Tod im Mutterleib - Wird behindertes Leben durch Paragraph 218 noch geschützt?

von Bericht: Gesine Enwaldt und Beate Greindl

In der rechtspolitischen Diskussion der Bundesrepublik ist Paragraph 218 ein Dauerbrenner: Fristenlösung, Indikations-Modell, Beratungspflicht und immer wieder Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht. Völlig aus dem Blick geraten ist dabei, daß sich bei der letzten Reform des Paragraphen 218 Ende 1995 der Schutz des behinderten Lebens wesentlich verändert hat. Nach der neuen Rechtslage kann unter bestimmten Voraussetzungen noch im 7. oder 8. Monat abgetrieben werden, wenn das Kind schwer behindert zur Welt kommen könnte. Für Eltern, Ärzte und Juristen stellen sich völlig neue Fragen. Vor dem Diskussionsbeitrag von Gesine Enwaldt und Beate Greindl möchte ich mich von Ihnen verabschieden und mich für Ihr Interesse bedanken. Tschüß und auf Wiedersehen.

KOMMENTAR:

Christa Joschko hatte versucht zu verdrängen, geschafft hat sie es nicht. Regelmäßig besucht sie das Grab des Kindes, das sie vor sieben Jahren erwartet hatte. Sie war im 5. Monat, als die Diagnose kam: das Kind habe das Down-Syndrom, Mongolismus. Sie entschied abzutreiben.

O-Ton

CHRISTA JOSCHKO:

"Ich wollte kein behindertes Kind mit 37 Jahren bekommen. Und es war also 'ne Sache von ein paar Minuten, nur, wo die Entscheidung stand. Die Geburt wurde eingeleitet mit Wehen fördernden Mitteln. Und das war dann - 'ne ganze Woche hat das dann gedauert, bis dieses Kind, der Maximilian - mein Kind hat einen Namen -, bis der kam. Es war 'ne ganz schreckliche Zeit, denn es sind die Schmerzen wie bei einer ganz normalen Geburt - nur das mit Wissen, das Kind wird nicht leben. Ja, es wird geboren um zu sterben."

KOMMENTAR:

Entdeckt wurde die Behinderung bei einer vorgeburtlichen Untersuchung, wie hier bei Professor Hackelöer in Hamburg.

O-Ton

PROF. HACKELÖER:

"Es ist im Kopf selber eine kleine Auffälligkeit. Wobei ich nicht sagen muß, daß das irgendwas Negatives bedeutet."

KOMMENTAR:

Bei ihm, dem sogenannten Ultraschallpapst, landen die Problemfälle, die Risikoschwangeren, Frauen, die sie sich nicht sicher sind, ob ihr Kind gesund ist.

Wenn bei den Regeluntersuchungen Auffälligkeiten entdeckt werden, beginnt die Rasterfahndung nach Fehlbildungen.

Hochentwickelte Geräte gewähren bei Bedarf immer tieferen Einblick in den Uterus. Der Mund eines vier Monate alten Fötus, die Nase, das Auge.

Mit einer Vielzahl neuer Untersuchungsmethoden können Behinderungen von Anfang bis zum Ende der Schwangerschaft relativ zuverlässig vorausgesagt werden.

Immer wieder werden auch in den späten Schwangerschaftsmonaten schwere Fehlbildungen entdeckt.

Immer häufiger tauchen bei Prof. Hackelöer in Hamburg Eltern mit fehlgebildeten Kindern auf, die im sehr späten Schwangerschaftsstadium einen Abbruch fordern.

Ein Grund der neue § 218.

Fast unbemerkt ist die sogenannte embryopathische Indikation gestrichen worden. Abgetrieben werden durfte, wenn diagnostiziert wurde, daß das Kind schwer behindert war, allerdings mußte die Abtreibung der Behinderten in den ersten 5 ½ Monaten passieren, vor Beendigung der 22. Woche. Beides - Behinderung und Frist - wurden gestrichen.

Nach der neuen Rechtslage entscheidet allein der seelische und körperliche Zustand der Frau, ob und wann ein behindertes Kind abgetrieben wird. Allein die Ärzte müssen jetzt verantworten, ob die Behinderung der Mutter zuzumuten ist.

O-Ton

PROF. HACKELÖER:

Das Dilemma besteht meiner Ansicht nach darin, daß man eine Sache geändert hat, ein Gesetz geändert hat, die viele Emotionen, äh, mit sich bringt, ohne daß die Diskussion weder fachlich noch in der Öffentlichkeit, d.h. gesellschaftlich ausreichend geführt wurde. Und hier sehe ich das Dilemma - im Moment wird alles auf die Ärzte abgewälzt und die stehen im Kreuzfeuer. Auf der einen Seite sind sie die Bösen, wenn sie es nicht tun, weil die Frauen haben natürlich Ängste und Probleme. Auf der anderen Seite sind sie die Bösen, wenn sie es tun. Juristisch sind sie im luftleeren Raum,

KOMMENTAR:

Das Dilemma spitzt sich zu, je später der Abbruch durchgeführt wird. Nach dem 5. Monat nämlich ist das Kind mit Hilfe der Ärzte auch außerhalb des Mutterleibes lebensfähig. Nach der neuen Rechtslage ist ein Abbruch auch im 7. Bis 8. Monat möglich. Dadurch entsteht die Gefahr, daß auch ein ungewolltes, behindertes Kind eine Abtreibung überlebt. Als Alternative bleibt nur, den Fötus im Mutterleib zu töten, in Deutschland für die meisten Ärzte ein Tabu.

Das Pränatalzentrum von Paris. Hierher kommen Frauen, die nicht wollen, daß ihr Kind bei einem späten Abbruch lebend zur Welt kommt.

Rund 50 Frauen im Jahr kommen aus ganz Europa zu Professor Dumez, um diese sehr späten Abbrüche durchzuführen. Im Vergleich zu Deutschland gilt hier eine großzügige Regelung mit späten Abtreibungen von behinderten Kindern.

O-Ton

PROF. YVES DUMEZ Maternité Port Royal, Paris:

"Nein, das machen wir nicht gerne in den sechs Wochen vor dem Geburtstermin. Das ist ein ziemlich schreckliches Unterfangen, für die Frauen ist das sehr hart, im allgemeinen werden diese Unterbrechungen in der 28.-32. Woche, also im 8. Monat durchgeführt. Wenn absolute Notwendigkeit besteht, machen wir es auch später. Das passiert, aber sehr selten."

KOMMENTAR:

Dumez ist auf dem Weg zu einer Italienerin, die ein stark nervengeschädigtes Kind im Leib trägt, 8. Monat. Sie will die Abtreibung, sie will, daß das Kind auf jeden Fall tot geboren wird. Dumez wird das Kind im Mutterleib abtöten, damit das ungewollte Kind nicht lebend zur Welt kommt. Die Methode heißt Fetozid.

Auf Ultraschall das Herz des Fötus, es schlägt. Oben links die Wirbelsäule. Mit einer Nadel sticht der Arzt durch die Bauchdecke in die Fruchtblase. Auf Ultraschall kaum sichtbar schiebt sich die Nadel bis ins Herz.

Nach einer Betäubung wird eine Salzlösung gespritzt, das Herz verfärbt sich weiß, es hört auf zu schlagen. Die Nadel wird wieder herausgezogen, der Fötus ist tot. Einige Zeit später wird die Geburt des toten Kindes eingeleitet.

In Deutschland gibt es große ethische Bedenken bei dieser Methode. Nur Prof. Hackelöer gibt es öffentlich zu, in besonders schweren Ausnahmefällen den Fetozid durchzuführen.

O-Ton

PROF. HACKELÖER:

"Ich fühle mich persönlich schon belastet. Ich bin emotional berührt und muß auch, um es ganz offen zu sagen, ich hab durchaus weiche Knie - bei der Situation. Ich selber kann das durchstehen, weil für mich die Belastung der Frau das Ausschlaggebende ist und ich führe diesen Eingriff nicht durch um zu töten. Um das klar zu sagen. Sondern ich führe diesen Eingriff durch, um der Frau, der Mutter und dem beteiligten Ehepaar zu helfen."

O-Ton

EVA SCHINDELE Fachbuchautorin:

"Absolut ablehnen tue ich einen Schwangerschaftsabbruch der in einer Zeit stattfindet, wo einfach das Kind bereits ohne die Mutter leben kann. Ich finde, das ist Früheuthanasie."

KOMMENTAR:

Die Mitglieder der ehtischen Kommission in Hamburg-Barmbek müssen seit der Gesetzesänderung immer häufiger über solche Fetozid-Fälle entscheiden. Bisher stimmten sie nur zu, wenn das Kind ohnehin keine Überlebenschancen gehabt hätte. Gerade auf der Frühgeborenenstation gibt es große ethische Probleme.

O-Ton

EVELYN KATTNER Kinderärztin, Mietglied Ethikkommission.

"Ich denke, das ist das Problem, wenn man ein Kind hat, was überfahren wird und hinterher eine schwere Hirnschädigung behält, haben wir auch dann nicht das Recht diese Kinder umzubringen. Es ist sicher ein ganz schmaler Grad, das Ausmaß dessen, was der einzelne für akzeptabel hält. Ich fürchte mich ein bißchen davor, daß wir irgendwann zu so einer Grundhaltung kommen, da ist auch ein kleineres Übel, daß möchte' ich aber so nicht haben."

KOMMENTAR:

Diese Akte dokumentiert den Fall eines Wunschkindes. Die Frau war bereits im 7. Monat als die Diagnose für das lang ersehnte Kind kam: eine seltene Krankheit. Ein Teil des Kleinhirns würde fehlen, Anomalie auf dem 10. Chromosom, hieß es. Die Prognosen für das Kind: schwer geistig und körperlich behindert, aber lebensfähig. Die Eltern hatten sich für den Fetozid entschieden.

O-Ton

FRAU:

"Erstmal, weil ich es aus beruflichen Gründen kenne, wie solche Kinder leben und was sie durchleben müssen. Andersherum habe ich an meine Familie gedacht, die ja eigentlich noch sehr jung ist und äh mh, an unsere Zukunft eigentlich. Was wird kommen. Und daß man soviel Kraft aufbringen muß, um da durchzukommen. Wo ich mir gesagt habe: Ich weiß nicht, ob ich es überhaupt aufbringen kann."

KOMMENTAR:

Für beide beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Eine Odyssee durch Deutschland auf der Suche nach demjenigen, der den Fetozid durchführt. Auch die Ethikkommission in der Hamburger Klinik lehnte ihren Fall ab. Die Diagnose führt zur schwierigsten und einsamsten Entscheidung ihres Lebens.

O-Ton

FRAU:

"Also, ich finde es schrecklich, daß man einfach nur vor vollendete Tatsachen gestellt wird und es - keiner in der Lage ist, es einem eigentlich zu helfen.

KOMMENTAR:

Über Umwege fanden Sie eine Abtreibungsklinik in den USA, Kansas, die Klinik von Dr. George Tiller, Spezialist für Fetozid und späte Abtreibung.

O-Ton

DR. GEORGE TILLER:

"Wir haben einen über zwei Meter hohen Zaun rund um unseren Parkplatz um sie noch besser Belästigung zu schützen und wir überwachen unser Geländer mit Videokameras um ihre Sicherheit zu garantieren."

KOMMENTAR:

Bei einem Anschlag von militanten Lebensschützern kam der Partner von George Tiller ums Leben. Rund 15.000 Fetozide sollen hier schon durchgeführt worden sein. Die Frauen kommen aus der ganzen Welt, auch aus Deutschland. Im Vordergrund steht hier die psychische Not der Frau.

O-Ton

DR. GEORGE TILLER:

"Wo immer Sie herkommen, der Staat, die Stadt oder das Krankenhaus, die Situation hat sich dort so entwickelt, daß Sie die Frau, wahrscheinlich das Problem sind und der Fötus ist der Patient. Das ist Unsinn. In unserer Organisation haben wir die Grundsatzentscheidung gefällt, daß bei pränatalen Anomalien die Frau der Patient ist und der Fötus das Problem.

KOMMENTAR:

Was in der amerikanischen Klinik die Regel ist, ist hierzulande noch die große Ausnahme. Nach der Änderung des § 218 werden Prof. Hackelöer und seine Ethikkommission immer häufiger entscheiden müssen, wer bei einer schlechten Diagnose das Problem ist, die Frau oder der Fötus.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 12.09.1996 | 21:00 Uhr