Billigflagge und Hungerlohn - Vom Elend auf hoher See

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Vor der Nordseeinsel Amrum dümpelt ein Geisterschiff, ausgebrannt, ein Haufen Schrott, für den jetzt möglichst niemand mehr verantwortlich sein möchte - die "Pallas". Sie kennen die spektakulären Bilder, das auslaufende Öl, die verendeten Vögel, die verschmutzten Strände. Auf dem Schiff gab es, wie sich herausstellte, weder ein funktionierendes Feuermeldesystem, noch hatte die Mannschaft je eine Notfallübung gemacht. Verständigen konnte sie sich auch nicht so recht, denn die Seeleute kamen aus vier Ländern, und englisch sprachen die wenigsten. Zustände, die auf unseren Weltmeeren gang und gäbe sind. Der Frachter fuhr - wie inzwischen die Hälfte aller Schiffe - unter einer sogenannten Billigflagge. Das lohnt sich für den Reeder, denn teure Sicherheitssysteme sind da unnötig, Sozialabgaben und Steuern entfallen ganz oder teilweise, und die schlecht oder gar nicht ausgebildeten Seeleute werden oft wie Leibeigene gehalten.

Ralf Kaiser schildert ein Beispiel für eine weitgehend unkontrollierte Globalisierung, für deren Folgen der Steuerzahler - also wir - haftet und deren Gewinne die Reeder einstreichen.

Billigflagge und Hungerlohn
Immer mehr Reeder lassen ihre Schiffe unter Billigflagge fahren und beschäftigen Matrosen zu Hungerlöhnen.

KOMMENTAR:

Schuppen 81 im Hamburger Hafen. Ein zwanzig Jahre alter Frachter macht fest, einer von vielen. Die Schiffsmannschaft besteht aus Philippinos. Gehorsame Seeleute, arbeitswillig, so wie die Reeder es lieben. Und vor allem: sie sind billig, Matrosen aus Asien sind die Arbeitssklaven der Gegenwart, verfügbar rund um die Uhr.

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PHILIPPINOS: (Übersetzung)

"Meine Heuer, naja, das sind 800 Mark im Monat, die ich da kriege, allerdings ohne Überstunden."

"Ungefähr 1.500 Mark im Monat kriege ich für Arbeit rund um die Uhr. Wenn ich keine Überstunden mache, dann ist es viel weniger, naja, dann sind es 800 Mark ungefähr."

KOMMENTAR:

Diese Hungerlöhne werden nicht auf irgendeinem Dritte-Welt-Dampfer gezahlt. Die "Rickmers Dalian" hat zwar die Billigflagge Zyperns am Mast, gehört aber sie gehört deutschen Eignern, einer alteingesessenen Hamburger Reederei.

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KLAUS MEYER:

(ÖTV)

"Die Rickmers-Linie ist eine hundertprozentige Tochter der Hapag-Lloyd, also das sind die Herren, die im Nadelstreifen am Ballindamm spazierengehen und sich vom Chauffeur die Pralinen hinterhertragen lassen."

KOMMENTAR:

Der deutsche Transport- und Touristikkonzern Hapag-Lloyd verdient gut an solchen Seelenverkäufern wie der "Rickmers Dalian". Die deutschen Aktionäre können sich freuen, denn vergangene Woche erhöhte Hapag die Dividende pro Aktie von 20 auf 25 Mark. Gespart wird dafür an der Instandhaltung und der Heuer.

Die Ausbeutung der Seeleute bekämpfen ÖTV und ITF, die Internationale Transportarbeiter Gewerkschaft. Überraschungsbesuch an Bord. Sie wollen die Heuerliste einsehen. Eine Kamera schätzt der englische Kapitän auf dem deutschen Schiff schon gar nicht.

Nichts geht mehr an Schuppen 81. Hafenarbeiter und Gewerkschafter boykottieren die Beladung der "Rickmers Dalian". Das Ziel: Hapag soll den philippinischen Matrosen 2.900 Mark Heuer zahlen. Das ist der weltweit geforderte Mindesttarif. Und für den ist die Gewerkschaft mit ihrem Frachter "Global Mariner" unterwegs. Im Visier: die sogenannten Billigschiffe. 16.000 gibt es davon auf allen Meeren.

Der Hafen im portugiesischen Porto: Inspektion der "Saadoun". Ein 31 Jahre alter Frachter, gebaut in Deutschland. Die Rostlaube hat bereits sechsmal die Flagge gewechselt, ein Sicherheitsrisiko, behauptet der Kontrolleur.

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ULRICH JÜRGENS:

(Transportarbeiter-Gewerkschaft)

"Hier sieht man den Unterschied zwischen einem ziemlich neuem Tau und einem ziemlich verrotteten."

KOMMENTAR:

Löschgeräte - Fehlanzeige. Da hilft nur noch Sarkasmus.

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ULRICH JÜRGENS:

"Bei einem Brand ist es wahnsinnig hilfreich, diesen Behälter zu öffnen."

KOMMENTAR:

Der Blick in den Kühlschrank: ein Stück Käse und drei Eier, Vorrat für 15 Mann Besatzung. Kleinlaut beschwichtigt der Koch, am Abend werde der Kühlschrank aufgefüllt, die Seeleute wissen es besser.

Unter Deck zeigt sich das Dilemma vieler Billigflaggenschiffe. Der Kontrolleur zählt auf:

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ULRICH JÜRGENS:

"Dieses Schiff trägt die Flagge Kambodschas, es ist in englischem Besitz, registriert in Panama. Die Seeleute kommen aus Syrien und Rumänien, und die Schrift auf den Rettungskammern ist in Deutsch. Das wird im Notfall allen mächtig helfen!"

KOMMENTAR:

Einer der Notfälle: Die "Braer" vor den Shetland-Inseln 1993. Der Tanker war zu alt, der Kapitän wählte eine Route zu nah an der Küste, und die schlechten Sprachkenntnisse der Matrosen behinderten die Verständigung bei den Rettungsarbeiten. Die "Braer" fuhr unter der Flagge Liberias.

Der Tanker "Haven", der 1991 vor Genua explodierte und eine gewaltige Ölpest verursachte, war in Zypern registriert.

Kontrolle auf einer anderen Rostlaube. Und wieder werden sie fündig. Mit Mühe und Not verstehen diese Seeleute ein paar Brocken Englisch. Ein Agent aus Syrien hat sie an Bord vermittelt. Sie fahren unter der Flagge Panamas, den Eigentümer des dreißig Jahre alten Seelenverkäufers "Daisy 1", den kennen sie nicht. Nur zaghaft reden sie über ihre Heuer.

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SEEMANN: (Übersetzung)

"Geld, Geld habe ich nur für den letzten Monat erhalten."

FRAGE:

"Aber nicht alles auf einmal oder?"

SEEMANN:

"Nein, nein, nicht alles auf einmal. Ich muß immer fragen, ob ich einen Teil davon bekomme."

FRAGE:

"Habt ihr Geld gekriegt für einen Monat, für zwei, für drei?"

SEEMANN:

"Nein, nein, nein, nichts, gar nichts haben wir erhalten, gar nichts."

KOMMENTAR:

Der Boykott gegen den Hapag-Lloyd-Frachter im Hamburger Hafen wirkt. Das Unternehmen willigt ein, den Philippinos die geforderten 2.900 Mark, umgerechnet 1.700 Dollar, zu zahlen.

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KLAUS MEYER:

(ÖTV)

"Die sind jetzt bereit, ein TCC für 1.700 abzuschließen. Der schnellste Weg sei, entweder es mit dem Kapitän machen, deswegen gehe ich jetzt mit Ulf rauf und schnacke mit dem Kapitän."

KOMMENTAR:

Ein Interview mit PANORAMA lehnt Hapag-Lloyd ab. Die deutschen Kollegen jubeln, doch was nützt das schon - auf dem nächsten Schiff erwartet die Philippinos wieder ein Hungerlohn.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 10.12.1998 | 21:45 Uhr