Wenig Service, viel Bürokratie - Wie das Ausland den Standort Deutschland sieht

von Bericht: Edith Heitkämper und Sabine Platzdasch

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

"Wäre Deutschland ein Unternehmen an der Börse, würden alle Analysten raten: Verkaufen, abstoßen, und zwar schnell." Eine der aktuellen Schlagzeilen in der ausländischen Presse. Ein schlechtes Bild vom Wirtschaftsstandort Deutschland wird da gezeichnet, trotz der Reformvorhaben. Aber die hier lebenden ausländischen Korrespondenten, die über die Bundesrepublik schreiben, haben ja auch wenig Positives zu berichten. Unbewegliche und altmodische Deutsche, ein Volk von Mülltrennern und Bedenkenträgern eben. Am häufigsten berichten sie aber über die deutschen Wirr- und Glatzköpfe, über Neonazis, die - so steht es dann zu lesen - ganze Stadtteile beherrschen.

Edith Heitkämper und Sabine Platzdasch über das Deutschlandbild der ausländischen Korrespondenten.

KOMMENTAR:

Typisch deutsch - Nazideutschland und Skinheads marschieren immer noch an vorderster Front, wenn ausländische Medien über Deutschland berichten. Deutschland auf den ersten Blick.

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JACK EWING:

("Business Week")

"Unter den durchschnittlichen Amerikanern, ich glaube, das Bild von Deutschland ist immer noch vom Zweiten Weltkrieg geprägt."

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AURORA MINGUEZ:

("Radio de Espana")

"Diese mythologischen Themen, die Nazis, das Dritte Reich, Gestapo, solche Sachen, das interessiert die Leute, das trifft die Leute sehr."

KOMMENTAR:

Ein scheinbar unzerstörbares Negativimage. Der zweite Blick ausländischer Berichterstatter richtet sich auf den Wirtschaftsstandort Deutschland. Doch auch von hier berichten Journalisten wie Don Jordan wenig Positives. Immer wieder Thema: die deutsche Service-Wüste.

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DON JORDAN:

(Amerikanischer Journalist)

"In Deutschland können Sie eine Million Mark in ihrer Tasche haben, und Sie finden nirgendwo jemand, der Ihnen die Schuhe putzt."

HANS KUNDNANI:<

("The Observer")

"Wenn ich zum Beispiel in New York bin, fällt es mir immer auf, daß die Verkäufer und Verkäuferinnen sehr freundlich sind. In London sind sie nicht freundlich, aber mindestens höflich. In Deutschland - ich weiß nicht, ob es vielleicht Berlin ist, aber meiner Erfahrung nach sind sie in Deutschland weder freundlich noch höflich."

DON JORDAN:

"Die schnippigsten, unfreundlichsten Verkäufer finden Sie in Bäckereien in ganz Deutschland: Der Nächste. Wenn Sie sagen: Ich möchte bitte eins davon haben, dann werden Sie belehrt: Das ist Krümelkuchen. - Ich möchte eins davon haben. - Ja, also Krümelkuchen."

KOMMENTAR:

Alltagserlebnisse, so oder ähnlich. Das deutsche Personal ist zu unfreundlich. Diesem Urteil stimmen neunzig Prozent aller ausländischen Journalisten, die in Deutschland arbeiten, zu, so das Ergebnis dieser Studie der Amerikanischen Handelskammer in Frankfurt. Hier macht man sich Sorgen über den Standort Deutschland, denn immer weniger ausländische Firmen investieren. In der Studie wurden Auslandskorrespondenten befragt. Schließlich bestimmen vor allem ihre Berichte das Deutschlandbild im Ausland.

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DIERK MÜLLER:

(Amerikanische Handelskammer)

"Die mittleren und kleinen Firmen, auf die es besonders ankommt, die schauen in die Zeitung, die informieren sich über Deutschland. Sie rechnen natürlich auch nach, wie die Rendite ist in Deutschland. Aber dann kommt eben vom Headquarter, vom Hauptquartier, ein Zeitungsbericht, und der oberste Firmenchef sagt dann dem Deutschlandchef: Schau mal, was heute gerade in der Zeitung gestanden hat, da können wir doch gar nicht investieren, das paßt doch nicht."

KOMMENTAR:

Die Bonner Redaktion des "Wallstreet Journal" - wichtigste Quelle für Investoren auf der ganzen Welt. Hier schreiben die Experten über die schlechten Bedingungen für ausländische Firmen in Deutschland. In ihren Artikeln berichten sie über die Schwierigkeiten gerade kleinerer Unternehmen.

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WILLIAM BOSTON:

("Wallstreet Journal")

"..... daß sie so viele Hürden, so viele Barrieren haben, die sie überwinden müssen, daß es sehr schwer ist, durch die Überregulierung durch die Versicherungsgesetze, daß sie es schwerer haben als kleine Unternehmen in den USA, erstmal ans Laufen zu kommen, um dann erfolgreich am Markt zu sein."

KOMMENTAR:

Diesem Urteil können sich seine Kollegen nur anschließen. Zu viel Bürokratie in Deutschland - neunzig Prozent stimmen dem zu. Bürokratisch, starr und unflexibel, die Dienstleistungsprovinz Deutschland --für Don Jordan ein tägliches Ärgernis.

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DON JORDAN:br> (Amerikanischer Journalist)

"Ja, hier ist ein praktisches Beispiel. Hauptpost Bonn-Bad Godesberg, internationaler Verkehr. Früher konnte ich hier bis 21 Uhr rein, da gab es einen Nachtschalter bis 21 Uhr. Mein Postfach ist dahinter. Seit einigen Monaten: Ab 19 Uhr komme ich nicht mehr hier rein, ab 19 Uhr läuft nichts mehr."

KOMMENTAR:

Nicht nur bei der Post. Daß die strengen Ladenöffnungszeiten endlich gelockert werden sollen, meinen fast alle befragten ausländischen Journalisten.

Der holländische Korrespondent Co Welgraven. Die Frage, warum in Deutschland so wenig Ausländer investieren, ist für ihn klar zu beantworten:

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CO WELGRAVEN:

(Niederländischer Journalist)

"Die Lohnnebenkosten sind zu hoch. Wenn ich das vergleiche mit was in Holland normal ist, dann ist das hier dreißig, vierzig Prozent höher als in Holland. Und ich kenne auch ausländische Firmen, die gesagt haben: Wir investieren nicht mehr in Deutschland, aber in Nachbarländer wie Belgien und die Niederlande."

KOMMENTAR:

In Deutschland sind die Sozialkosten viel zu hoch, das denken und berichten 95 Prozent der befragten ausländischen Journalisten.

Mit Argusaugen betrachtet William Boston den Reformstau in Deutschland. Hier geht nichts mehr, so das Fazit vieler seiner Artikel. In den USA ist man alarmiert.

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WILLIAM BOSTON:

("Wallstreet Journal")

"In akademischen Kreisen und in der Politik ist immer mehr die Rede von "sick man of Europe", also daß Deutschland seine Probleme nicht anpackt und daß diese Probleme die Weltwirtschaft zurückhalten, also daß die Politikblockade in Deutschland blockiert auch das Wachstum in der Welt."

KOMMENTAR:

Deutschland als Blockierer. Bürokratismus, hohe Sozialkosten, Unflexibilität - darüber berichtet die Auslandspresse. Nicht gerade ein Lockruf für Investoren.

G 8-Gipfel in Köln letztes Wochenende. Thema für die Journalisten ist nicht nur die große Weltwirtschaft - auch über Deutsches und Allzudeutsches wird berichtet. Alltagserfahrungen der Korrespondenten.

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OLIVIER LERNER: (Übersetzung)

("France 2")

"Was mich am meisten überrascht hat in Deutschland - ich bin aus Paris - das ist die Art, wie man hier Auto fährt. Jedesmal, wenn man auch nur den kleinsten Fehler macht, schauen die Deutschen einen an, hupen und spielen sich auf zum Moralapostel."

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ROGER COHEN: (Übersetzung)

("New York Times")

"Ich finde diese dauernde Reglementierung lächerlich, dieses strenge Befolgen von Regeln - wie eine Herde Schafe. Ich habe noch nie so viele Richtungspfeile auf der Straße gesehen, lauter Spuren, in die man sich einordnen muß. Selbst beim Kreisverkehr gibt es festgelegte Spuren - das ist absolut lächerlich."

KOMMENTAR:

Deutschland aus der Sicht von Auslandskorrespondenten. Ans Tageslicht kommen unbequeme Wahrheiten, die auch vielen Deutschen nicht fremd sind. Im Ausland berichtet, werden daraus abschreckende Barrieren für Investoren.

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Die Korrespondenten haben sich in der Umfrage übrigens nicht nur negativ über Deutschland geäußert. Für gut befanden sie die Sicherheit in unseren Städten, das duale Ausbildungssystem und - man staune - die kontaktfreudige deutsche Bevölkerung. Das aus dem Mund von Ausländern zu hören, das freut natürlich ganz besonders.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 24.06.1999 | 21:15 Uhr