Landtag als Familienbetrieb - Bayerische Abgeordnete versorgen ihre Angehörigen

Anmoderation

CHRISTOPH LÜTGERT:

Unsere Gesellschaft ist insgesamt in Unordnung geraten - Schwule wollen heiraten, eine Frau darf ausgerechnet in der CDU Parteivorsitzende werden. Und für’s Privatfernsehen lebt man wochenlang im Container und lässt sich vielleicht noch auf dem Klo filmen. Es geht mit uns bergab. Gut und tröstlich, dass gerade in diesen schlechten Zeiten der Freistaat Bayern ein Hort der Sittlichkeit und Stabilität ist. Hier werden echte Werte weiter hochgehalten. In Bayern gilt die Familie noch etwas. Da sorgen der Familienvater oder die Mutter für die ihren. Allen voran Parlamentarier als echte Vorbilder wahrer Nächstenliebe.

Bayerischer Landtag als Familienbetrieb
Ein Bericht von 2000 über Vetternwirtschaft im Bayerischen Landtag.

Zu diesem Loblied jetzt der Film von Justus Kaufhold und Anja Reschke.

KOMMENTAR:

Hinang im Allgäu. Dieser Hof ist ein Familienbetrieb. Sonja Zengerle ist nicht nur Tochter, sondern auch Angestellte ihres Vaters, dem bayerischen Landtagsabgeordneten Josef Zengerle. Gleich neben der urigen Wohnstube arbeiten sie Seit‘ an Seit‘. Sonjas Monatsverdienst: 1.900 Mark netto. Dafür erledigt sie wichtige Aufgaben.

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SONJA ZENGERLE:

"Es ist der tägliche Posteingang zuerst, das ist eine ganze Menge. Die gehe ich erstmal gründlich durch. Und dann sind viele Einladungen dabei, das heißt gleichzeitig Terminabstimmungen. Wenn wichtige Sachen dabei sind und er hier ist, gehen wir es gemeinsam durch."

KOMMENTAR:

Das Gehalt für Sonja gibt’s vom Landtag und damit vom Steuerzahler. Vater Zengerle findet das vollkommen normal.

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JOSEF ZENGERLE:

(Bayer. Landtagsabgeordneter, CSU)

"Ob ich jetzt einer anderen Person das Geld bezahle oder jetzt meiner Tochter - und wenn sie vielleicht die nächsten Monate heiratet, dann ist es vielleicht nicht mehr das Thema, dann hat sie einen anderen Namen."

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SONJA ZENGERLE:

"Wieso soll’s der Vater nicht machen, ich war schon drin in der Materie, weil ich’s nebenberuflich schon gemacht hab‘, und wieso soll er da eine Wildfremde einstellen, die wo nicht wo flexibel im Arbeiten ist."

KOMMENTAR:

Flexibel und allzeit bereit. Für viele bayerische Abgeordnete die Begründung für ihren Familienbetrieb. Für die Diätenkommission des Bayerischen Landtags wenig überzeugend.

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JOHANN SCHMIDT:

(Diätenkommission Bayer. Landtag.)

"Da kann ich nur sagen, es gibt Krankenschwestern, es gibt Ärzte, es gibt Trambahnschaffner, die auch zu anderen Zeiten arbeiten müssen. Es ließe sich mit Sicherheit jemand finden gegen ordentliche Bezahlung, und dafür ist ja der Betrag da, der auch in der Abendstunde zum Diktat bereit ist und die Post liest oder was sonst immer tut."

KOMMENTAR:

Dass Abgeordnete ihre Verwandtschaft mit Jobs versorgen können, gibt es nur im Bayerischen Landtag. Jeder Parlamentarier bekommt für Mitarbeiter eine Pauschale von bisher knapp 5.700 Mark. Wen er davon beschäftigt, entscheidet er - einen wissenschaftlichen Mitarbeiter, eine Schreibkraft, die Frau, die Tochter, den Sohn.

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INTERVIEWERIN:

"Frau Lück, haben Sie denn manchmal so ein bisschen moralische Bedenken, wenn Sie Ihren Sohn anstellen?"

HEIDI LÜCK:

(Bayer. Landtagsabgeordnete, SPD)

"Nein, absolut nicht, im Gegenteil. Also er wird ja nicht besser bezahlt für seine Arbeit wie jeder andere. Und er muss ja seine Arbeit leisten. Also er ist ein junger Mann, wieso soll er nicht für mich arbeiten?"

KOMMENTAR:

Ihr Sohn arbeitet für 45 Mark die Stunde - als Schreibkraft. Dieser Abgeordnete verzichtet auf Familienhilfe. Er gibt lieber einem jungen Politologen die Chance.

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INTERVIEWERIN:

"Warum haben Sie nicht Ihre Ehefrau beschäftigt?"

PROF. PETER GANTZER:

(Bayer. Landtagsabgeordneter, SPD)

"Weil ich gemerkt habe, daß ein wissenschaftlicher Mitarbeiter wesentlich besser arbeiten kann, für meine Zwecke als Abgeordneter, als es eine Ehefrau tun könnte, die auf einem anderen Gebiet wesentlich besser ist."

KOMMENTAR:

Er hat seinen Mitarbeiter aus über hundert Bewerbern - vom freien Arbeitsmarkt - zu Recht findet er.

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PROF. PETER GANTZER:

"Wenn man in der freien Wirtschaft jemand einstellt, Angehöriger oder Ehefrau gar, dann tut man das in seinem Betrieb und dann bezahlt man das, und dann wird das kontrolliert durch‘s Finanzamt. Das schaut nämlich nach, ob auch wirklich ein Arbeitsverhältnis besteht. Tue ich das im Landtag, gibt es erstens keine Kontrolle, und zum zweiten ist der Unterschied der, dass, wenn ich meinen Ehegatten einstelle, dann wird er vom Steuerzahler bezahlt, nicht von meinem Geld, das ich im Betrieb verdiene. Und das ist ein so großer Unterschied, dass ich meine, dass man das nicht tun sollte."

KOMMENTAR:

Rund 45 der 204 Abgeordneten - genaue Zahlen will keiner sagen - nutzen den Landtag als Familienbetrieb. Die Diätenkommission versucht seit Jahren, diese Form der Vetternwirtschaft abzuschaffen - bisher erfolglos. So bleibt erlaubt, was in allen anderen Landesparlamenten und im Bundestag strikt verboten ist.

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JOHANN SCHMIDT:

(Diätenkommission Bayer. Landtag)

"Wir hatten zunächst einmal gesagt, das muss für uns auch passen, ganz einfach, weil jeder Verdacht vermieden werden soll, dass Abgeordnete sich zusätzlich Einkommen verschaffen."

KOMMENTAR:

Selbstbedienungsmentalität - diesem Ruch wollen sich zumindest einige Abgeordnete dann doch lieber nicht aussetzen.

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ABGEORDNETE:

"Eine Zeitlang habe ich meine Frau beschäftigt gehabt, hab‘ eigentlich gar nichts besonderes dran gefunden. Dann später habe ich gedacht, wie ich so ein paar Kommentare gelesen hab‘: Naja, also da gibt’s vielleicht eine andere Lösung, da müssten wir mal schauen."

"Ich hab‘ zwei wissenschaftliche Mitarbeiter, die mein Bürgerbüro leiten und zuarbeiten, es sind keine Familienangehörigen."

"Ich hab‘ da im Büro von mir die Frau Deuschel, sie ist meine Sekretärin."

"Ich persönlich muss sagen, ich mach’s lieber nicht."

KOMMENTAR:

Andere reagieren auf die Frage nach Beschäftigung ihrer Ehefrau eher empfindlich.

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HENNING KAUL:

(Bayer. Landtagsabgeordneter, CSU)

"Das kann nicht den Ruf der Vetternwirtschaft haben. Wenn ich zum Beispiel die Frau eines Kollegen eingestellt hätte, die qualifiziert ist für diese Arbeit, dann sagen Sie bitte, wo der Unterschied ist.

Entschuldigung, jetzt trete ich als Arbeitgeber auf, natürlich, und gebe meiner Frau die Tätigkeit. Sonst würde ein anderer meiner Frau die Tätigkeit geben und ich einer - das ist exakt genau das gleiche. Ich habe deutlich gesagt, dass ich meine Frau auf Grund der Möglichkeit der Geschäftsordnung angestellt habe, dass es für mich ein Vorteil ist und für den Bürger, der zu jeder Zeit einen Ansprechpartner hat. Genügt Ihnen das nicht? Also. Und das bringen Sie, und das bringen Sie, und da ich Verwandtschaft in Norddeutschland habe, werde ich mir das mal aufzeichnen lassen, und dann bin ich mal gespannt, was Sie daraus machen."

KOMMENTAR:

Nicht nur für Norddeutsche erstaunlich: Die Abgeordneten haben sich ihre Mitarbeiterpauschale jetzt sogar noch erhöht: auf über 8.000 Mark im Monat, ursprünglich gedacht für einen zusätzlichen wissenschaftlichen Mitarbeiter. Doch diese Einschränkung wurde gestrichen. Jetzt kann das Zusatzgeld auch der Verwandtschaft zukommen.

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JOHANN SCHMIDT:

(Diätenkommission Bayer. Landtag)

"Man sollte sich nicht wundern, wenn da der Unmut in der Bevölkerung über die Abgehobenheit der Abgeordneten und vielleicht sogar Selbstherrlichkeit der Parlamentarier wächst."

KOMMENTAR:

Die Abgeordneten kümmert’s wenig. Der Familienbetrieb bleibt erhalten. In Bayern hat man halt schon immer auf Tradition gesetzt.

Abmoderation

CHRISTOPH LÜTGERT:

Eine Zeitlang war richtig Zoff zwischen der Diätenkommission und den Parlamentariern, aber seit kurzem reden diese Kommission des Landtags und die Parlamentarier wenigstens wieder miteinander. Aber von jeglichem Unrechtsbewusstsein scheinen die familienfreundlichen Abgeordneten nach wie vor meilenweit entfernt. Den Sprecher des Bayerischen Landtags ließen sie verkünden: Die Forderung der Diätenkommission, die Familienfinanzierung aus Steuergeldern zu beenden, sei allenfalls politisch, aber nicht rechtlich zu begründen. Was für ein feiner Unterschied.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 16.03.2000 | 21:00 Uhr