NATO-Bomben auf Milosevic? - Der Streit um den "Tyrannenmord"

von Bericht: Thomas Berbner und Jochen Graebert

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Und heute? Werden wir je erfahren, was im Kosovo in diesen Wochen wirklich geschieht? Werden sich die Mörder, die Vergewaltiger, die Verbrecher je dafür verantworten müssen? Und Serbenführer Milosevic, wird er je vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag in Erklärungsnot kommen? Oder wird man den Mörder an den Verhandlungstisch bitten? Wer hat sich angesichts des Flüchtlingselends nicht schon einmal gefragt, ob man diesen Despoten nicht einfach umbringen, ihn mit einer gezielten Geheimdienstaktion beseitigen könnte, um damit vielleicht Tausende anderer Leben zu retten? Also ein politischer Mord als Recht auf Widerstand, als letztes Mittel - wäre das wirklich Mord oder Menschlichkeit, und wäre das ein Garant für das Ende des Krieges?

NATO-Bomben auf Milosevic? Der Streit um den "Tyrannenmord"
Nach sechs Wochen Kosovo-Krieg stellt Panorama 1999 die Frage: Was hätte ein Tyrannenmord am Despoten Milosevic bedeutet?

Mit diesen Fragen haben sich Thomas Berbner und Jochen Graebert beschäftigt.

KOMMENTAR:

Er spielt auf Zeit: Slobodan Milosevic. Nach mittlerweile sechs Wochen Nato-Bombardement hat er sein Ziel, alle Albaner aus dem Kosovo zu vertreiben oder sie einfach ermorden zu lassen, fast erreicht.

Die Nato-Bomben auf Jugoslawien haben Milosevic daran bisher nicht gehindert. Sie sollten ihn zum Einlenken bewegen, doch Bomben machen keine Unterschiede. Im Kosovo-Krieg sterben auch unschuldige Menschen.

0-Ton

IGNATZ BUBIS:

(Zentralrat der Juden)

"Ich war sehr schockiert, als mir ein Minister, ein Bundesminister, sagte, daß Milosevic zu einem deutschen Politiker, zu einem deutschen prominenten Politiker, gemeint hat, sie, die Nato, können den Krieg nicht gewinnen. Sie können nicht über Leichen gehen, ich kann über Leichen gehen. Jemand, der mit einem solchen Zynismus darüber spricht, da kann man schon die Frage stellen, zumindest darüber diskutieren: Tyrannenmord."

KOMMENTAR:

Bisher ein Tabuthema: Milosevic zu ermorden, statt das Leben Unschuldiger zu opfern. Dieser Bus wurde von einer Nato-Rakete getroffen, die Insassen hatten keine Chance.

0-Ton

JÜRGEN W. MÖLLEMANN:

(FDP-Bundestagsabgeordneter)

"Wenn ich die Bilder sehe von zerschossenen Bussen mit unschuldigen Zivilisten, das nimmt man in Kauf. Daß man den Verbrecher schützen soll in dem Zusammenhang will mir nicht einleuchten."

KOMMENTAR:

So hat sich die Nato in ein Dilemma hineinmanövriert. Sie will nicht das serbische Volk bekämpfen, sondern Milosevic. Die Bomben aber fallen auf die serbische Bevölkerung, und ausgerechnet Milosevic ist kein Angriffsziel.

0-Ton

JAMIE SHEA: (Übersetzung)

(Nato-Sprecher)

"Wir greifen Milosevic nicht persönlich an, wir zielen auf militärische Kommandozentren, auf Parteizentralen. Darauf stützt er seine Macht, und damit unterdrückt er den Kosovo. Aber wir zielen nicht auf ihn persönlich."

0-Ton

JÜRGEN W. MÖLLEMANN:

"Es ist doch künstlich, zu sagen: Ich darf zwar Raketen auf die Villa schießen, aber bitte nicht ihn dabei treffen. Das kann es doch nicht sein. Also irgendwo mogeln wir uns um das eigentlich Notwendige herum, wenn wir so tun, als könnte man den Täter dadurch bestrafen, daß man seine Opfer trifft."

KOMMENTAR:

Was aber halten die Deutschen vom Tyrannenmord? Im Auftrag von PANORAMA fragte Infratest dimap: Halten Sie es für gerechtfertigt, wenn die Nato Milosevic gezielt ermorden ließe? Immerhin 33 Prozent antworteten mit Ja. Die Mehrheit von 55 Prozent aber lehnt einen Tyrannenmord von außen ab.

Die Bombenangriffe der Nato haben Milosevics Rückhalt in der Bevölkerung eher noch gefestigt. Ein Sturz oder gar eine Ermordung Milosevics durch die serbische Opposition wird es kaum geben. Muß die Nato deshalb den Verantwortlichen selbst ausschalten?

0-Ton

RUPERT SCHOLZ:

(CDU-Bundestagsabgeordneter)

"Tyrannenmord ist rechtlich nur legitimiert auf der Grundlage des Widerstandsrechts, das heißt: des Rechts zum Widerstand durch eine unterdrückte Bevölkerung - denken Sie an den 20. Juli in Deutschland gegen Hitler - das ist legitim. Aber ein Tyrannenmord von außen, das heißt: durch andere Länder, durch andere Streitkräfte, die mit dem betreffenden Land im Kriegszustand sind, das ist nicht gerechtfertigt, selbst wenn man das moralisch im Hinblick auf viele zivile, unschuldige Opfer anders bewerten mag - rechtlich ist es so."

KOMMENTAR:

Das klassische Beispiel für einen versuchten Tyrannenmord: das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944. Dieser Anschlag aus dem eigenen Volk heraus war durch das Widerstandsrecht legitimiert. Für einen gezielten Anschlag von außen aber, zum Beispiel durch die Alliierten, gab es keine Rechtsgrundlage, und das gilt bis heute.

0-Ton

JÜRGEN W. MÖLLEMANN:

(FDP Bundestagsabgeordneter)

"Das ist eine theoretisch sehr interessante Debatte, auch legitim, aber das Völkerrecht steht ja auch hintan bei der Frage, ob die Nato eigentlich wirklich intervenieren darf, es gibt keinen Sicherheitsratsbeschluß. Und dennoch sind wir der Meinung, es war notwendig, nicht länger zuzuschauen, zu helfen. Und da würde ich dann sagen, in solchen exzeptionellen Situationen - und da ist die Parallele erlaubt - hätte damals nicht Stauffenberg, sondern irgendwer Hitler umgebracht, man wäre ihm heute noch dankbar. Und ich glaube, das gleiche gilt für Milosevic."

KOMMENTAR:

Fidel Castro. Der kommunistische Herrscher von Kuba ist kein Tyrann, aber den USA von Anfang an ein Dorn im Auge. Mit skurrilen Methoden versuchte der US-Geheimdienst, ihn umzubringen: eine vergiftete Havanna, ein Revolver in der Fernsehkamera. Auch wegen dieser Erfahrungen verboten spätere US-Präsidenten per Erlaß ausdrücklich die Ermordung von ausländischen Staatsoberhäuptern. Jetzt, unter dem Eindruck des Kosovo-Krieges, fordert der Senator und frühere CIA-Beamte Bob Barr, dieses Attentatsverbot wieder abzuschaffen.

0-Ton

BOB BARR: (Übersetzung)

(US-Senator)

"Ich glaube, daß manchmal eine gezielte Aktion gegen einen ausländischen Tyrannen wesentlich weniger militärische Ressourcen und Menschenleben kostet als die Bombardierung eines ganzen Landes. Es macht doch keinen Sinn, die Zivilbevölkerung zu bombardieren, wenn wir es in Wahrheit auf einen terroristischen Staatschef abgesehen haben."

KOMMENTAR:

Senator Barr steht nicht allein, auch der ehemalige Sicherheitsberater von Präsident Carter denkt bei Milosevic an Tyrannenmord.

0-Ton

ZBIGNIEW BRZEZINSKI: (Übersetzung)

(ehem. US-Sicherheitsberater)

"Ich hätte keine moralischen Probleme damit, wenn Hitler umgebracht worden wäre, auch nicht bei Stalin oder bei Pol Pot. Ich würde, etwas vorsichtiger allerdings, sagen, das gilt auch für Milosevic angesichts der ethnischen Morde und der ethnischen Säuberung. Aber im Fall Milosevic sollte diese Entscheidung auf keinen Fall von einer Regierung allein getroffen wäre."

KOMMENTAR:

Die Nato hat inzwischen Routine im Bedauern von zivilen Opfern. Bei diesem Angriff auf eine Brücke wurde ein Personenzug getroffen. Politiker, die den Tyrannenmord von außen kategorisch ablehnen, halten die Bombenangriffe trotz der unschuldigen Opfer für vertretbar.

0-Ton

CHRISTIAN SCHWARZ-SCHILLING:

(CDU-Bundestagsabgeordneter)

"Ich habe noch nie einen so wirklich die Zivilbevölkerung schonenden Krieg in meiner ganzen Geschichte, die ich jetzt durchlebt habe, erlebt als diesen Krieg. Man muß sich einmal vorstellen, der Angriff auf Dresden hat 300.000 Tote gekostet, 300.000 in einer Nacht."

KOMMENTAR:

Da wirkte es eher wie ein symbolischer Akt, daß auch diese Villa von Slobodan Milosevic zerstört wurde. Milosevic selbst war nicht da, kein Zufall, meint der Abgeordnete Schwarz-Schilling.

0-Ton

CHRISTIAN SCHWARZ-SCHILLING:

"Es ist mir auch bekannt, daß bei diesen Luftangriffen auf solche sensisblen Zentren, daß diese Belgrad vorher bekannt werden, und zwar nicht per Zufall oder weil ein Verräter da ist, sondern ganz offiziell."

KOMMENTAR:

PANORAMA fragte: Glauben Sie, daß die Nato das Leben von Slobodan Milosevic bewußt schont? 40 Prozent glauben das, 41 Prozent nicht. Fast die Hälfte der Befragten geht davon aus, daß die Nato Milosevic absichtlich am Leben läßt.

0-Ton

CHRISTIAN SCHWARZ-SCHILLING:

"Diese Art von Rücksichtnahme halte ich genauso verkehrt wie die bewußte Tötung. Er sollte die gleichen Risiken und die gleichen Chancen haben wie jeder andere Mensch auch."

KOMMENTAR:

Die Verbrechen von Despoten wie Milosevic stellen die internationale Gemeinschaft vor ein kaum lösbares Problem. Der Krieg gegen Jugoslawien wie auch ein Tyrannenmord von außen sind völkerrechtlich kaum gedeckt. Wolfgang Vogt ist wissenschaftlicher Direktor an der Führungsakademie der Bundeswehr. Er hält eine Weiterentwicklung des Völkerrechts für dringend notwendig.

0-Tjon

WOLFGANG VOGT:

(Wissenschaftl. Dir. Führungsakademie der Bundeswehr)

"Meiner Ansicht nach müßte sich die Weltinnenpolitik entwickeln in Richtung eines Weltrechtes, das es ermöglicht, daß Geiselnehmer, Vertreiber so behandelt werden, wie es im innerstaatlichen Bereich ja auch der Fall ist. Dort versucht man, einen Geiselnehmer direkt, notfalls auch mit einem finalen Todesschuß zur Verantwortung zu ziehen. Und die Frage ist, ob ein solches Modell, polizeirechtliches Modell nicht auch übertragen werden muß auf das Völkerrecht."

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Aber das hieße, das Programm einer anderen, einer menschlicheren Politik als Legitimation für einen Mord zu nutzen, für einen erzwungenen Machtwechsel mit internationalem Mandat. Damit gehörte Mord zum Repertoire westlicher Demokratien - und das dann im Sinne der Durchsetzung der Menschenrechte - dieser Widerspruch ist nicht aufzulösen.



Moderation zu Pit Schnitzler

PATRICIA SCHLESINGER:

An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf Pit Schnitzler hinweisen. Das ist unser Kollege von SAT1, der seit Mitte April in Jugoslawien festgehalten wird. Die Regierung Milosevic wirft ihm Spionage vor - die übliche Vorgehensweise, wenn ein Terrorregime Journalisten mundtot machen oder einschüchtern möchte. Mit der Verhaftung Schnitzlers soll offensichtlich der Versuch unternommen werden, unabhängige und kritische Journalisten unter Druck zu setzen. So will man unliebsame Berichterstatter zum Schweigen bringen. Das ist die Einschätzung von SAT1, und die teilen wir. Das Auswärtige Amt, das Rote Kreuz und mehrere Journalistenorganisationen bemühen sich um die Freilassung des kranken 56jährigen. Wir möchten nicht, daß sein Schicksal in Vergessenheit gerät.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 06.05.1999 | 21:15 Uhr