abkassiert haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Vor der Kamera bestreiten die Verdächtigen allerdings jegliche Beteiligung.

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APOTHEKER:

(Apotheke am Dobben)

"Hab‘ ich nichts mit zu tun, hab‘ ich wirklich nichts mit zu tun. Es wird ermittelt, werden alle natürlich im Viertel verdächtigt, aber damit habe ich nichts zu tun."

INTERVIEWER:

"Wir haben richtig Zeugenaussagen, die sagen: Wir haben in der Centauren-Apotheke unsere Rezepte gut los werden können gegen Geld."

APOTHEKER:

(Centauren-Apotheke)

"Das halte ich für eine Verleumdung. Ich muss allerdings sagen, ich habe in letzter Zeit selbst zwei Leute hier rausgeschmissen, zwei Kokser, die mich selbst betrogen haben."

INTERVIEWER:

"Haben Sie andere Apotheken in Verdacht?"

APOTHEKER:

"Ja, aber Sie sehen, auch mein Name wurde da genannt. Ich habe immer grade von Junkies und Ex-Junkies dieselben Namen gehört. Aber - was soll man sagen? Ich möchte mich da also nicht zu äußern."

INTERVIEWER:

"Haben Sie in dieser Sache schon einen Anwalt eingeschaltet?"

APOTHEKER:

(Apotheke am Dobben)

"Lassen Sie mich das bitte alles in Ruhe machen. Ich möchte jetzt weiter arbeiten.

Okay? Tschüß."

KOMMENTAR:

Rezepte für die besonders teuren Aids-Medikamente sind jedenfalls reichlich auf dem Markt. Dieser Arzt zum Beispiel hat einigen seiner Patienten pro Monat die fünffache Dosis verschrieben, Rezepte insgesamt im Wert von rund 15.000 Mark. Alle wurden bei Apotheken eingelöst, die Krankenkasse hat’s bezahlt. Der Arzt beteuert, dabei nichts extra abkassiert zu haben.

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DR. HARALD KREUZMANN:

(Arzt)

"Also es ist so, dass wir natürlich bei den Patienten nachgefragt haben. Nur - es ist eben leider so gewesen, dass die Patienten gesagt haben, dass diese Rezepte verloren sind, gestohlen sind und sie diese Medikamente notwendig bräuchten."

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ZEUGE: (Stimme verändert)

"Es gibt Leute, die das Rezept kriegen, aber das Medikament noch nie genommen haben. Die sagen sich: Ich hab‘ eh nur noch kurze Zeit, 300 Mark, dafür kann man sich dann was zur Betäubung kaufen."

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INTERVIEWER:

"Das hat Ihnen gereicht, dass sie sagen: Das habe ich verloren?"

DR. HARALD KREUZMANN:

"Das hat uns sicherlich gereicht, weil wir ja primär für den Patienten da sind und dafür da sind, dass der Patient sozusagen eine ausreichende Menge an Medikamenten hat."

KOMMENTAR:

Das Wohl der Patienten hat auch die Staatsanwaltschaft Bremen im Blick. Sie hat die Ermittlungen aufgenommen. Der Vorwurf lautet: Betrug. Vorerst nur gegen einige Apotheker, die aber haben schon mal einen Rechtsanwalt geschickt, um mit der Staatsanwaltschaft ins Geschäft zu kommen. Möglicherweise: Rückzahlung der Schadenssumme gegen Strafmilderung.

Auch in Niedersachsen kennt man den illegalen Handel mit Rezepten. Bremen aber gilt als Hauptumschlagplatz. Das belegen erste Ermittlungen der AOK. Die Kassen werden bei der Abrechnung betrogen, d. h. am Ende jeder Versicherte. Eine Sonderkommission der AOK verfolgt akribisch den Weg verdächtiger Rezepte.

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KLAUS ALTMANN:

(AOK Niedersachsen)

"Wir haben durch unsere Untersuchungen herausgefunden, dass bestimmte hochpreisige Präparate, also teure Rezepte, auf wundersamem Wege von Niedersachsen zu ganz bestimmten Bremer Apotheken gelangt sind."

INTERVIEWER:

"Also aus dem entfernten Niedersachsen?"

KLAUS ALTMANN:

"Ja, an verschiedenen Orten, aber jedenfalls über eine Entfernung hinweg, die überhaupt nicht plausibel ist."

KOMMENTAR:

Aber auch bei anderen Medikamenten in der Preisklasse über 1.000 Mark, zum Beispiel bei den Krebspräparaten, gibt es einen schwunghaften Handel, so die Kassenprüfer.

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INTERVIEWER:

"Werden Sie fündig?"

AXEL KNOLL:

(AOK-Ermittlungsstelle)

"Ja, doch, vielfach, in allen Bereichen halt, wo man reingreift, da findet man auch was."

KOMMENTAR:

Und wie zum Beweis kommt nach unserem Interview eine Apothekerin in die AOK-Zentrale. Sie hat offenbar Angst bekommen. Mehrfach betrog sie mit teuren Krebs-Rezepten. Die AOK fand Beweise. Jetzt will die Apothekerin mit einem Scheck die Kasse besänftigen, vielleicht Strafmilderung erreichen. Das ist der Scheck: über 110.000 Mark. So was ist nicht ungewöhnlich, sagen die Ermittler.

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KLAUS ALTMANN:

"Also, wir haben festgestellt, dass über die zwei Jahre jetzt einige Millionen Mark - das ist schwer zu quantifizieren - aber in zweistelligem Bereich 10 bis 20 Millionen Mark schon zusammengekommen sind. Man ist doch jeden Tag irgendwie wieder ein bisschen von neuem empört darüber, welche Ausmaße das alles annimmt und welche kriminellen Strukturen da offenbar werden."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 10.02.2000 | 21:15 Uhr