Falsche Parolen, feige Politiker - Der medienwirksame Kampf der Kohle-Kumpel

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Drei mit Kohlenstaub verschmutzte Bergleute © picture-alliance/dpa Foto: Roland Weihrauch

Drei mit Kohlenstaub verschmutzte Bergleute

Guten Abend, willkommen bei Panorama. Lassen Sie uns doch auch mal über Kohle reden - jetzt mal anders: nicht nur über die, die die Kumpels aus dem Schacht holen, sondern über die, die wir aus dem Fenster werfen - für die Luxusfinanzierung einer industriellen Vergangenheitsverlängerung am Rhein und an der Saar. "Es kommt auf jede Tonne an", hieß es 1948 im Nachkriegsdeutschland. Kohle war der Wachstumsmotor für die am Boden liegende deutsche Industrie. Heute kommt es auf jede Mark an, und die Bergleute sind Teil eines Auslaufmodells, darüber macht sich wohl auch kaum ein Politiker Illusionen. Die aber hat man den Betroffenen gemacht, zu lange von einem "lebendigen Bergbau" in Deutschland geredet.

Der medienwirksame Kampf der Kohle-Kumpel
Ein Bericht von 1997 über das allmähliche Aus für den Kohlebau und Bergmannsberuf in Deutschland.

Über politische Anbiederung und den allmählichen Tod des Bergmanns.

KOMMENTAR:

Hier marschiert die Zukunft der Sozialdemokratie. Bergleute in Traditionskluft. Wallfahrten mit Tschingderassa-Bum. Da packt die SPD dann immer Glückseligkeit. So war es gestern, und so soll es morgen bleiben.

Diese Woche Aktionstage der Kumpel in Bonn. Wütende Bergleute dicht am Krawall. Rausch der Übereinstimmung mit den Genossen. Da mutiert jeder SPD-Spitzenmann zum Arbeiterführer und die Kohle zu Deutschlands Schicksal.

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REINHARD KLIMT: (SPD-Chef Saarland)

"Nordrhein-Westfalen soll leben, das Stahlwerk soll leben, Deutschland soll leben, und die Kohle soll leben."

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RUDOLF SCHARPING: (SPD-Fraktionsvorsitzender)

"Der Bergbau hat bei der SPD eine gute Heimat. Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren. ..."

KOMMENTAR:

Parolen, die den Männern im deutschen Steinkohlebergbau eingebleut werden, seit Jahrzehnten - gegen alle Vernunft und den Sachverstand der Experten.

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PROF. KLAUS-WERNER SCHATZ: (Institut für Weltwirtschaft Kiel)

"Es hängt wohl schlichtweg damit zusammen, daß die Politiker hier seit langem zu feige sind, den Bergleuten zu erklären, daß der Steinkohlebergbau in Deutschland keine Zukunft hat."

INTERVIEWER:

"Woraus begründet sich diese Feigheit, haben Sie da irgendeine Erklärung für?"

PROF. KLAUS-WERNER SCHATZ:

"Nun, die schlagendste Erklärung ist die, daß man um Wählerstimmen fürchtet."

KOMMENTAR:

Teure Wählerstimmen. Deutsche Steinkohle kostet heute fast viermal so viel wie Importkohle aus dem Ausland. Um deutsche Kohle trotzdem konkurrenzfähig zu halten, wurden bisher über 200 Milliarden Mark an Steuersubventionen in den Schächten an Ruhr und Saar vergraben - energiepolitisch sinnlos.

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PROF. KLAUS-WERNER SCHMITT: (Energie-Institut Uni Essen)

"Die deutsche Steinkohle deckt heute nur noch einen Beitrag von etwa zehn Prozent zur Deckung unseres Primär-Energieverbrauchs. Selbst in den Bereichen, in denen Steinkohle einen relativ hohen Versorgungsbeitrag erbringt, in der Stromerzeugung und in der Stahlindustrie, kann sie durch Importkohle ersetzt werden."

INTERVIEWER:

"Das heißt, wir brauchen die deutsche Steinkohle eigentlich nicht?"

PROF. KLAUS-WERNER SCHMITT:

"Deutsche Steinkohle ist verzichtbar."

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RUDOLF SCHARPING:

"Nicht nachlassen, protestieren, die Bevölkerung dafür werben, gemeinsam dafür sorgen, Sicherheit für die Reviere und die Zechen, für die Arbeitsplätze und die Familien. Glückauf, wir stehen zusammen."

KOMMENTAR:

Koste es, was es wolle. In der deutschen Steinkohle für jeden Kumpel pro Jahr 125.000 Mark an Subventionen - doppelt so viel wie ein Bergmann verdient.

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PROF. KLAUS-WERNER SCHATZ: (Institut für Weltwirtschaft Kiel)

"Das gibt es in keinem anderen Wirtschaftsbereich, weder in der Landwirtschaft, die immer wieder im Mittelpunkt des Interesses steht, noch bei den Werften oder auch im Luftfahrtsbereich.

Den Unsinn kann man schon daran erkennen dieser Subventionierung, daß man jeden im Bergbau Beschäftigten zum Regierungsrat machen kann. Das käme den Staat billiger - um rund 25.000 Mark je Regierungsrat im Jahr."

KOMMENTAR:

Die Kohle-Fans in der Politik aber rechnen vor, es gehe nicht nur um die 90.000 Kumpel. An der hochsubventionierten Steinkohle hingen auch zig tausend andere Arbeitsplätze in der Maschinen- und in der Zulieferindustrie.

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REINHARD KLIMT: (SPD-Chef Saarland)

"Sie erzählen, ein Arbeitsplatz im Bergbau würde 120.000 Mark Subventionen kosten. Das stimmt nicht. Die Arbeitsplätze bei den Zulieferern, die Arbeitsplätze bei den Firmen, die sonstwie Beschäftigt sind, das ist eine falsche Rechnung, das ist Volksverdummung. Und deswegen werden wir diesen Leuten entgegentreten."

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PROF. KLAUS-WERNER SCHATZ: (Institut für Weltwirtschaft Kiel)

"Es kann überhaupt kein Argument sein, daß es Zulieferbetriebe gibt, die Steinkohlesubventionen zu rechtfertigen. Wenn wir das zur Richtschnur machten, dann müßten wir an jeden deutschen Industrie- oder Wirtschaftszweig Subventionen zahlen, denn alle von denen haben Zulieferbetriebe."

KOMMENTAR:

Fackeln gegen Fakten. Eine große Koalition energiepolitischer Plattitüden. Vor ein paar Wochen bei der Menschenkette durchs Revier genauso wie jetzt in Bonn.

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NORBERT BLÜM:

"Wer den Bergbau plattmachen will, wer ihn absaufen lassen will, der handelt kurzsichtig. Wer sagt uns denn, daß der Weltmarktpreis der Kohle so billig bleibt, wie er heute ist?"

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OSKAR LAFONTAINE:

"Wir sind der Auffassung, daß eine Reserve bleiben muß, denn es kann ja wieder einmal sein, daß die Weltenergiemärkte in Turbulenzen geraten."

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INGRID MATTHÄUS-MAIER:

"Wir brauchen die Steinkohle, weil wir eine nationale Energiereserve brauchen. Ich habe noch miterlebt die großen Erdölkrisen."

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REINHARD KLIMT:

"Wenn es kein Öl mehr gibt, wenn es kein Erdgas mehr gibt, wenn es kein Uran mehr gibt, dann wird man immer noch die Kohle brauchen."

KOMMENTAR:

Und wenn es keine Politiker mehr gibt, würde unsere Energiereserve viel billiger - mit der Importkohle.

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PROF. DIETER SCHMITT: (Energie-Institut Uni Essen)

"Ich denke daran, daß man einen mehrjährigen Kohlevorrat anlegen könnte. Ein solcher Kohlevorrat könnte dann gegenüber - wie realistisch auch immer - zu unterstellenden Versorgungskrisen von außen absichern. Und wenn man einmal an einen Zweijahres-Kohlenvorrat dächte, mit dem man eben eine zweijährige Unterbrechung sämtlicher Lieferungen aus sämtlichen Exportregionen der Welt abfahren könnte, dann würde uns eine solche Sicherungsstrategie vielleicht zwanzig bis dreißig Mark pro Tonne kosten, und das sind ungefähr zehn Prozent der Kosten für eine Sicherheitsstrategie über die Aufrechterhaltung deutscher Steinkohle."

KOMMENTAR:

Nüchterne Rechnungen aber sind gar nicht gefragt. Die Kumpel pochen auf die jahrelangen Versprechungen der Regierenden. Von denen wollen sich einige allerdings ihrer Mitverantwortung nicht mehr stellen. Noch gestern abend im Fernsehen.

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JÜRGEN MÖLLEMANN: (Ex-Wirtschaftsminister)

"Ich bitte die Bergleute, mal ganz ernsthaft zu überlegen, ob sie nicht ein bißchen auch manchmal in diesen Tagen arrogant wirken. Andere müssen durch wirtschaftliche Krisen auch durch, bekommen keinen Pfennig vom Staat."

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KUMPEL:

"Wir sind nicht arrogant, wir wollen doch nur das haben, was ihr Politiker uns doch zugesagt habt, und da können Sie doch jetzt nicht hingehen und sagen, wir sind arrogant, Herr Möllemann."

KOMMENTAR:

Sie zittern um ihre Arbeitsplätze, und die SPD tut so, als ließe sich mit Steinkohle und Dauersubventionen die Zukunft sichern.

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REINHARD KLIMT: (SPD-Chef Saarland)

"Keine betriebsbedingten Kündigungen, und es muß heißen, einen lebendigen Bergbau über die Jahr 2005 hinaus."

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PROF. KLAUS-WERNER SCHATZ: (Inst. für Weltwirtschaft Kiel)

"Allein seit 1990 sind etwa 75 Milliarden in die Steinkohlesubventionen geflossen. Ich kann mir vorstellen, daß man hier eine phantastische Infrastruktur hätte aufbauen können für die Bedürfnisse moderner Industriezweige. Anstelle dessen hat man hier Industriemuseen erhalten, Museen freilich, in denen heute noch gearbeitet wird, Steinkohle gefördert wird."

KOMMENTAR:

Heute Jubel der Kumpel. Die Bundesregierung hat nachgegeben.

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BETRIEBSRAT:

"Und jetzt kommt der entscheidende Satz: bis im Jahr 2005 wird es keine Kündigung geben."

KOMMENTAR:

Denn bis zum Jahr 2005 bekommt die Kohle noch einmal fast 70 Milliarden Mark an Subventionen.

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PROF. KLAUS-WERNER SCHATZ: (Inst. für Weltwirtschaft Kiel)

"Auch die Subventionen im Jahre 2005 sind in wirtschaftlicher Sicht noch rausgeschmissenes Geld. Man täte besser daran, einen Fahrplan aufzustellen, der das gesamte Herunterfahren der Subventionen auf Null vorsieht. Denn Ärger handelt man sich so oder so ein."

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"Glückauf, wir stehen zusammen."

Abmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Das Erschrecken geht tief. Da ist auch die Angst, daß die Kumpel zu Helden der Nation werden, daß der Einmarsch der Bergleute in die Bonner Bannmeile vielleicht erst der Anfang war, daß sich die Menschen nicht mehr abspeisen lassen mit Phrasen von unseren Polit-Jongleuren in Bonn.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 13.03.1997 | 21:15 Uhr