Justizposse - Eierwerfer unter Terrorismusverdacht

von Bericht: Jochen Graebert und Volker Steinhoff

JOACHIM WAGNER:

Justitia © dpa

In diesem Jahr mußten in Niedersachsen unter anderem mutmaßliche Bankräuber und rumänische Tresorknacker aus der Untersuchungshaft entlassen werden, weil die Staatsanwaltschaft es nicht geschafft hatte, innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Sechsmonatsfrist Anklage zu erheben. Wie in anderen Bundesländern ist auch die niedersächsische Strafjustiz hoffnungslos überlastet. Diese Misere hat viele Ursachen, auch hausgemachte, z. B. die sinnlose Verschwendung von Strafverfolgungskapazitäten in Bagatell-Verfahren.

Vor der Justizposse von Jochen Graebert und Volker Steinhoff möchte ich mich von Ihnen verabschieden und mich für Ihr Interesse bedanken. Tschüß und auf Wiedersehen.

KOMMENTAR:

In dieser Reithalle in Lüneburg wollte die niedersächsische Justiz Geschichte machen, mit einem Jahrhundertprozeß, wie ihn das Land noch nie erlebt hat. Vierhundert Tage sollte er dauern, zehn Millionen Mark sollte er kosten. Riesige Aktenberge türmten sich bei Rechtsanwälten in ganz Norddeutschland. Fünf Jahre lang haben Polizisten beschlagnahmt, observiert und abgehört, um einer gefährlichen Verbrecherbande aus Göttingen das Handwerk zu legen.

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MANFRED ENDLER:

(Generalstaatsanwalt Niedersachsen)

"Es bestand der Anfangsverdacht zunächst mal der terroristischen Vereinigung. Wir sind der Meinung, daß die autonome Antifa M eine durchaus gefährliche Gruppe gewesen war, und da war es unsere Pflicht, dagegen vorzugehen."

KOMMENTAR:

Aufmarsch der mutmaßlichen Terroristen. Martialisch sehen sie aus, ihre Waffen sind gefährlich, und sie machen rücksichtslos Gebrauch davon. Auf dieser Demonstration kam ein besonders heimtückisches Wurfgeschoß zum Einsatz: das rohe Hühnerei. Lückenlos dokumentieren die Ermittlungsakten diese Tatwaffe. Hier: "Zerplatztes Hühnerei", und: "Reste eines vom Beamten abgeprallten Hühnereis". Einen anderen Beamten hat es voll erwischt: "Des weiteren lief das nun flüssige Ei in den Handschuh der linken Hand. Dieses verursachte ein sehr unangenehmes Gefühl."

Die mutmaßlichen Terroristen spielen Theater. Wieder verkleidet, diesmal perfiderweise als Polizisten. Dann die übliche Demo, vorneweg der schwarze Block. Eine kriminelle Vereinigung, sagt der Generalstaatsanwalt.

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MANFRED ENDLER:

"Die autonome Antifa M hatte nämlich Demonstrationszüge veranstaltet mit einem schwarzen Block wie eine Privatarmee, bestehend aus etlichen Hundert Vermummten und Uniformierten."

KOMMENTAR:

Den vermummten Drahtziehern der Privatarmee kamen die Fahnder nach monatelangen Observationen auf die Schliche. Sie entdeckten: Bernd Langer, führender Kopf der Terrorbande, malt. An diesem Bild hatte er auch hier, in der Göttinger Innenstadt, gearbeitet.

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BERND LANGER:

(Autonome Antifa)

"Dann kam ein Polizist vom Kommissariat, der beauftragt war, mich also zu observieren, hat sich diese Sache eine halbe Stunde, Stunde angeguckt und hat dann einen entsprechenden Bericht verfaßt."

KOMMENTAR:

Gewissenhaft notierte der Beamte seine neu erworbenen Erkenntnisse über den "Malstil der sogenannten Antifa M". Demnach verwendete der mutmaßliche Terrorist "sehr kräftige Farben und malte professionell mit Staffelei, Malbrett und Fertigfarben aus Tuben".

Monatelang observierten und filmten die Terrorismusfahnder auch dieses Objekt: Das Parteibüro der Grünen. Denn hier trafen sich auch die Autonomen. Die eigens gebildete Sonderkommission suchte Bomben, Waffen und Terrorschriften. Sie fand "Tische mit verchromten Stahlrohrgestellen, Stühle mit gepolsterten Sitzflächen". In der vermeintlichen Terrorzentrale orteten die Fahnder auch "ein altes TV-Gerät, diverse Plakate der Grünen". Besonders verdächtig: "Eine Schultafel und die Teeküche." Ergebnis: Diese sorgfältig gemalte Skizze.

Fünf Jahre lang scheuten die Terroristenjäger weder Aufwand noch Kosten. 43 Objekte haben sie durchsucht, mit Maschinenpistole und kugelsicherer Weste sind sie in Göttinger Wohnungen gestürmt.

In den unwirtlichen, zerklüfteten Aktenbergen heben Anwälte nun kostbare Ermittlungsschätze, darunter die Protokolle endloser Lauschangriffe. 14.000 Telefonate haben Staatsschützer abgehört:

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MANFRED ENDLER:

(Generalstaatsanwalt Niedersachsen)

"Die Herren und Damen telefonieren offenbar sehr viel, und da mußte ermittelt werden."

KOMMENTAR:

Wieviele Millionen das alles gekostet hat, weiß auch der Generalstaatsanwalt nicht. Sein Verdacht jedenfalls, hier seien Terroristen am Werk, löste sich in Luft auf. Der Jahrhundertprozeß wurde abgeblasen, die angeblichen Terroristen müssen 3.000 Mark für eine KZ-Gedenkstätte spenden und erklären, künftig etwas artiger zu sein.

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BERN LANGER:

(Autonome Antifa)

"Anwälte und Anwältinnen geben für uns folgende Erklärung ab. Sie haben uns über die Bestimmungen des Versammlungsrechts eingehend informiert, wir wiederum haben ihnen erklärt, daß wir unsererseits die Bestimmungen - ich zitiere - des Versammlungsrechts zukünftig berücksichtigen werden."

KOMMENTAR:

Heiße Luft, für die der Staat Millionen bezahlt hat. Nur der Generalstaatsanwalt meint noch immer, daß er das Geld gut angelegt habe:

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MANFRED ENDLER:

"Ich würde das insgesamt, zusammenfassend, als Erfolg würdigen."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 01.08.1996 | 21:00 Uhr