Ruhiger Lebensabend - Warum ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher unbehelligt in Bayern lebt

von Bericht: Volker Steinhoff

Anmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Ein Mann wird entführt, in einen Wald gebracht, gefoltert und mit acht Schüssen exekutiert. Ein Todeskommando, das 1943, mitten im Krieg, Selbstjustiz übt, denn die SS-Linie ist dieser Mördertruppe zu sanft, zu nachgiebig. Mit dabei ist ein dänischer SS-Obersturmführer, und der lebt heute, inzwischen zum deutschen Staatsbürger geworden, ein friedliches Rentnerdasein in Kempten im schönen Allgäu. Die bayerische Justiz hat es in über vier Jahrzehnten nicht geschafft, den Altnazi anzuklagen, angeblich aus Mangel an Beweisen. Aber um die hatte man sich auch nie richtig bemüht. Sympathie oder Schlamperei?

Mutmaßlicher Kriegsverbrecher lebt unbehelligt in Bayern
Ein Bericht von 1997 über Sören Kam, der 1943 einen dänischen Journalisten erschossen haben soll.

Warum diese Schuld bis heute ohne Sühne bleibt, zeigt uns Volker Steinhoff.

KOMMENTAR:

SS-Kameraden unter sich. Ein Treffen Ende 1995 in Österreich auf dem Ulrichsberg. Damals enthüllten die TAGESTHEMEN durch dieses Amateurvideo einen Skandal: Redner bei den Altnazis war Jörg Haider, der Rechtsaußenpolitiker aus Österreich.

Mit dabei ein mutmaßlicher Verbrecher: der ehemalige SS-Mann Sören Kam, in Dänemark wegen Mordes gesucht. Die Aufnahmen des in Vergessenheit geratenen Sören Kam gelangten nach Dänemark. Stolz trägt der ehemalige SS-Obersturmführer noch immer sein Ritterkreuz: Anlaß zum Handeln für dänische Widerstandskämpfer von damals.

0-Ton

FREDE KLITGAARD:

(ehem. Widerstandskämpfer)

"Wir wußten, daß er ein Verbrecher war, und da haben wir Anzeige gemacht bei Polizei und Nachsuchdienst der Polizei und verschiedenen anderen Behörden. Er ist der bekannteste noch lebendige Kriegsverbrecher."

KOMMENTAR:

Der meistgesuchte Kriegsverbrecher Dänemarks lebt unter seinem richtigen Namen, ordentlich gemeldet, im bayerischen Kempten. Bestraft oder auch nur vor Gericht gestellt wurde er in Bayern nie.

0-Ton

GERHARD ZIERL:

(Justizministerium Bayern)

"Ein Staatsanwalt, der sieht, mit den Beweismitteln, die ich habe, ist eine Verurteilung äußerst unwahrscheinlich, darf gar nicht anklagen."

KOMMENTAR:

Nicht genug Beweise? Das Opfer: der dänische Journalist Carl Henrik Clemmensen. Schon kurz nach dem Mord 1943 bekannten sich zwei freimütig zur Tat, ganz offiziell: SS-Obersturmführer Sören Kam und sein Untergebener, Knud Helweg-Larsen. Das Geständnis fiel ihnen leicht, schließlich hatte SS-Mann Kam, hier links, besten Kontakt zum Chef der Nazis in Dänemark. Nach dem Krieg tauchte Kam in Deutschland unter, die Dänen konnten nur den Mittäter Larsen verhaften. Der blieb bei seinem Geständnis, nannte aber Kam als Mittäter. Die Dänen verurteilten Larsen zum Tod.

Kam lebte inzwischen ungestört in Kempten. Erst 1969 kommt die bayerische Justiz auf die Idee, Kam zu vernehmen. Der hatte plötzlich eine neue Version: er habe auf eine Leiche geschossen, den Journalisten also nicht selbst ermordet.

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GERHARD ZIERL:

(Justizministerium Bayern)

"Er sei bei der Abgabe der Schüsse durch Larsen am Auto gestanden, weit entfernt, sei hinzugelaufen und habe dann auf Aufforderung Larsens nochmals auf den bereits toten Clemmensen geschossen. Die Bewertung von Glaubwürdigkeit ist natürlich immer schwer, aber das, was geschildert wurde, erschien zumindest plausibel und nicht widerlegbar."

KOMMENTAR:

Die bayerische Justiz glaubte Kam, daß er auf eine Leiche geschossen habe, und stellte die Ermittlungen ein. Dabei wäre diese Aussage durch den Obduktionsbericht vom Opfer leicht zu widerlegen gewesen. Zitat: "Alle Schüsse wurden so gut wie gleichzeitig abgefeuert, während sich der Verstorbene in aufrechter Stellung befand." Ein Toter steht nicht.

Erst jetzt, 54 Jahre nach dem Mord, will die bayerische Justiz diesen Obduktionsbericht in Dänemark anfordern. Einziger Grund: die Recherchen von PANORAMA.

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GERHARD ZIERL:

"Die bayerische Justiz hat erst in den letzten Tagen davon erfahren, daß es überhaupt einen Obduktionsbericht gibt, in den uns von Dänemark übersandten Unterlagen war keinerlei Hinweis auf ein Obduktionsgutachten vorhanden. Aus diesem Grunde hat die Staatsanwaltschaft München 2 die Akten wieder geöffnet und bereitet ein Rechtshilfeersuchen vor, um diesen Obduktionsbericht aus Dänemark zu erhalten."

KOMMENTAR:

Im Klartext: Der Mord an dem Journalisten Clemmensen wurde in Bayern bis heute nicht ernsthaft verfolgt.

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FREDE KLITGAARD:

(ehem. Widerstandskämpfer)

"Natürlich sind nicht nur ich, aber auch meine Kameraden wütend geworden, daß es möglich ist, daß so ein - also wir betrachten ihn als Mörder, und daß er frei herumläuft."

KOMMENTAR:

Noch ist Sören Kam, der kein Interview geben will, bei guter Gesundheit. Jetzt kann er nur noch auf den langen Postweg zwischen Bayern und Dänemark hoffen, um auch weiterhin von der Justiz unbehelligt zu bleiben.

Abmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Die bayerischen Justizbehörden werden jetzt, 54 Jahre nach dem Mord und erst aufgrund der PANORAMA-Recherchen, schrecklich eifrig.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 05.06.1997 | 21:00 Uhr