Korruptionsverdacht gegen Deutsche Botschaft - Nigerianische Mafia schleust Kriminelle

von Bericht: Gita Ekberg und Thomas Berndt

Anmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Daß es Ausländer inzwischen schwer haben, nach Deutschland zu kommen, ist bekannt. Wer nicht aus einem EU-Staat und vielleicht sogar aus einem Entwicklungsland ist, bekommt legal wohl kaum ein Visum. Da hatte die Deutsche Botschaft in Lagos, in Nigeria, bis vor kurzem einen ganz besonderen Service zu bieten: ein Pauschalpaket, fast wie im Reisebüro. Dort konnte man das begehrte Visum und mit Hilfe eines Schleusers auch den Flug nach Deutschland, einen Studienplatz und eine Bleibe im Studentenwohnheim einfach buchen. Echter Service also und - so wie es aussieht - ein guter Nebenverdienst für die Beamten der Botschaft. Die so zu uns Gereisten lernten die Lektion übrigens schnell, einige von ihnen verschwanden nicht in der Bibliothek, sondern im Untergrund. All das war - wie so oft - wohl nicht ohne korrupte deutsche Helfer möglich.

Nigerianische Mafia schleust Kriminelle
Mit Hilfe korrupter deutscher Botschaftsangestellter hat die nigerianische Mafia Kriminelle eingeschleust.

Gita Ekberg und Thomas Berndt berichten.

KOMMENTAR:

Alarm bei der Telekom. Was hier aus dem Computer quillt, sind Adressen, Adressen von ISDN-Kunden. Ihre Anschlüsse sind relativ neu, und sie telefonieren ziemlich viel: für mehrere tausend Mark pro Stunde.

Solche Viel-Telefonierer müssen mit überraschendem Besuch rechnen, eine Razzia. Hamburg, Sierichstr. 96, 3. Stock. Hier laufen schon seit Tagen die Drähte heiß. Drei ISDN-Anschlüsse, 18 Leitungen. Was hier so unscheinbar aussieht, hat schon über 200.000 Mark Gebühren aufgetürmt. Die Rechnung wird natürlich nie bezahlt, denn nach kurzer Zeit werden solche Wohnungen gewechselt, neue Anschlüsse bestellt, ein sogenanntes Telefonstübchen. In der Szene bekannt: Gespräche in alle Welt gab's hier für die Kundschaft zu Dumpingpreisen. Die florierende Geschäftsidee einer kriminellen Bande.

0-Ton

UDO SCHRÖDER:

(LKA Hamburg)

"Täglich, sagt die Telekom, in Deutschland ein Schaden von 5 Millionen, täglich. Und wir stellen fest, daß das nicht Einzeltäter sind, sondern diese Gelder werden gebündelt und fließen einer großen Organisation zu. Das ist also wirklich erschreckend, was da für eine kriminelle Energie dahinter steckt."

KOMMENTAR:

Die Nigeria Connection, die afrikanische Mafia in Deutschland, sie agiert mit deutscher Unterstützung. Telefonbetrug - nur eines ihrer Betätigungsfelder. Vor wenigen Wochen erschien in der BILD-Zeitung sogar eine Anzeige der Central Bank of Nigeria: eine Warnung vor den eigenen Landsleuten. Denn im großen Stil werden auch Banken geschädigt, Konto- und Kreditbetrug - ein heikles Thema, bei dem die Geldinstitute lieber schweigen.

Dazu kommen Autoschieberei, Drogen- und Waffenhandel. Der Gesamtschaden durch die Nigeria Connection: allein für Hamburg im ersten Halbjahr '97: 80 bis 100 Mio. Mark. Und die Bande hat offensichtlich einflußreiche deutsche Helfer.

Lagos, die Hauptstadt von Nigeria. Von hier kommt Nachschub für die Organisation. Ein neuer Weg nach Deutschland: Die Schleusung wird getarnt als Studentenaustausch, mit Unterstützung der Deutschen Botschaft, vermuten die Ermittler.

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INGO RÖDER:

(LKA Hamburg)

"In dem Verfahren haben wir auch zwei Einzelverfahren gegen Mitarbeiter der Deutschen Botschaft in Lagos eingeleitet. Der Verdacht richtet sich hier einerseits natürlich: Beihilfe zu den verschiedenen Ausländerdelikten und möglicherweise auch Korruption."

KOMMENTAR:

Die Deutsche Botschaft Lagos. Hier besorgte der Schleuser gleich haufenweise Visa für sogenannte Studenten. Zu diesen Vorfällen verweigerte das Auswärtige Amt ein Interview, nur schriftlich zitierte man aus der Dienstanweisung: "Der Studienbewerber muß persönlich in der Botschaft Lagos erscheinen und seinen Antrag mündlich darlegen."

0-Ton

UDO SCHRÖDER:

(LKA Hamburg)

"Ein entscheidender Punkt, das haben wir auch in weiteren Schleuserverfahren, zuletzt in diesem Iraner Verfahren, ja auch festgestellt, daß wohl offensichtlich an einigen Botschaften es ausreicht, wenn gewisse "Betreuer" nur in der Botschaft vorstellig werden und sagen - das ist in diesem Fall gewesen -: 'Ich hab' wieder fünfzig Namen, bitte fünfzig Mal Visum', daß praktisch hier keine richtige Kontrolle, auch Sprachkontrolle, wollen wir mal ruhig sagen, erfolgt."

KOMMENTAR:

Denn wären die sogenannten Studenten persönlich erschienen, hätten die Beamten stutzig werden müssen: die wichtigste Voraussetzung für's Studentenvisum nämlich fehlte, denn das Auswärtige Amt verlangt: "Studienbewerber aus Nigeria müssen in der Regel die vom Goethe-Institut abgenommene Sprachprüfung 3 (3.000 Wörter) nachweisen."

0-Ton

UDO SCHRÖDER:

"Höchstens 5 Prozent von diesen Studenten können Deutsch. Und wenn man bedenkt, daß es eine Voraussetzung sein soll für die Visaerteilung, dann muß man also deutlich sagen: Hier sind in diesem Fall an der Deutschen Botschaft in Lagos erhebliche Schwachstellen."

KOMMENTAR:

Das einzige Bild von ihm, dem Schleuser, Aoyedeji Oniororo, ein ehemaliger Mitarbeiter des nigerianischen Geheimdienstes. Er hatte beste Kontakte zur Deutschen Botschaft, ging dort ein und aus. Die Studentenvisa stellten immer die gleichen Beamten für ihn aus. Die Ermittler vermuten, daß Schmiergeld geflossen ist - möglicherweise ein gutes Geschäft für beide Seiten.

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UDO SCHRÖDER:

"Die ganzen Abläufe, die werden koordiniert von einem Haupttäter in diesem Fall, der also die Leute dort in Nigeria anspricht, anwirbt sogar. Er kassiert von diesen Leuten zwischen 6.000 und 10.000 DM und führt im Grunde die ganze Schleusung vom Heimatland, über Visaerteilung, Flug, Unterbringung, nach Deutschland, in diesem Fall nach Ostdeutschland - in diesem Fall auch die Hochschule Köthen ist dort besonders betroffen - führt er durch."

KOMMENTAR:

In Köthen, einem kleinen Universitätsstädtchen in Sachsen-Anhalt, fehlt den Oniororo-Leuten dann auch der rechte Studieneifer, zumal die Deutschkenntnisse fehlen. Trotzdem nahm das Studienkolleg die Nigerianer auf, bereitwillig und blauäugig. Der gerissene Schleuser Oniororo gilt hier schließlich als Ehrenmann.

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MARGITTA KUNZE:

(Studienkolleg Uni Köthen)

"Das ist ein sehr gepflegter Herr, der sich auch vorstellte, daß er für das Bildungsministerium in Lagos arbeite, er stellte sich auch als Schriftsteller vor. Also es ist ein sehr seriöser Mann in den Vierzigern, würde ich mal schätzen."

KOMMENTAR:

Wie an vielen Ost-Unis: auch in Köthen scheint man bemüht, durch Hohe Studentenzahlen die Existenz zu sichern. Da kamen Oniororos Leute gerade recht, auch wenn sie nicht lange blieben. Die meisten tauchten ab, schon nach wenigen Wochen.

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UDO SCHRÖDER:

"Sie sind halt dann aber keine Studenten mehr. Das geben sie dann nach und nach auf, weil es ihnen, in diesen Fällen hier, gelungen ist in dieser Zeit, auch durch ihre Organisation, durch ihr Kontaktmänner, die natürlich hier vor Ort schon gewisse Basen aufgebaut haben, werden sie ausgestattet mit diesen Pässen."

KOMMENTAR:

Mit zum Teil plump gefälschten Papieren werden aus Studenten Schein-Europäer. Sie verstärken so die Nigeria Connection.

Einige der Oniororo-Leute wurden bereits in westdeutschen Großstädten festgenommen. Insgesamt sollen auf diesem Weg über 140 Nigerianer nach Deutschland geschleust worden sein - für die Ermittler eines der größten Schleuser-Verfahren der letzten Jahre.

Das Auswärtige Amt hat schnell reagiert und drei Mitarbeiter aus Lagos zurückgeholt. Das nutzt der Botschaft möglicherweise mehr als es schadet.

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UDO SCHRÖDER:

"Für die Ermittlung ist so ein schnelles Zuschlagen natürlich nicht dienlich, aus Sicht des Auswärtigen Amtes ist möglicherweise die Organisationshygiene vordringlich. Aus unserer Sicht wäre es positiver, das ganze vielleicht sogar noch etwas kontrolliert laufen zu lassen, um dann eine vernünftige Beweislage gegen den dort möglicherweise korruptiv aufgefallenen Beamten zu haben."

KOMMENTAR:

Weitere Besuche von Oniororo, dem seriösen Herrn mit den guten Umgangsformen, wird es in der Deutschen Botschaft vorerst auch nicht geben. Zwar lebt der Schleuser weiterhin unbescholten in Nigeria, an der Deutschen Botschaft aber hat er mittlerweile Hausverbot.

Abmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Das Auswärtige Amt wollte uns zu den in der Botschaft Lagos verschobenen Visa natürlich kein Interview geben.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 09.10.1997 | 21:15 Uhr