Etikettenschwindel beim Schuhkauf - Wie die Verbraucher vom Handel getäuscht werden

von Bericht: Inge Altemeyer und Beate Greindl

Anmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

"Made in Italy" lesen wir gern auf edlen Lederschuhen, "Made in Germany" tut's auch. Getrost tragen wir die teuren Nobeltreter dann nach Hause, in dem Bewußtsein, hier nun italienischen Chic oder deutsche Qualität erworben zu haben - Produkte, die nichts mit Billiglohnländern, Kinderarbeit und Umweltschäden zu tun haben. Ob Nobelmarke oder Billigstiefel - viele betreiben Etikettenschwindel - mit brutalen Folgen.

Etikettenschwindel beim Schuhkauf
Selbst als italienische und deutsche Markenschuhe deklarierte Produkte stammen häufig aus Indien. Ein Bericht von 1998.

Über auch für uns giftige Schuhe unter falschem Label berichten Inge Altemeyer und Beate Greindl.

KOMMENTAR:

Karstadt. Nur mit versteckter Kamera können wir drehen. Es ist, als ginge es um illegale, hochbrisante Waren. Dabei geht es nur um Schuhe. Dennoch: Drehverbot und Interviewverbot. Dasselbe beim Schuhzentrum Reno. Der Grund: Hinter so manchem italienischen Schuhnamen verbergen sich indische Produkte. Eine Verbrauchertäuschung, über die niemand reden will.

Der indische Distrikt Ambur, Schuhzentrum und eine riesige Kloake. Verseucht von über 700 Ledergerbereien auf einer Fläche von nur etwa 50 Quadratkilometern. Dies ist wohl die höchste Konzentration von Gerbereien weltweit. Der hochgiftige Gerbschlamm - bei uns müßte er als Sondermüll teuer entsorgt werden. Doch hier werden die Abwässer oft einfach in die freie Natur geleitet.

Das Trinkwasser ist hochbelastet. Die Bevölkerung wird davon krank. Magen-Darm-Krankheiten, Allergien. Eine Bürgerinitiative prangert die Zustände an.

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P. S. SUBRAMANIAN: (Übersetzung)

(Anti-Leder-Kampagne)

"Es gab hier schon über 1.500 Krankheitsfälle, die mit größter Wahrscheinlichkeit auf die Verschmutzung und die Verknappung des Wassers zurückzuführen sind. Es gab sogar schon Hunderte von Cholera-Fällen. Acht Personen sind daran gestorben."

KOMMENTAR:

Die Lederfabriken verbrauchen Unmengen an Wasser. Die wenigen Kläranlagen, die es überhaupt gibt, sind der Abwasserflut nicht gewachsen. Keine Chance für einen normalen Reinigungskreislauf bei solchen Giftkonzentrationen.

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JÜRGEN KROSS:

(Bremer Umweltinstitut)

"Der doch immense Wasserverbrauch läßt natürlich die Frage stellen, ob man auf einem so kleinen Gebiet so viele stark wasserverbrauchende Fabriken überhaupt bauen kann. Da ist am Ende die Klärung durch Anlagen, glaube ich, fast nicht mehr möglich."

KOMMENTAR:

Überall Berge von Lederresten in Gerbertown Ambur. Deutschland ist der größte Abnehmer der Lederwaren. Wer in diese Gegend kommt, taucht ein in einen beißenden, widerlichen Gestank. Trotz des Umweltdesasters kaufen deutsche Schuhimporteure hier gerne ein, es ist ja so günstig.

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NORBERT DEXHEIMER:

(Schuhimporteur)

"Man ist im ersten Moment eigentlich wie geschockt, man kann das gar nicht begreifen. Man stellt sich diese Frage dann oft. Nur - ich sehe das mittlerweile natürlich von einem anderen Standpunkt. Da sind sehr viele Leute, die der einzige Broterwerber sind in der Familie, und wir sind durch unsere Aufträge einfach in der Lage, so vielen Leuten einen gewissen doch schon besseren Lebensstandard auch zu gewährleisten."

KOMMENTAR:

Für den deutschen Handel zahlen sich die billigen Arbeitskräfte aus. Selbst beim Arbeitsschutz wird hier gespart - nicht mal Handschuhe oder Mundschutz gegen die giftigen Dämpfe.

Auch Deichmann bezieht Schuhe direkt aus Indien, etwa eine Million Paar jährlich. Beispiel: Die Schuhmarken Easy Street, Casablanca und Century werden unter anderem in Ambur hergestellt. Und gerade bei Lederschuhen, die diese Labels tragen, gibt es hier einmalige Spottpreise. Merkwürdig nur, daß wir in deutschen Läden nie ein "Made in India-Emblem" finden, dafür oft "Made in Italy".

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HELMUT MERKEL:

(Deichmann)

"Das ist also durchaus üblich, daß Schäfte, das sind die Oberteile zum Beispiel eines Schuhs, in Indien gefertigt werden, nach Italien importiert werden, und ein italienischer Hersteller montiert dann diese unterschiedlichen Komponenten zu einem fertigen Schuh in Italien."

KOMMENTAR:

Und schon ist aus dem indischen Schaft ein italienischer Schuh geworden, auch wenn er nur in Italien zusammengeklebt wurde. Die Kunden wissen nichts von diesem Etikettenschwindel, und der Handel profitiert vom guten Ruf des italienischen Schuh.

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KUNDINNEN:

"Italienische Schuhe sind natürlich sehr elegant gearbeitet und sehr auch fußgerecht."

"Ich mag sie gern, die sind nicht so klobig wie die anderen, finde ich."

KOMMENTAR:

Auch Edel-Schuhe sind vom Etikettenschwindel betroffen. Beim Damenschuhhersteller Gabor kamen im vergangenen Jahr zwanzig Prozent der Schuhoberteile aus Indien. Hier in Rosenheim werden sie zusammengesetzt. Auf der Sohle steht später "Made in Germany". Eine geschickte Verkaufspolitik.

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(Gabor)

"Wenn wir zum Beispiel einen vollgeflochtenen Schuh als Beispiel nehmen, der würde in Deutschland etwa 250 Mark im Laden kosten, wenn wir die Oberteile dafür aus Indien beziehen, kostet der Schuh 150 Mark."

KOMMENTAR:

Während etwa das Montageland Deutschland die Gabor-Sohle ziert, wird Indien dezent verschwiegen.

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INTERVIEWERIN:

"Wäre es Ihnen jetzt auch egal, zu wissen, wenn dieser Schuh beispielsweise in Indien produziert würde?"

KUNDIN:

"Das wäre mir natürlich nicht egal. Also wenn also Kinderarbeit und solche Geschichten - da bin ich eigentlich schon sehr sensibel."

KOMMENTAR:

Auch in der indischen Lederstadt Ambur arbeiten Zehntausende von Kindern. Fast alles geht in den Export, vor allem nach Deutschland. Wie die Erwachsenen sind auch die Kinder den aggressiven Chemikalien für die Lederbehandlung und dem Staub schutzlos ausgesetzt. Besonders schlimm ist es in den Gerbereien. Hier werden bis zu 150 Chemikalien eingesetzt. Diese Arbeit endet manchmal sogar tödlich - Milzbrand.

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LAURENCE SURENDRA: (Übersetzung)

(Toxikologe)

"Der Milzbranderreger aus der rohen Tierhaut führt fast zu hundert Prozent zum Tode. Meist wird der Tod aber nicht in Verbindung mit dem Gerben gebracht, weil alles so schnell geht."

KOMMENTAR:

Wegen der Hitze in Indien wird das Leder mit besonders vielen Konservierungsmitteln behandelt - Chemikalien, die möglichst billig, aber auch extrem schädlich sind.

Im Prüfinstitut der deutschen Schuhindustrie in Pirmasens finden Experten im indischen Leder immer wieder das verbotene PCP, Quecksilber- und Arsenverbindungen und höchst krebserregende Chromate. Nur auf PCP wird regelmäßig getestet, obwohl die anderen Konservierungsmittel zum Teil noch viel gefährlicher sind.

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DR. GERHARD NICKOLAUS:

(Prüfinstitut der Schuhindustrie Pirmasens)

"Quecksilberverbindungen werden wohl zunehmend bei Ledern, die in Asien hergestellt werden, zur Konservierung eingesetzt, und denen ist sicher eine ähnliche Gefährdungspotenz zuzuschreiben wie den Chromaten."

INTERVIEWERIN:

"Das heißt, Sie würde sie dann, wenn die in Schuhen vorkommen, auch nicht anziehen?"

DR. GERHARD NICKOLAUS:

"So ist es."

KOMMENTAR:

Die Kunden haben oft keine Ahnung von den gefährlichen Giften in Schuhen. Über den Fußschweiß können sie in den Körper gelangen und sogar Krebs erzeugen. Auch die neuen EU-Labels geben keine Hinweise, zum Ärger der Verbraucherverbände.

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BERNHARD ROSENKRANZ:

(Verbraucherzentrale Hamburg)

"Die Verbraucherverbände fordern eine Art Schuhpaß, in dem also alle eingesetzten Chemikalien enthalten sind und auch das Herkunftsland, so daß man richtig erkennen kann, in welchen Ländern wurde der Schuh gefertigt, was wurde eingesetzt."

KOMMENTAR:

Doch solche Vorschriften würden einigen Schuhläden wohl den Umsatz verderben. Fraglich ist, ob dann nicht manches Geschäft seinen Werbeslogan ändern müßte oder ob es immer noch heißen kann:

WEREBESPOT:

"Kaum zu glauben: Markenschuhe so günstig - Deichmann."

Abmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Günstige, dafür giftige Schuhe für uns. Die echten Gewinner sind diejenigen, die das schier unerschöpfliche Potential der Billigarbeitskräfte auf der ganzen Welt ohne Rücksicht auf Gesundheit und Umwelt für sich zu nutzen wissen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 26.02.1998 | 21:45 Uhr