Mordfall Weimar - Das Urteil

von Bericht: Jochen Graebert, Stephan Wels

Anmoderation:

CHRISTOPH LÜTGERT:

Justitia © dpa

Zwei Tote Kinder und kein Schuldspruch. Justitia trug schon immer ihre berühmte Binde vor den Augen, im Mordfall Weimar jetzt erst recht. Wer vor elf Jahren die kleinen Mädchen Melanie und Karola erwürgt hatte, wissen mit letzter Gewißheit nur die Eltern. Einer von beiden muß es gewesen sein. Monika Böttcher hat heute gewonnen - dann saß sie entweder acht Jahre unschuldig im Gefängnis, oder eine Mörderin läuft jetzt frei herum. Auch ihr Ex-Mann Reinhard Weimar bleibt ein freier Mann. Am Ende steht nur der Zweifel, und den können Jochen Graebert und Stephan Wels auch nicht ausräumen.

KOMMENTAR:

August 1986. Hundertschaften durchkämmen die Wälder rund um den kleinen Ort Philippsthal in Hessen. Monika Weimar hat ihre beiden Töchter als vermißt gemeldet. Selbst in der Kanalisation suchen Polizei und Feuerwehr nach den Kindern. Melanie und Karola, fünf und sieben Jahre alt. Drei Tage später der grausige Fund: die Kinderleichen auf zwei Parkplätzen, erstickt und erwürgt. Schon bald weiß die Kripo: der Mörder ist einer der Trauernden. Sie verdächtigen die Eltern, ein Dritter scheidet aus. Entweder Monika oder ihr Mann Reinhard Weimar muß die Kinder ermordet haben.

Im Hause Weimar geht die Polizei ein und aus. Immer wieder Verhöre, und rasch fällt der Verdacht auf Monika Weimar. Sie hat ein Verhältnis mit einem amerikanischen Besatzungssoldaten. In den Vernehmungen tischt sie immer neue Versionen auf. Erst will sie nicht wissen, was den Kindern geschehen ist, dann, selbst unter Druck, belastet sie ihren Mann. Sie verstrickt sich in einem Dickicht von Widersprüchlichkeiten. Ein Interview kurz vor ihrer damaligen Verhaftung:

0-Ton

MONIKA WEIMAR:

"Also, womit ich rechne, ich hoffe, daß ich aus diesem ganzen Schlamassel, den ich teils ja mir selbst eingebrockt habe, einigermaßen gut rauskomme."

INTERVIEWER:

"Wieso meinen Sie, selbst eingebrockt, was haben Sie sich selbst eingebrockt?"

MONIKA WEIMAR:

"Ja, es war der Anfang mit dieser Lügerei."

KOMMENTAR:

Aus dem Schlamassel kam sie nicht heil heraus. März 1987, Monika Weimar wird wegen Mord an ihren Kindern angeklagt, obwohl sie immer wieder ihre Unschuld beschwört. Ihr Mann sei der Täter, beteuert sie. Unversöhnlich stehen sich zwei Versionen des Tatgeschehens in dem Sensationsprozeß gegenüber.

Die Nacht vor dem Mord. Unstrittig, wie sie begann. Diese Disco besucht Monika Weimar mit ihrem Geliebten, dem Amerikaner Kevin Pratt. Ihre Ehe mit Reinhard Weimar ist seit langem zerrüttet. Reinhard Weimar weiß von ihrem Geliebten, weiß auch, daß sie sich an diesem Abend mit ihm amüsiert. Gegen drei Uhr trennt sich Monika Weimar von Kevin Pratt und fährt nach Hause. Was dann geschehen ist, schildert Monika Weimar dem Gericht so:

Sie trat ins Kinderzimmer, beide Kinder hätten tot auf dem Bett gelegen. Ihre Körper seien noch warm gewesen, neben den Leichen habe aufgelöst ihr Mann gesessen. Vollkommen unter Schock sei sie ins Schlafzimmer gegangen, habe dann noch gehört, wie ihr Mann die Leichen weggefahren habe. Danach sei er dann zu ihr ins Bett gekommen.

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INTERVIEWER:

"Was hat er dann noch gesagt?"

MONIKA WEIMAR:

"Es war dann eine Zeit später, wie er in die Schlafstube kam hat er gesagt: Jetzt kriegt keiner von uns beiden die Kinder."

KOMMENTAR:

Ihr Ehemann, Reinhard Weimar, auf dem Weg zum Gericht. Ihm, dem Betrogenen, gehören damals viele Sympathien, er beschuldigt seine Frau.

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INTERVIEWER:

"Also Sie glauben, daß Ihre Frau es getan hat?"

REINHARD WEIMAR:

"Sie hat mit Sicherheit was mit zu tun."

INTERVIEWER:

"Der Amerikaner auch? Glauben Sie, daß es Ihre Frau war, daß Ihre Frau die Kinder umgebracht hat?"

REINHARD WEIMAR:

"Ja, ich glaub' schon."

KOMMENTAR:

Gestützt wird Reinhard Weimar durch Zeugen. Diese Frau, eine Nachbarin, will die Kinder am Vormittag nach der Disconacht noch lebend gesehen haben - auf diesem Spielplatz. Andere Zeugen bestätigen das. Damit scheint klar: die Kinder wurden nicht in der Nacht zuvor ermordet, wie Monika Weimar behauptet hatte.

Das Gericht sieht sie damals der Lüge überführt. Ortstermin am Fundort der Leichen. Ein Spießrutenlauf für die Angeklagte. Das Gericht kommt zu dem Schluß: Sie hat die Kinder gegen Mittag des fraglichen Tages erwürgt und erstickt. Belastet wird sie auch durch Faserspuren an der Kleidung ihrer Kinder. Dort fanden sich Fusseln ihrer gelben Bluse. Übertragen wurden die Fusseln, so wertete es das Gericht, beim Wegschaffen der Leichen.

Unklar blieb, warum Monika Weimar gemordet haben sollte. Laut Anklage hätten die Kinder ihrer Beziehung zu dem Amerikaner Kevin Pratt im Wege gestanden. Auftritt des Geliebten vor Gericht. Zwar sagt er aus: Nein, die Kinder hätten ihn überhaupt nicht gestört, er habe sie gern gehabt, aber das Gericht hielt das von der Anklage konstruierte Tatmotiv zumindest für möglich. So wird Monika Weimar zu lebenslanger Haft verurteilt. Unter dem Gejohle einer aufgebrachten Menge wird sie abgeführt. Dumpfe Vorurteile entladen sich gegen die Frau, die sich oft genug als Amihure beschimpfen lassen mußte.

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FRAUEN:

"Sie soll ihre Zeit absitzen, weil Strafe, Strafe muß sein."

"Wenn sie es war, finde ich, hätte man das gleiche mit ihr machen müssen, was sie mit ihren Kindern gemacht hat."

MANN:

"Ich finde das für gerecht, nur sie kann es gewesen sein."

KOMMENTAR:

Acht Jahre sitzt Monika Weimar im Gefängnis Preungesheim in Frankfurt. Das Revisionsverfahren scheitert, jahrelang kämpfen sie und ihr Anwalt um eine Wiederaufnahme des Prozesses. Schließlich gelingt das fast Aussichtslose. Ein neues Fasergutachten des Bundeskriminalamtes entlastet Monika Weimar, denn die Fusseln an der Kleidung ihrer Töchter können durch ganz normalen Kontakt übertragen worden sein. Und es melden sich neue Zeugen, die ihren Mann Reinhard Weimar, hier in seiner Stammkneipe, belasten. Einer Zeugin soll er den Mord gestanden haben.

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GERHARD STRATE:

(Rechtsanwalt)

"Er hat erklärt, so jedenfalls die Zeugin: Ja, ich hab' die Kinder umgebracht, und wenn meine Frau nicht bei dem Bimbo gewesen wäre - damit meinte sie wohl den Amerikaner, mit dem Monika Weimar damals zusammen war -, dann hätte ich sie auch noch umgebracht."

KOMMENTAR:

Dezember 1995, Abschied vom Gefängnispsychologen. Der Fall Weimar wird neu aufgerollt, die Frau, die wieder Monika Böttcher heißt, ist frei.

Monate später - Ankunft beim Landgericht Gießen. Diesmal erlebt die Öffentlichkeit eine andere Monika Böttcher als vor zehn Jahren. Selbstbewußt und gelöst tritt sie auf, sie wirkt gereift. Vor zehn Jahren waren ihre Aussagen gespickt mit Widersprüchen, diesmal schweigt sie vor Gericht, kein Wort zum Mordvorwurf. Die gleichen Zeugen wie vor neun Jahren in Fulda treten auf. Der Geliebte, Kevin Pratt, mittlerweile schwerkrank. Wieder schildert Pratt eindringlich, wie sehr er an den Kindern gehangen habe, Monika Weimar habe kein Motiv für den Mord gehabt. Und diesmal folgt ihm das Gericht und spekuliert: Ein Mordmotiv könne auch Reinhard Weimar gehabt haben, weil seine Frau ihn mit den Kindern verlassen wollte.

Auch einige der Augenzeugen, die die Kinder morgens auf dem Spielplatz gesehen haben, treten auf und belasten Monika Böttcher erneut. Das Gericht beurteilte sie heute als glaubhaft, sagte aber auch, auf ihre Aussagen allein könne man keinen Schuldspruch gründen. Andere Indizien dagegen, die Monika Böttcher vor neun Jahren schwer belastet hatten, fielen diesmal vor Gericht durch: etwa die Spuren der gelben Bluse an den Kleidern der Kinder.

Die Richter haben Monika Böttcher heute freigesprochen. Sie bleibe zwar tatverdächtig, für einen Schuldspruch gebe es aber zu viele Zweifel. Wer immer Melanie und Karola tatsächlich ermordet hat, Monika Böttcher oder Reinhard Weimar, bleibt offen. Heute wurde ein Justizirrtum korrigiert - Gerechtigkeit konnten die Richter nach ihren eigenen Worten nicht schaffen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 24.04.1997 | 21:00 Uhr