Kosovo 1 - Die Familien der Bundeswehrsoldaten

von Bericht: Ilka Brecht und Christoph Thees

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Es gibt vermutlich Kriege, die unvermeidbar sind. Das erste Opfer im Krieg ist aber bekanntlich immer die Wahrheit, denn natürlich werden da nicht alle wichtigen Informationen öffentlich gemacht bzw. gibt es in so einem Fall - wir erinnern uns da noch ganz gut an den Golfkrieg - auch gezielte Desinformation. Gestern hat die Welt noch über abgeschossene Flugzeuge spekuliert, der Bundeskanzler hat zur Unterstützung der deutschen Soldaten im Einsatz aufgerufen, und heute hat sein Verteidigungsminister die Mission im Kosovo als "sehr gefährlich" bezeichnet. Im Sinne der Wahrheit - die beginnt hier in Deutschland: Wie geht es eigentlich den Familien, den Frauen, Müttern und Kindern, die hier um das Leben der Soldaten bangen, und den Kosovo-Flüchtlingen, hier bei uns in Deutschland? Ilka Brecht und Christoph Thees haben sich umgehört.

Kosovo: Familien der Bundeswehrsoldaten und Geflüchtete
Wie geht es den Familien, die hier um das Leben der Soldaten und Soldatinnen im Kosovo-Einsatz bangen? Und was denken die Kosovaren?

KOMMENTAR:

Zu Hause bei Familie Kramarczyk in Braunschweig. Ihr Sohn Dirk, 33, ist Arzt in der Rettungsgruppe der deutschen Heeresflieger - einer von 3.000 deutschen Soldaten, die im südlichen Mazedonien, an der Grenze zum Kosovo, stationiert sind. Was in der Krisenregion passiert, lesen die Eltern jeden Tag in der Zeitung. Sie machen sich Sorgen um ihren Sohn.

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MUTTER:

"Eigentlich den ganzen Tag, also das ist, weil ich einfach auch Angst habe. Also die Ängste kann ich einfach nicht verdrängen. Mein Mann beruhigt mich zwar immer wieder, aber ich schaffe das nicht, also diese Gedanken wegzuschieben. Und das ist eigentlich auch ganz klar für eine Mutter."

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VATER:

"Auf der einen Seite sieht man die Notwendigkeit dieses Einsatzes natürlich ein. Auf der anderen Seite, da man direkt beteiligt ist, möchte man am liebsten nichts geschehen lassen. Das ist das Problem, in dem man sich als Denkender und Fühlender befindet."

KOMMENTAR:

Im albanischen Arbeiter-Club in Hamburg-Altona. Die Menschen hier verfolgen gespannt die Nachrichten über den Krieg in Jugoslawien. Keiner hier glaubt, daß es den Leuten im Kosovo schnell besser gehen wird. Aber mit dem NATO-Einsatz verbinden Sie eine letzte Hoffnung auf Freiheit.

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KOSOVO-ALBANER:

"Geht doch gar nicht. Entweder macht das NATO oder machen wir das. Weil wir brauchen auch irgendwann Freiheit. So geht das nicht. Wissen Sie wieviel Leute sind umgebracht und die Häuser kaputt gemacht und so, das geht doch gar nicht."

KOMMENTAR:

Nur wenige Straßen weiter sieht man das ganz anders. Dieser Gemischt- und Lebensmittelladen ist ein Treffpunkt der Serben. Was sie jetzt wissen wollen: Wen hat es getroffen? Wer wird am Ende der Stärkere sein? Über Nacht sind sie das geworden, was man im Krieg Feinde nennt.

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SERBE:

"Was die NATO macht, das ist unvorstellbar. Man hat keine Gerechtigkeit davon, weil Gerechtigkeit ist unsere Seite. Wir schützen unser Land, wir haben niemals aus unserer Grenze herausgekommen, wir haben nie gekämpft gegen andere im anderen Gebiet, nur in unsere Gebiete."

KOMMENTAR:

Der Laden ist auf Delikatessen im Balkan spezialisiert. Von überall kommen sie her, liegen einträchtig im Kühlregal. Mit Wein und Salami scheint der Krieg weit weg. Aber auch hier hat man am Ende nur einen Gedanken: Wie geht es den Angehörigen in der Heimat?

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SERBE:

"Ich hab' heute auch mit Verwandten gesprochen, die leben, die haben Nacht im Keller verbracht, aber die leben."

KOMMENTAR:

Je mehr die Kramarczyks von den Ereignissen im Kosovo erfahren, desto größer wird ihre Sorge um den Sohn. Zweimal war Dirk schon im Auslandseinsatz, aber nie hatte man an Kampf und Krieg gedacht. Die Eltern sind zwiegespalten. Doch sie respektieren auch das Pflichtgefühl des Zeitsoldaten.

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VATER:

"Es ist sein Beruf, er hat sich entschieden, in der Bundeswehr zu dienen. Und von daher muß er natürlich die Aufgaben, die dann im Rahmen seines Berufes auf ihn zukommen, auch erfüllen. Und daran hält er sich voll."

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MUTTER:

"Es ist so viel Elend da. Wenn man das sieht, also diese Kinder und diese Mütter, oder heute war ein Vater, saß auf einem Pferd, im Schnee, hatte einen Säugling im Arm - das zerreißt einen auch, und dann sagt man: Jawohl, es ist nötig. Und von daher sehe ich das auch ein."

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VATER:

"Wobei er natürlich auch sagt, daß im Grunde genommen der Auftrag, den diese Notfalltruppe hatte, erfüllt ist. Die hatte ja den Auftrag, die OSZE-Beobachter im Notfall, falls sie von den Jugoslawen festgehalten wurden, herauszuholen. Das ist ja nun gottlob nicht nötig gewesen, und von daher ist im Grunde genommen der Auftrag dieser Notfalltruppe, zu der mein Sohn gehört, erledigt."

INTERVIEWER:

"Was heißt das?"



VATER:

"An und für sich hieße das aus meiner Sicht - natürlich für meinen Sohn denkend und betreffs der Sorgen, die wir haben - daß er eigentlich wieder zurück müßte, zurück könnte."

KOMMENTAR:

Auf den ersten Blick wirkt alles wie immer am Bahnhof Hamburg-Altona. Die Menschen sind damit beschäftigt, möglichst schnell von Punkt A nach Punkt B zu kommen. Der Kosovo scheint ganz weit weg. Aber auf dem Monitor in der Bahnhofshalle kommen gerade die Nachrichten. Von der zweiten Angriffswelle auf Jugoslawien wird berichtet. Es ist Krieg. Das weckt Erinnerungen.

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PASSANTEN:

"Ja, es ist sehr traurig. Ich hab' meinen Mann im Krieg verloren. Und wenn jetzt unsere Söhne vielleicht noch wieder draufgehen, also mein Schwiegersohn und so weiter, also es wäre traurig, daß die jetzt mit müssen."

"Naja, ich meine, ich bin der Meinung, wenn jemand Soldat wird, dann ist das ein bewußter Vorgang irgendwie, und er sollte sich darüber auch klar sein, daß man als Soldat halt auch irgendwie dann sterben sollte - oder nicht sollte, aber daß das passieren kann einfach."

"Ich weiß nicht, es ist nicht nötig, daß die dafür ihr Leben hinhalten, daß die anderen sich da irgendwie abknallen. Also ich finde das nicht gut."

"Also es ist ganz fürchterlich. Wenn ich mir vorstelle, daß unsere deutschen Soldaten da ums Leben kommen könnten. Wissen Sie, ich hab' im Krieg meinen Mann verloren und meinen Bruder, und ich weiß, wie man sich fühlt, wenn man alleine zurück bleibt. Es ist ganz, ganz traurig, und ich meine, wir als Deutsche dürften uns da gar nicht so vereinnahmen lassen."

KOMMENTAR:

Die Kramarczyks haben Post bekommen, Feldpost. Der Brief ist schon einige Tage alt. Was drin steht, das beruhigt die Eltern ein wenig.

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MUTTER: (liest)

"Landschaftlich ist es hier traumhaft. Der See ist in zwei Gebirgsmassive eingebettet und soll der viertälteste See in Europa sein. Die Schilderungen hören sich eher nach Urlaub an oder? Zur Zeit sind wir von den Kriegswirren im Kosovo noch völlig unberührt. Auch wenn der Kosovo nur wenige Kilometer entfernt ist, merkt man lediglich anhand der massiven Truppenbewegung von NATO-Soldaten, daß in dem Nachbarstaat der Ausnahmezustand herrscht."

KOMMENTAR:

In dieser Zeit ist das Schönste für die Eltern, wenn ihr Sohn sie aus Mazedonien anruft.

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MUTTER:

"Und das letzte ist immer, daß wir immer sagen: Paß gut auf dich auf. Das hängt ihm wahrscheinlich schon zum Halse heraus, aber es ist immer der letzte Satz.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 25.03.1999 | 21:00 Uhr