Betrüger und Abzocker - Die Nebeneinkünfte von Europa-Abgeordneten

von Bericht: Udo Lielischkies und Marcello Faraggi

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Großzügige Regelungen führen ja bekanntlich weniger zur demütigen Dankbarkeit der Nutznießer, sondern vielfach zum Mißbrauch. Üppige Spesen- und Reisekostenregelungen, sehr gute Arbeitsbedingungen mit vielen Möglichkeiten, so ganz nebenbei noch Geld zu machen - all das reizt, immer mehr herauszuschlagen - erst recht, wenn es niemand kontrolliert. So schön haben es unsere EU-Abgeordneten in Brüssel. Da werden Phantomreisen zu Höchstpreisen abgerechnet und Verwandte für gutes Geld noch mit beschäftigt. Nun gibt es einen Bericht des Europäischen Rechnungshofes, der belegt, daß nicht wenige unserer europäischen Volksvertreter ganz schlicht Betrüger sind.

Nebeneinkünfte von Europa-Abgeordneten
Ein Bericht des Europäischen Rechnungshofes belegt, dass sich Abgeordnete des Europaparlaments an Steuergeldern bereichern.

Udo Lielischkies und Marcello Faraggi haben ihn gelesen.

KOMMENTAR:

Herbst '96. Das englische Fernsehen filmt Europa-Abgeordnete, die sich in Anwesenheitslisten eintragen und sofort oder kurz später ins Wochenende verschwinden, also Sitzungsgelder erschleichen. Reaktion:

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JOHN TOMLINSON: (Übersetzung)

(Kontrollausschuß Europa-Parlament)

"Wenn Sie mir nur ein Beispiel geben für zu Unrecht kassiertes Tagegeld, wird der Haushaltskontrollausschuß dem sofort nachgehen."

KOMMENTAR:

Pech für Tomlinson: Er selbst wird gefilmt, auch am Flughafen beim frühzeitigen Heimflug. Skandal, Empörung, und das Parlament selbst fordert vom Rechnungshof eine Überprüfung. Neunzig Abgeordnete wurden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und ihre 96er Abrechnungen unter die Lupe genommen. Das Ergebnis sorgt jetzt für Krisenstimmung. Prüfer des Rechnungshofs reden von schockierenden Unterlagen, wollen aber nicht vor die Kamera. Streng vertraulich beriet schon gestern das Präsidium den noch vorläufigen Bericht. Und der zeigt bisher unbekannte Tricks, mit denen Abgeordnete sich bereichern können, auch bei den Sitzungsgeldern. Zwar wird neben der Unterschrift in den Listen inzwischen auch mit namentlichen Abstimmungen im Plenum überprüft, wer wirklich da ist. Wer nur signiert und dann verschwindet, muß mit Abzügen rechnen. Aber Volksvertreter, die längst in Richtung Heimat abgehoben haben und nicht mehr unterschreiben konnten, dürfen jetzt ihre Anwesenheit am Sitzungsort ausdrücklich auch mit Hotelrechnungen nachweisen - ganz legal. Der schlimme Verdacht: Montags und freitags, wenn Sitzungssäle und Anwesenheitslisten leer sind, helfen nette Hoteliers mit einer Rechnung aus. Und tatsächlich: Sämtliche geprüften Hotelrechnungen betrafen Beginn oder Ende der wöchentlichen Sitzung. Ein klares Indiz.

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DETLEV SAMLAND:

(SPD, Europa-Abgeordneter)

"Das hat mich auch erstaunt, und ich wäre bereit und jederzeit in der Lage, einen Vorschlag zu machen, daß das grundsätzlich abgeschafft wird."

KOMMENTAR:

Eine weitere Enthüllung betrifft die Assistenten der Abgeordneten. Sie werden aus einer Pauschale von pro Volksvertreter 19.000 Mark monatlich bezahlt. Zwar geht das Geld inzwischen nicht mehr über das Abgeordnetenkonto - auch das eine Verschärfung aus gegebenem Anlaß - aber der Rechnungshofbericht moniert, schön diplomatisch, daß bis heute die Vorlage des Arbeitsvertrages mit dem Assistenten nicht vorgeschrieben ist. Und auch eingereichte Rechnungen von Assistenten kontrolliere niemand, so die Kritik der Rechnungsprüfer. Vorsichtige Formulierungen für eine altbekannte Praxis: Viele sogenannte Assistenten, bei den Briten vorzugsweise Familienmitglieder, sind in Wahrheit Fiktion.

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PARLAMENTS-ASSISTENT: (Übersetzung)

"Es kann Ihre Frau sein, eine Stiftung, ja sogar Ihr Gärtner. Das wird gemacht, um das Geld zurückzubringen, um sicherzustellen, daß es letztlich beim Parlamentarier selbst landet."

KOMMENTAR:

Empörung dazu gestern beim Präsidenten - aber leider nur über die Indiskretion.

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JOSÉ GIL ROBLES: (Übersetzung)

(Präsident Europa-Parlament)

"Rechnungshofpräsident Friedmann hat den Bericht geschickt, ohne Details zu den Prüfungen hineinzuschreiben. Ich habe jetzt Friedmann in einem Brief gefragt, wieso die Antworten der überprüften Abgeordneten durchgesickert sind, ohne das da eingegriffen wurde."

KOMMENTAR:

Gil Robles hat jetzt Disziplinarmaßnahmen gefordert - nicht gegen überprüfte Parlamentsmitglieder, sondern gegen indiskrete Beamte des Rechnungshofes. Doch der hat seine Finger auf viel tiefere Wunden gelegt, Stichwort Reisekostenpauschale. Nicht nur, daß jeder Volksvertreter seinen ersten Wohnsitz ungeprüft an den Rand Europas legen kann, um möglichst hohe Reisekosten zu ergattern. Selbst wer Billigflüge bucht, wird automatisch mit fürstlichen Entfernungspauschalen abgerechnet. Ein Riesengeschäft für die Weitgereisten vor allem, so der Rechnungshof. Selbst wer Business fliegt, bekommt, ganz legal, im Durchschnitt noch 30 Prozent mehr auf die Hand, als er bezahlte. Ein programmiertes Zubrot:

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HEIDI HAUTALA: (Übersetzung)

(Finnische Europa-Abgeordnete)

"Ich habe damals schnell gemerkt, daß man ganz legal nach den Regeln des Hauses durch diese Art der Reiseabrechnungen 80 bis 90.000 Mark pro Jahr für sich übrigbehalten kann."

KOMMENTAR:

Die fragwürdige Bereicherung wird im Parlament damit entschuldigt, daß viele Volksvertreter aus dem Süden vom Heimatland nur karge Diäten bekommen, 4.000 Mark die Griechen und Portugiesen etwa.

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DIEMUT THEATO:

(Kontrollausschuß Europa-Parlament)

"Wir brauchen gleiche Bezahlung für die Abgeordneten, damit solche Hilfsmittel, vermeintliche Hilfsmittel, nicht herangezogen werden."

KOMMENTAR:

Anrüchige Abrechnungstricks als Diätenersatz für die Mittelmeerfraktion im Parlament, die peinlichen Enthüllungen werden die Volksvertreter in Atem halten. Und viele korrekte Abgeordnete hoffen jetzt, daß der neue Druck auch den Regierungschefs Beine macht, denn nur die können vernünftige Diäten für alle und damit ein Ende der Selbstbedienung beschließen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 28.05.1998 | 21:00 Uhr