Videos, Parolen, Überfälle - Rechtsradikale in der Bundeswehr

von Bericht: Jochen Graebert und Christoph Mestmacher

Anmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

"Besondere Vorkommnisse" gab es bei der Bundeswehr, die gerade bei der Oderflut und beim Bosnien-Einsatz einen neuen Legitimations- und Motivationsschub bekommen hatte. Wieder ein Video, wieder Gewaltverherrlichung, diesmal noch garniert mit antisemitischen Sprüchen. Unser Bundesverteidigungsminister ist - wie wir alle - angemessen empört über die Schwarzen, nein, besser: die braunen Schafe. Aber ob das nicht gleich eine ganze Herde ist, will er so genau gar nicht wissen. Eine Studie über Rechtsradikalismus in der Bundeswehr soll es nicht geben, denn das stelle, so Volker Rühe, die Truppe unter "Generalverdacht". Aber wenn man die 340.000 Mannen in Uniform als Spiegelbild unserer Gesellschaft begreift und sich klar macht, daß diese Institution schon von ihren Aufgaben her für rechte Gesinnungstäter attraktiv ist, müßte dann nicht mehr daran gesetzt werden, nicht nur Einzelfälle aufzuklären, sondern auch vorzubeugen?

Videos, Parolen, Überfälle: Rechtsradikale in der Bundeswehr
Panorama untersucht die sich häufenden rechtsradikalen Vorfälle in der Bundeswehr im Jahr 1997.

Das Interesse daran ist wohl gering, meinen Jochen Graebert und Christoph Mestmacher.

KOMMENTAR:

Festnahme eines Bundeswehrsoldaten im März. Zusammen mit Kameraden suchte er nach Dienstschluß Ausländer in der Fußgängerzone und schlug sie zusammen.

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VOLKER RÜHE:

(Bundesverteidigungsminister, 18.3.1997)

"Ich muß aber auch sagen, daß das nach meiner Einschätzung kein Zeichen für Rechtsradikalismus in der Bundeswehr ist, sondern diese jungen Männer sind alle um die zwanzig Jahre alt, sie sind zwanzig Jahre lang in der Gesellschaft geprägt worden und erst zwei Monate in der Bundeswehr."

KOMMENTAR:

Kurz danach: Bundeswehrsoldaten zünden ein Wohnheim italienischer Bauarbeiter an. Das Motiv: Rechtsradikalismus.

Die Wehrsportgruppe Dragon wird ausgehoben. Ihr Anführer ein Unteroffizier. Die Ausrüstung besorgte er sich in der Kaserne. Drei Beispiele von vielen.

Die rechtsradikalen Vorfälle in der Bundeswehr häufen sich. 1994 wurden 58 Taten registriert, in diesem Jahr waren es 93.

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CLAIRE MARIENFELD:

(Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages)

"Ich kenne die Truppe wirklich in- und auswendig. Ich war im letzten Jahr 87 Tage in der Bundeswehr, unangemeldet oder fast ausschließlich unangemeldet. Ich denke, es ist nach wie vor von Einzelfällen auszugehen."

KOMMENTAR:

Wehrbeauftragte und Verteidigungsminister sind sich einig: alles Einzelfälle, kein Muster, keine rechtsradikale Tendenz in der Bundeswehr. In dieser Kaserne war Matthias Bürgin Wehrpflichtiger. Gemäß Rühes Logik traf auch er nur auf Einzelfälle.

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MATTHIAS BÜRGIN:

(Ex-Wehrpflichtiger)

"Viele Leute haben Naziembleme tätowiert, sie sind noch aktiv beteiligt an gewissen - sag' ich mal - Wehrsportgruppen, was sie auch oftmals herausheben. Dann Reichskriegsflaggen auf den Stuben, auch selbst in Unteroffiziersquartieren, und das alles geduldet von den Offizieren in den Kompanien."

KOMMENTAR:

Bürgin überzog irgendwann seine Vorgesetzten mit Beschwerden, galt als Querulant und wurde frühzeitig entlassen. Die Erinnerungen blieben:

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MATTHIAS BÜRGIN:

"Bei der Vereidigung in Sigmaringen, dort war als Gast Ignaz Bubis, dort wurden einfach Aussagen getroffen wie: 'Dies Judenschwein, was will denn das hier' und so, 'Wir sollten die Öfen wieder anwerfen'. Und als der Kommandeur dann Ignaz Bubis die Hand gab, wurde gesagt: 'Ja, der spinnt ja wohl, daß er einem Juden die Hand gibt.'

KOMMENTAR:

Alles Einzelfälle, kein Rechtsradikalismus in der Armee? Doch die Verharmlosungen nehmen Rühe nicht einmal mehr konservative Bundeswehrfreunde ab. Sie fordern den braunen Wahnsinn ernst zu nehmen.

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PROF. MICHAEL WOLFFSOHN:

(Bundeswehr-Universität München)

"Man muß immer fragen, ob Einzelfälle nicht eher die Spitze des Eisbergs sind, ein Muster erkennen lassen. Und das Muster, so muß man fürchten, heißt, daß ein Teil der Gesellschaft, die Braunen, den Marsch durch die Institution der Bundeswehr anzutreten versuchen. Beileibe heißt dies nicht, daß die Bundeswehr eine braune Organisation ist."

KOMMENTAR:

Der jüngste Fall mutmaßlich neonazistischer Umtriebe dokumentiert auf SAT.1 besonders abscheuliche und exklusive Szenen vom Feierabend der Bundeswehrsoldaten.

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SAT.1:

"...., wenn Rechtsradikale den Takt angeben."

KOMMENTAR:

Sie zwangen Rühe erneut vor's Parlament. Auch die Furcht vor weiteren Videos sorgte bei ihm für einen neuen Zungenschlag. Erstmals räumte er ein, es geht um mehr als nur um Einzelfälle.

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VOLKER RÜHE:

"Natürlich gibt es Brennpunkte, wo wir damit rechnen müssen, daß solche Auffälligkeiten wieder auftreten. Und da sind die besten Leute gerade gut genug."

KOMMENTAR:

Auszeichnung der Besten an der Bundeswehruniversität in Hamburg. Hier studiert der Führungsnachwuchs der Bundeswehr. An dieser Uni wurde im Rahmen einer Studie untersucht, wo die jungen Offiziere politisch stehen. Das Ergebnis: An zivilen Hochschulen ordnen sich die Studenten mehrheitlich links von der Mitte ein. Entsprechend hoch der Anteil am linken Rand. Bundeswehrstudenten hingegen stufen sich rechts von der Mitte ein. Entsprechend hoch also der Anteil am rechten, national konservativen Rand des politischen Spektrums.

Daß Offiziere politisch eher rechts stehen, ist noch lange nicht mit rechtsextrem gleichzusetzen. allerdings stellt die Studie fest - Zitat: "daß innerhalb dieses Spektrums rechte Ansichten auszumachen sind, die den Offiziersberuf diskreditieren.

Doch selbst diese eigentlich harmlose Studie zog die Hardthöhe aus dem Verkehr. Zu viele Fehldeutungen in der Presse, so die nervöse Begründung der Strategen. Und der Verfasser der Studie durfte einen Tag seine Untersuchung erläutern, dann Redeverbot. Die Abwiegler vom Ministerium genehmigten keine Interviews mehr.

Dabei bieten Studie und rechtsradikale Exzesse Stoff zum Nachdenken statt zum Wegschließen. Fordert Rühe doch: Die angehende Führungselite der Bundeswehr muß lernen, schon kleinste Anzeichen von Rechtsradikalismus zu erkennen. Doch an der Hamburger Bundeswehr-Uni wird ausgerechnet jetzt der Lehrplan geändert. Professoren beklagen, Offiziersstudenten können sich künftig vor politischen Fächern drücken.

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PROF. MICHAEL HERETH:

(Bundeswehr-Universität Hamburg)

"Es ist ein Fehler, wenn man gerade in der jetzigen Situation, wo Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik auftritt, eine Veränderung der Studiengänge dahingehend betreibt, daß manche Studenten die Gesellschaftswissenschaften abwählen können. Sie werden damit der Instrumente beraubt, rechtzeitig diese Fehler, diesen Rechtsradikalismus innerhalb der Bundeswehr, zu erkennen und dann auch notwendige Maßnahmen einzuleiten. Wer das nicht gelernt hat, der ist vermutlich weniger gut in der Lage dazu, dann auch entsprechend zu agieren. Die Hochschule macht hier einen Fehler zum Schaden der Bundeswehr und letztlich zum Schaden der Republik."

KOMMENTAR:

So richtig problematisch wird es, wenn falsche Vorbilder gepflegt werden, wenn sich Hitlers Helden, die Ritterkreuzträger, und Rühes Bürger in Uniform nahestehen wie vor zehn Tagen in Hammelburg beim Jahrestreffen der Wehrmachtsheroen. Dann beginnt die Verklärung, dann verlieren Soldaten die deutliche Distanz zur Hitler-Wehrmacht.

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PROF. MICHAEL HERETH:

"Die Bundeswehr ist eine Neugründung, sie ist eine republikanische Neugründung, und man muß darauf bestehen, daß es keine Traditionsstränge über die Zeit vor der Bundeswehr hinaus gibt. Und alle Traditionsbeziehungen, die zurückreichen weiter, sind Gift für jeden jungen Offizier, der sich nur desorientiert fühlen muß, wenn da wieder angeknüpft wird an etwas, womit er eigentlich nichts zu tun haben soll.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 30.10.1997 | 21:00 Uhr