Geheuchelt und verlogen - Kohl und der Streit um die Stasi-Akten

von Bericht: Thomas Berndt und Jochen Graebert

Anmoderation

CHRISTOPH LÜTGERT:

Ziemlich dreist, unser Bimbes-Kanzler Helmut Kohl. Erst verstößt er gegen das Parteiengesetz, dann blockiert er jede Aufklärung, und jetzt tobt er rum, weil man ihm mit den Telefon-Abhörprotokollen der Stasi auf die Schliche kommen könnte. Sicher: es wäre ekelhaft, wenn elf Jahre nach dem Fall der Mauer ausgerechnet die Stasi posthum mit ihren illegalen Lauschaktionen Aufklärungshilfe leisten würde. Die Empfindlichkeit vor allem in der CDU, die aber ist verloren. Denn solange mit Stasi-Dossiers unliebsame Ossis fertig gemacht wurden, hat hier keiner so lauf aufgeschrien. Geht es nun aber gegen Westpolitiker, wird man in Deutschland, einig Vaterland, etepetete.

Kohl und der Streit um die Stasi-Akten
Im Jahr 2000 gibt es Streit um Stasi-Unterlagen über illegale Lauschaktionen gegen führende westdeutsche Politiker.

Thomas Berndt und Jochen Graebert über Rücksichtslose, die zu Mimosen mutierten.

KOMMENTAR:

Brisantes von den Stasi-Lauschern: In den Abhörprotokollen beschimpfen sich Minister als Arschlöcher, Parteifreunde als Idioten, Intriganten und dumme Trottel. Gesprochen wird über Erpressungsmanöver, über dubiose Spenden und illegale Konten. Prominente Abhöropfer unter anderem Uwe Lütje, der Jongleur der schwarzen Kassen, oder Ex-CDU Schatzmeister Walter Leisler-Kiep und der große Vorsitzende, Helmut Kohl.

Vergangene Woche platzte dann die Bombe. Stasi-Abhörprotokolle, detailliert nachzulesen im Berliner "Tagesspiegel". Bitte nicht diese Dinge am Telefon, so der Titel.

Chefredakteur di Lorenzo bekam wütende Protestbriefe, auch vom Ex-Kanzler persönlich. Dabei war die Recherche doch nur ein ganz normaler Vorgang.

0-Ton

GIOVANNI DI LORENZO:

(Chefredakteur "Tagesspiegel")

"Die Gauck-Behörde ist eine Auskunftsbehörde. Wir haben zwei Anträge gestellt, unser Reporter Jürgen Schreiber den einen am 18. November, der betraf damals noch den CDU-Politiker Leisler-Kiep, Sie wissen, das war unmittelbar nach den ersten Enthüllungen. Dann wurde dieser Antrag noch mal modifiziert, und zwar erweitert auf den Uwe Lütje, der ging am 7. Februar heraus. Die Akteneinsicht, die wir dann bekommen haben, waren das Ergebnis dieser beiden Anträge, ein ganz normaler Vorgang, weder gesteuert noch initiiert von außen, sondern alleine durch den Fleiß und die Recherche eines Reporters."

Regale mit Akten des einstigen Ministeriums für Staatssicherheit © Gero Breloer Foto: Gero Breloer

KOMMENTAR:

Kohl wittert die Gefahr. Was er im Spendenskandal nicht verraten will, schlummert vielleicht irgendwo in den Stasi-Protokollen. Jetzt kennt er nur noch ein Ziel: Er will die Preisgabe von Stasi-Material verhindern.

Was die Stasi über West-Politiker erlauschte, soll jetzt am besten ganz unter Verschluss. Ganz anders sah man das bisher bei ostdeutschen Politikern: Eine einzige Karteikarte der Stasi reichte, und Kohls CDU ließ den unbequemen Lothar de Maiziere, den letzten Regierungschef der DDR, einfach fallen.

Manfred Stolpe - die CDU forderte vehement seinen Rücktritt. Die Grundlage: Stasi-Akten.

Stefan Heym, den ehemaligen Alterspräsidenten des Bundestages brachten Stasi-Akten in Verruf.

Gregor Gysi - auch gegen ihn werden immer wieder Vorwürfe aus Stasi-Unterlagen erhoben.

Ibraim Böhme, einst SPD-Spitzenkandidat in der DDR, verlor alle Ämter, nach Vorwürfen aus Stasi-Unterlagen.

Doch es ging nicht nur um die politische Klasse der ehemaligen DDR. Die Stasi-Akten veränderten das Leben von zigtausenden Ostdeutschen. Ihre Biographien wurden überprüft, viele verloren dadurch ihre Jobs. Auch offizielle Stellen bedienten sich - ohne irgendwelche Bedenken - des brisanten Materials.

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REINHARD HÖPPNER:

(Ministerpräsident Sachsen-Anhalt, SPD)

"Wir haben inzwischen viele Untersuchungsausschüsse, in denen Stasi-Akten zu Rate gezogen worden sind. Es gibt sogar Gerichte, die bei ihren Begründungen aus Stasi-Akten zitiert haben. Und wenn jetzt jemand plötzlich mit einer westlichen Postleitzahl dabei ist, dann soll das alles nicht verwendbar sein. Nein, diese Akten waren dazu da, dass wir unsere Vergangenheit, und zwar Vergangenheit nicht nach Ost und West getrennt, sondern unsere gemeinsame Vergangenheit aufarbeiten. Und da kann man nun nicht einfach, wenn westliche Politiker betroffen sind, sagen: Jetzt verschließen wir die Akten. Also ich glaube, ein gutes Prinzip des Rechtsstaates ist es: gleiches Recht für alle."

KOMMENTAR:

Doch jetzt ist die Stasi-Krake auch im Westen angekommen. Deshalb soll das, was bisher selbstverständlich war, nicht mehr gelten. Keine Stasi-Akten zur Beweiserhebung und schon gar nicht im Untersuchungsausschuss zum CDU-Finanzskandal.

0-Ton

NORBERT HAUSER:

(Mitglied Untersuchungsausschuss Parteispendenaffäre, CDU)

"Hier wird nicht mit zweierlei Maß gemessen, hier geht es darum, in dem Fall Verwendung im Untersuchungsausschuss, ob - wir nennen es mal Beweismittel, in Anführungsstrichen - ob Beweismittel verwendet werden dürfen, die kriminell erlangt worden sind und deren Wahrheitsgehalt fraglich ist. Dies darf bei uns in der Bundesrepublik Deutschland in keinem Fall geschehen."

0-Ton

MICHAEL GLOS:

(Bundestagsabgeordneter, CSU)

"Allein dass man drüber diskutieren muss, ist fast schon ein Skandal. Es ist unmöglich, wenn man jetzt Honecker und Mielke Recht geben will, die mit rechtsstaatswidrigen Aktionen hier Dinge mitgehört haben."

KOMMENTAR:

Im Klartext: Keine Erkenntnisse aus Stasi-Akten gegen das Kartell der Schweiger im Untersuchungsausschuss. Ein Blick zurück dokumentiert die Heuchelei der Westpolitiker.

Kiel vor acht Jahren, der Auftritt einer Stasi-Offizierin in einem spektakulären Untersuchungsausschuss. Sie hatte Telefonate von westlichen Politikern abgehört, alles heimlich mitprotokolliert. Damals wollte die CDU unbedingt diese Stasi-Protokolle verwenden und die Stasi-Zeugin Herrmann vernehmen. Dabei ging es nicht etwa um DDR-Unrecht, sondern um die Rolle von Björn Engholm in der Barschel-Affäre. Die CDU war damals begeistert, wollte immer mehr.

0-Ton

THORSTEN GEISSLER:

(Mitglied Untersuchungsausschuss 1995, CDU)

"Frau Herrmann hat hier durchaus einen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen. Jetzt gilt es, die Aussage zu überprüfen, weitere Zeugen zu laden."

KOMMENTAR:

Was prompt geschah. Weitere Stasi-Abhörspezialisten wurden vorgeladen. Zusätzlich forderte der Ausschuss alle Stasi-Abhörprotokolle an - ohne Bedenken. Denn die CDU wollte wissen, was Björn Engholm in der Barschel-Affäre wann erfahren hat. Der damalige stellvertretende Ausschussvorsitzende erinnert sich noch sehr genau.

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DR. BERND BUCHHOLZ:

(ehem. Mitglied Untersuchungsausschuss, FDP)

"Man hat damals auf der Grundlage des Stasi-Unterlagengesetzes vehement, insbesondere auch von der Union betrieben, versucht an diese Stasi-Unterlagen heranzukommen, in sie hineinzugucken. Dabei ging es eindeutig um eine westdeutsche Affäre, nicht um die Aufarbeitung ehemaligen DDR-Unrechts. Und heute haben sich da offensichtlich die Verhältnisse der Argumentation deutlich verschoben, was damals gehen sollte, soll heute in die andere Richtung überhaupt nicht mehr gehen."

KOMMENTAR:

Auch von westdeutschen Gerichten wurden Stasi-Akten gern genutzt. Beispiel Monika Haas: Sie wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Stasi-Protokolle belasteten sie wie auch andere Terroristen in weiteren Prozessen nach der Wende. Da hat kein Politiker gegen die Verwendung der Stasi-Akten protestiert.

Heute, wo es um die Westpolitiker selbst geht, gerät die Gauck-Behörde mächtig unter Druck. Denn inzwischen dämmert immer mehr Politikern aus allen Parteien: im Archiv lagert nicht nur brisantes Material über Kohl und die CDU-Spendenaffäre. Journalisten jedenfalls haben schon reichlich Anträge gestellt.

0-Ton

JOHANN LEGNER:

(Sprecher Gauck-Behörde)

"Inzwischen gibt es zu fast jedem prominenten Zeitgenossen aus der Politik, der irgendwann mal mit Parteifinanzierung zu tun hatte, einen Antrag."

INTERVIEWER:

"Es ist ja nur ein Bruchteil, was da öffentlich geworden ist, sind ja nur ein paar Zentimeter vergleichsweise."

JOHANN LEGNER:

"Ja, also wenn es überhaupt ein paar Zentimeter sind. Also das ist von dem absolut gar nichts, von dem, was im Archiv ist."

Abmoderation

CHRISTOPH LÜTGERT:

Bei aller Aufregung über die perfiden Operationen der Stasi nur noch eine Frage: Welcher Geheimdienst, ob unser BND oder der amerikanische CIA, belauscht führende Persönlichkeiten anderer Länder eigentlich legal?

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 06.04.2000 | 21:00 Uhr