Die Fischmehl-Connection - Eine Stadt klagt an

von Bericht: Dethlev Cordts

Anmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Es gibt etwas, das tatsächlich nie teurer zu werden scheint. Ein halber Hahn im Schnellimbiß um die Ecke kostet heute das gleiche wie vor dreißig Jahren. Schweinefleisch ist bei uns relativ billig, und Lachs, früher ein echter Luxusfisch, ist deutlich billiger geworden. Möglich macht’s Massentierhaltung. Gefüttert wird da vielfach Fischmehl, weil es eiweißhaltig ist und billig in der Herstellung. Damit wir hier in Europa, im wohlgenährten Westen, schön billig an unser Fleisch, Fisch und Geflügel kommen, nehmen wir Hunger und Krankheit anderswo- möglichst weit weg natürlich - in Kauf.

Die Fischmehl-Connection - Eine Stadt klagt an
Auswirkungen der Massentierhaltung in Europa auf die Bevölkerung in ärmeren Ländern am Beispiel von Peru.

Was das mit uns zu tun hat, darüber berichtet Dethlev Cordts.

KOMMENTAR:

Sonntagmorgen, 8.00 Uhr - Fischmarkt in Hamburg. Die Marktschreier unterbieten sich gegenseitig. Renner der Saison ist Lachs, inzwischen billiger als Leberwurst. Über 70 Millionen Kilogramm des einstigen Edelfisches haben die Deutschen im vergangenen Jahr verzehrt: frisch, geräuchert und als Fertigprodukt. Möglich war dieser Preisverfall nur durch die Massentierhaltung. Rund ums Jahr steht Lachs heute in gleicher Qualität und Farbe zur Verfügung. Bis zu 300.000 Exemplare leben in so einer Fischfarm auf engstem Raum, vollautomatisch und in kürzester Zeit aufgepäppelt mit Fischmehl, konzentriertem Eiweißfutter aus dem offenen Meer.

Fischmehl aus Peru. Die Männer im Hafen von Chimbote an der Pazifikküste arbeiten rund um die Uhr. Peru ist der weltgrößte Produzent von Fischmehl. Rund zwei Millionen Tonnen exportiert das Land jedes Jahr, damit die Nachfrage nach billigen und eiweißreichen Futtermitteln gedeckt werden kann. In Peru selbst herrscht derweil Hunger. Nach Angaben der Welternährungs-Organisation ist jeder zweite Peruaner unterernährt, obwohl der Reichtum an Fisch vor der Küste so groß ist. Aber die örtlichen Fabriken machen daraus lieber Fischmehl für den Export.

Fünf Kilogramm Peru-Sardellen, Makrelen oder Sardinen braucht man, um ein einziges Kilo Lachs zu produzieren - eine ungeheure Verschwendung. Die Bestände dieser Arten gelten seit langem als überfischt. Vom Nahrungsmittel für die Armen sind sie zum Rohstoff für die Reichen geworden. Und dazu kommt noch etwas: Die ungefilterten Abgase der Fischmehlfabriken überziehen Chimbote mit einem ekelhaften Dunst. Sämtliche Reiseführer warnen vor dem Besuch der Stadt, denn über sechzig Fischmehlfabriken arbeiten ohne jeden Filter. Die Abwässer aus Fischtran und Blut fließen ungeklärt ins Meer.

Die Leidtragenden sind die Bewohner Chimbotes, vor allem die Kleinen, denn die Luftverschmutzung ist so groß, daß acht von zehn Kindern chronisch erkranken.

Die kleine Sheila ist gerade fünf Monate alt, aber schon zum drittenmal liegt sie mit einem schweren Asthmaanfall im Krankenhaus. Diesmal wäre sie fast gestorben. Und solange sie hier in der stinkenden Stadt bleibt, stehen die Aussichten auf eine Besserung schlecht.

Draußen an der Anmeldung wartet eine nie abreißende Schlange von Patienten auf die dringende Behandlung. Die Zustände sind unerträglich. Eine Stadt klagt an - Produzenten und Verbraucher.

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CARLOS ZAPATELL: (Übersetzung)

(Chefarzt, Chimbote)

"Hier in Chimbote haben wir viele Krankheiten, deren Ursache die Abgase der Fischmehlfabriken sind. Der Rauch dieser Anlagen ist unverantwortlich, weil er die ganze Gegend vergiftet. Wir haben viele Patienten mit Hautschäden und Erkrankungen der Atemwege, vor allem Kinder. Der Dreck verursacht als weitere Konsequenz auch Allergien, und daher ist die Verschmutzung von Chimbote ein großes Problem, das dringend gelöst werden muß."

KOMMENTAR:

Aber eine Lösung des Problems ist nicht zu erwarten. Die Fischmehlbarone sind hier nämlich die neuen Herren. Bevor sie in Umweltprogramme investieren, umgeben sie sich lieber mit hohen Mauern. Man scheut die Öffentlichkeit, auch wir kamen an den schwerbewaffneten Wachen nicht vorbei. Die Fischindustrie fürchtet nichts mehr als einen Boykott. Die Geschäftspartner in Deutschland vertrösten unterdessen auf die Zukunft.

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DR. KLAUS WERNER:

(Fischmehl-Consulting, Hamburg)

"Ein großer Teil der Fabriken in Chimbote war ja Staatsbesitz. Die Privatisierung durch den Präsidenten im Augenblick bietet eigentlich die Gewähr dafür, daß diese Fabriken auch in privater Hand dann Weltstandard erreichen werden, und zwar in relativ kurzer Zeit. Voraussetzung ist natürlich, daß diese Fabriken auch entsprechenden Absatz bekommen. Also ein Boykott würde genau das Gegenteil bewirken."

KOMMENTAR:

Doch das sagen die Verantwortlichen schon lange, während ihre Millionengewinne weiter fließen, denn nicht nur Lachszüchter brauchen Fischmehl. Mit dem hochwertigen Eiweiß aus Chimbote wachsen diese Puten in nur 22 Wochen auf 19 Kilogramm Schlachtgewicht heran. Auch an Schweine wird Fischmehl massenhaft verfüttert, und dabei sprechen die Züchter sogar von artgerechter Fütterung. Und auch Kühe bekommen hierzulande täglich Fischmehl. Es macht, so heißt es, die Butter streichfähiger.

Derweil rauchen im fernen Chimbote weiterhin die Schornsteine. Aber einige Bewohner wollen diesen Dreck nicht weiter hinnehmen. Die Umweltgruppe "Natura" appelliert jetzt an die Abnehmerländer, endlich Druck zu machen, damit der Schmutz ein Ende hat.

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MARIA ELENA FORONDA: (Übersetzung)

(Sprecherin "Natura", Chimbote)

"Die Situation hier liegt auch in der Verantwortung derer, die das Fischmehl zur Produktion von Nahrungsmitteln verbrauchen, auch in Deutschland. Diese Länder sollten Regeln entwickeln, um Probleme wie bei uns zu verhindern. Es geht nicht darum, die Fischindustrie kaputtzumachen, aber man muß ihnen die Grenzen zeigen, auch was die Art der Produktion betrifft."

KOMMENTAR:

In den Slums zwischen den Fabriken geht das ungesunde Leben vorerst weiter. Den kranken Kindern in den Barrios bleibt nur die Hoffnung auf eine bessere Zukunft - irgendwann.

Abmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Es gibt noch eine weitere Bedrohung für die Fischbestände dort: El Nino erwärmt das Wasser in dieser Region, der Lebensraum wird knapp. Zeitweilig wurde deswegen ein Fangverbot ausgesprochen. Auf Druck der Fischmehlindustrie wurde das aber wieder aufgehoben.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 20.11.1997 | 21:00 Uhr