Kleinstadt im Größenwahn - Wie Lokalpolitiker Millionen verschleudern

von Bericht: Christoph Lütgert und Cordula Henne

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Es ist zur Gewohnheit geworden: Jedes Jahr aufs neue monieren die Rechnungshöfe die Verschwendung von Steuergeldern. Im Bund, in den Ländern und in den Kommunen verschwinden einfach riesige Summen, werden verpraßt für luxuriöse Unsinnsprojekte, gerne auch für prestigeträchtige Großbauten in Kleinstgemeinden. Wie das genau passiert, wer wann was falsch gemacht hat, läßt sich hinterher dann selten feststellen. Hier im Norden, ganz in der Nähe von Hamburg, gibt es ein eklatantes Beispiel provinzieller Großmannssucht, eine Geschichte ungebremster Gigantonomie und Ignoranz von Feierabendpolitikern. Und das Erschreckende daran ist: sie könnte sich überall zugetragen haben. Über das "Knickei von Halstenbek" berichten Christoph Lütgert und Cordula Henne.

Kleinstadt im Größenwahn: Lokalpolitiker verschleudern Geld
Ein Bericht von 1999 über Steuergeldverschwendung in Halstenbek durch den Bau der Sporthalle "Knickei".

KOMMENTAR:

Jedes Jahr das Schützenfest in Halstenbek. Viel mehr ist hier nicht. Schlafstadt im Kreis Pinneberg vor den Toren Hamburgs. 16.000 Einwohner, zwei Sportvereine, 300 Schützen.

Auch im offiziellen Werbe-Video nur Kleinstadt-Langeweile. Um da endlich rauszukommen, hatten sich die Stadtväter war ganz Tolles ausgedacht. Großstadt-Pep für Halstenbek.

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BRUNO EGGE:

(Bürgermeister)

"Ein Blick in die Zukunft. Und da möchte ich erwähnen, daß wir im Moment dabei sind, eine wunderschöne Sporthalle mitten im Zentrum von Halstenbek zu bauen. Im Volksmund wird diese Sporthalle 'das Ei' genannt."

KOMMENTAR:

Das Ei wurde hier gelegt. Atelier des Hamburger Architekten André Poitiers, Schüler des Stararchitekten Sir Norman Foster, bekannt aus Hongkong, New York, Berlin. So einer war genau richtig für Halstenbek. Bei ihm bestellten die Stadtväter ihre Riesenhalle mit Glaskuppel, in Deutschland ohne Vorbild.

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ANDRÉ POITIERS:

(Architekt)

"Die eigentliche Konstruktion besteht aus vier Grundellipsoiden, die dann polygonalisiert wurden in Betonplatten. Und für einen Sporthallenbau ist es von der Art der Überdeckung schon etwas Besonderes, daß man unter freiem Himmel Sport machen kann. Man kann den Schnee sehen, die Vögel, man kann Flugzeuge betrachten durch diese Kuppel."

KOMMENTAR:

In dieser Hobbywerkstatt eines Kollegen trafen sich Halstenbeks Feierabendpolitiker regelmäßig. Und hier haben sie auch die große Halle ausbaldovert.

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KARL KREMKUS:

(CDU)

"Daß wir als Feierabendspolitiker alle so'n bißchen eitel sind und uns auch gerne profilieren und darstellen und irgend etwas Besonderes machen wollen, das wissen wir alle, dafür sind wir auch gebildet genug. Aber hier in der Zeit, in der hier geklüngelt wurde, wurden für die Gemeinde positive Dinge in Gang gesetzt - und das auf einem kurzen Weg."

KOMMENTAR:

Und mit viel Schnaps, zur Tarnung in Lackflaschen abgefüllt.

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KARL KREMKUS:

"Ich trink' auch mal gerne einen, und dann haben wir das eingerichtet. In dieser ersten Flasche ist Jonny Walker drin, das ist die Bürgermeisterflasche. Hier ist Korn drin. Damals hatten wir noch keinen Kühlschrank, da war Oma noch nicht tot, Korn drin. Hier ist Aquavit drin, und hier ist Kommodenlack drin."

INTERVIEWER:

"Was ist Kommodenlack?"

KARL KREMKUS:

"Jägermeister."

KOMMENTAR:

Halstenbeks Gemeindevertretung. Fünf Millionen Mark sollte die Halle kosten, mehr nicht. Das hatten die Stadtväter vor sechs Jahren gelobt und beschlossen. Dann aber ging die Begeisterung für das Jahrhundertprojekt mit ihnen durch. Sonderwünsche über Sonderwünsche. Ein paar Beispiele:

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ANDRÉ POITIERS:

(Architekt)

"Einen Sportlehrer-Besprechungsraum gab es, Kosten etwa 300.000 Mark, einen Behinderten-Lift, dann nahtlos geschweißte Entwässerungsrohre, eine Solaranlage auf der Glaskuppel sowie Edelstahl-Klos für das Stück 4.000 Mark. Und wir haben dann zusätzlich einen Kondom-Automaten angefordert bekommen, so daß wir vor Baubeschluß einen Gesamtkostenraum von 14,6 Millionen Mark."

KOMMENTAR:

Beim Bau ist die Gemeindeverwaltung dann restlos überfordert. Streit mit den Firmen, schlechter Beton, Chaos. Und alles immer teurer: erst fünf, dann 14 und schließlich 16 Millionen. Der übergeordnete Kreis Pinneberg warnte vergeblich, für eine solche Steuerverschwendung gäbe es keine Zuschüsse. Die Halstenbeker Amateur-Politiker ließ das kalt, sie machten unbeeindruckt weiter.

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KARL KREMKUS:

"Letztlich ist es ja wurscht, wo die Steuergelder verbraten werden, ob sie vom Kreis verbraten werden oder von der Gemeinde verbraten werden. Also Steuergelder, öffentliches Geld ist es in jedem Fall, das Ihnen, uns allen gehört."

KOMMENTAR:

Neonlicht den ganzen Tag. 16 Millionen für einen grauen Betonbunker. Und weil die Halle immer teurer wurde, spart man schließlich an Feuerschutz und Notausgängen. Deshalb dürfen immer nur ganz wenig Leute hier rein - bei Turnieren die Mannschaften, die Betreuer und dann nur noch ein paar Zuschauer. Mehr als insgesamt 199 Menschen sind in diesem Riesen-Oval nicht erlaubt - wenn es denn überhaupt mal fertig werden sollte, denn schon zweimal ist die Glaskuppel eingestürzt. Die allein hat zwei Millionen gekostet. Nach den Schuldigen wird immer noch gesucht. Für viele Millionen nur eine Ruine. Auf einer Bürgerversammlung entlädt sich Wut.

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BÜRGERVERSAMMLUNG:

"Eine blühende Gemeinde ist Halstenbek gewesen bis vor acht, neun Jahren."

"Diese Herrschaften im Bauausschuß waren unbelehrbar. Die sollten doch hier auch mal sitzen und sich stellen, sich stellen der politischen Verantwortung, wie sie mit den Millionen der Gemeinde Halstenbek umgegangen sind."

KOMMENTAR:

Trost von oben: Halstenbek ist pleite, andere aber auch.

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BRUNO EGGE:

(Bürgermeister)

"Wenn wir dennoch jetzt in einer prekären und desolaten Haushaltslage uns befinden, dann befinden wir uns im Gleichklang mit, so leid es mir tut, aber das muß auch jetzt mal so deutlich gesagt werden, wir befinden uns im Gleichklang mit anderen Kommunen in Schleswig-Holstein und auch in der ganzen Bundesrepublik."

KOMMENTAR:

Und auch bei CDU und SPD keine Spur von Selbstkritik.

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POLITIKER:

"Man hätte natürlich für fünf Millionen Mark eine Halle bauen können, aber nur irgendeine und nicht die Halle, die wir hier in Halstenbek benötigt hätten."

"Trotz aller Schwierigkeiten - ich hoffe, Sie nehmen es mir persönlich nicht übel, freue ich mich auf die neue Halle. Ich bin sicher, daß man uns in wenigen Jahren darum beneiden wird, in wenigen Jahren wird der Bau einer solchen Halle finanziell überhaupt nicht mehr vorstellbar sein."

KOMMENTAR:

Drei Rechnungsprüfer von der höheren Kreisverwaltung Pinneberg sollen schließlich herausfinden, warum in Halstenbek 16 Millionen Steuergelder verplempert werden konnten - für eine Ruine. Aber auch sie kapitulieren vor dem Chaos.

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RECHNUNGSPRÜFER:

"Also die Unterlagen sind zum Teil so vielfältig und widersprüchlich, daß man dort niemanden jetzt - daß man einen direkt festmachen kann."

"Die Beteiligten selbst waren ja betriebsblind inzwischen schon, die konnten ja gar nicht mehr die Zusammenhänge scheinbar überhaupt übersehen."

"Eine konkrete Schuldzuweisung, wer nun zu welchen Anteilen und mit welchen Inhalten Verantwortung zu tragen hat, das ist uns also auch nicht möglich."

KOMMENTAR:

So kann Halstenbeks große Koalition für die große Ruine unverbrüchlich zusammenbleiben. Jeden Morgen Schlag sechs trifft man sie im Hallenbad des Kreises. Uwe Lorenzen von der SPD und dahinter Karl Kremkus von der CDU. Sie waren für die Halle, und sie sind immer noch dafür, wie ihre Kollegen.

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KARL KREMKUS:

"Mitten im Ortskern eine so große Halle unterzubringen bei einem minimalsten Grundstücksbedarf, das war wirklich optimal."

INTERVIEWER:

"Wenn man sagen würde, Größenwahn?"

UWE LORENZEN:

"Nein, keinesfalls, nein. Halstenbek war damals eine Gemeinde mit einer gutgefüllten Kasse, und wir hatten eine Rücklage gebildet, und wir konnten die Entscheidung zugunsten einer solchen Halle angesichts der Rücklage ohne schlechtes Gewissen treffen."

KARL KREMKUS:

"Ab geht's."

KOMMENTAR:

So ist das eben oft in solchen Fällen: Keiner will's gewesen sein, und alle wollten nur das Beste.

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Interessant ist in diesem Zusammenhang wieder mal die Folgenlosigkeit von Fehlverhalten. Der Bürgermeister von Halstenbek wurde mit 67 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Einsicht, gar Scham oder Schuldgefühle, das gibt es dort wohl nicht, also auch keine Konsequenzen. Aber das funktioniert ja auch in Brüssel weitgehend folgenlos, warum also nicht in der deutschen Provinz.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 14.01.1999 | 21:00 Uhr