"Ich habe meine Frau nicht umgebracht" - Interview mit Pastor Geyer

von Bericht: Nicola von Hollander

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Vor einigen Monaten berichteten wir über Klaus Geyer, einen Pastor aus Niedersachsen, der - so sah es das Gericht - seine Frau umgebracht hat. Er wurde zu acht Jahren Haft verurteilt. Die Geschichte hat damals viele Menschen interessiert und bewegt. Es ging um die Entzauberung eines vermeintlich vorbildlichen Pastorenlebens, um Ehebruch, um Verzweiflung, auch um Härte. Während seine Gemeinde, sein linkschristliches Umfeld, heute zerrissen ist zwischen Abscheu und Unschuldsglaube, soll er nun in der Haftanstalt Braunschweig büßen. Aber er behauptet nach wie vor, er sei unschuldig.

Pastor Geyer: "Ich habe meine Frau nicht umgebracht"
Interview mit Pastor Klaus Geyer, der 1998 wegen Totschlags an seiner Frau zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde.

Meiner Kollegin Nicola von Hollander ist es gelungen, das erste Interview mit ihm zu führen, dem einzigen deutschen Geistlichen, der wegen eines Tötungsdeliktes hinter Gittern sitzt.

KOMMENTAR:

Versteckt auf einem Privatgrundstück der Parkfriedhof von Beienrode. Auffallend das Grab der Pastorenfrau Veronika Geyer-Iwand. Ihr Mann soll sie im Streit erschlagen. Bis heute gibt es kein Geständnis - dafür aber einen Verurteilten.

Es ist Pastor Klaus Geyer. Im Affekt soll er seine Frau getötet haben. Das Urteil: acht Jahre Haft. Er bestreitet die Tat, doch ihm fehlt ein Alibi. Was bleibt, sind zwei Mal vier Meter -Gefängniszellen-Norm. Hier sitzt er seit einem Jahr. Häufig allein bleiben ihm nur Erinnerungen.

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KLAUS GEYER:

"Ja, hier sind Bilder meiner Frau und die Bilder von unserer letzten gemeinsamen Unternehmung mit zwei Prager Freunden."

INTERVIEWERIN:

"Was bedeuten Ihnen die Fotos Ihrer Frau und Ihrer Familie?"

KLAUS GEYER:

"Es sind Erinnerungen an glückliche Zeiten. Es sind auch Erinnerungen daran, daß meine Kinder draußen mehr durchzumachen haben, als ich mir manchmal selber vorstelle, wenn ich mich um mich selber drehe. Es sind zwiespältige Empfindungen. Es ist einmal - ich bin froh, daß die Bilder da sind, und dann sind sie manchmal auch Anlaß einfach zum Heulen. Und das tue ich dann auch."

KOMMENTAR:

Klaus Geyer hofft jetzt auf die Revision, die Wiederaufnahme des Prozesses. Deshalb - so die richterlich Anordnung - dürfen wir ihm keine Fragen nach Beweismitteln oder der Tat stellen. Der Pastor hatte mehrere Geliebte, beging Ehebruch. Wie lebt er mit der Schuld?

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KLAUS GEYER:

"Also, es ist einmal die große Schuld, die mir vorgeworfen wird. Und es gibt dann all das, was ich in meinem Leben falsch gemacht habe und wo ich Schuld auf mich geladen habe. Das fängt an mit Ehebruch und mit Beziehungen zu anderen, die ich überhaupt nicht verteidigen kann und nicht verteidigen will, weil Ehebruch immer mit Unaufrichtigkeit und mit Heimlichkeiten verbunden ist. Auch wenn ich mit meiner Frau an vielen Stellen geredet habe über bestimmte Dinge, aber es bleibt trotzdem etwas, was ich nicht verteidige und nicht entschuldigen kann."

KOMMENTAR:

Auch im Gefängnis trägt er noch den Ehering.

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INTERVIEWERIN:

"Sie tragen noch den Ehering?"

KLAUS GEYER:

"Ja."

INTERVIEWERIN:

"Was bedeutet der Ihnen?"

KLAUS GEYER:

"Ich weiß nicht, warum ich ihn noch trage. Irgendwie kann ich mich noch nicht so ganz damit abfinden, daß meine Frau nicht mehr da ist. Und - viel mehr will ich dazu jetzt gar nicht sagen."

INTERVIEWERIN:

"Das Gesicht Ihrer Frau war bis zur Unkenntlichkeit zerstört - wie können Sie damit leben?"

KLAUS GEYER:

"Gar nicht, überhaupt nicht. Also ich habe mir diese Bilder auch in der Akte nicht angeguckt, überblättert. Sie waren zum Teil auch schwarz als Kopie. Ich weiß noch, daß ich im Prozeß Schwierigkeiten hatte, da, als die Schädeldecke gezeigt wurde, überhaupt hinzugucken. Ich verdränge das."

KOMMENTAR:

Einige halten ihn immer noch für unschuldig.

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KLAUS GEYER:

"Also, ich muß immer gucken, vor welchem Hintergrund zweifelt einer, beschuldigt mich einer oder hält auch an meiner Unschuld fest, auch da gibt es ja Solidaritätsbeteuerungen, die ich zwar höre, die mir aber sozusagen nichts bedeuten, weil die Leute mich gar nicht kennen. Und wer mich nicht kennt und mir sagt: Ich halte dich für unschuldig - ja, das kann ich nicht so ganz ernst nehmen, weil ich immer gepredigt habe: Im Prinzip kann jeder Menschen in bestimmten Situationen totschlagen, wenn er dorthin geführt wird. Das liegt im Bereich des Menschenmöglichen. Das habe ich schon vorher gepredigt."

KOMMENTAR:

Im Prozeß wirkte er auf viele gefühlskalt.

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KLAUS GEYER:

"Ich stand nicht vor einem kirchlichen Gericht, da hätte ich anders geredet über Ehe und über Schuld. Ich hatte mich mit der Frage auseinanderzusetzen: Hast du deine Frau erschlagen. Und was hat die andere Sache, eure Ehekonflikte, eure Ehegeschichte, damit zu tun. Und ich habe mich mühsam konzentriert, in dieser Richtung zu denken und auszusagen. Und das war sicher verkrampft. Es war dieses Dauergefühl: Du bis in Absurdistan, wie ich mal geschrieben habe, du gehörst hier eigentlich gar nicht hin. Das prägt dann auch die Art, wie man da sitzt. Es kam dazu natürlich: Ich möchte vor bestimmten Leuten meine Gefühle nicht äußern."

INTERVIEWERIN:

"Haben Sie denn grundsätzlich eher Probleme, über Ihre Gefühle zu sprechen?"

KLAUS GEYER:

"Ich habe, hab’ ich ja schon gesagt, grundsätzlich sicher eher Probleme, über meine Gefühle zu sprechen, und es setzt ein Gegenüber voraus, wo ich das auch kann, oder eine Gruppe oder einen Kreis, wo ich das auch kann. Wissen Sie, Sie kommen in den Gerichtssaal, und da sitzen dann Zuschauer, und der eine macht Ihnen schon die Gebärde des Halsabschneidens, wenn Sie reinkommen. Wollen Sie vor dem Ihre Gefühle zu Ihrer Frau ausdrücken?"

KOMMENTAR:

Weiß er denn selber, ob er ein guter oder ein schlechter Mensch ist?

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KLAUS GEYER:

"Ich weiß nicht, ob ich ein schlechter oder guter Mensch bin, die Entscheidung, die habe ich zum Glück nicht zu fällen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 17.09.1998 | 23:00 Uhr