Die Achse des Guten

von Jasmin Klofta
Martin J. Münch, Geschäftsführer der Münchener Gamma International GmbH. © Robert Haas Foto: Robert Haas

Martin J. Münch: In Überwachungstechnologie-Kreisen bekannt unter seinen Initialen: MJM.

Er selbst sieht sich auf der Seite der Guten. Doch im Internet gilt er als einer der Bösen: Martin Münch ist Entwickler von Spähsoftware. Der Deutsche soll sie an Unrechtsstaaten verkauft haben, die damit Ihre Opposition bespitzelten. Mit Journalisten des NDR und der "Süddeutschen Zeitung" hat er sich exklusiv zu einem Interview getroffen.

Martin Münch will zeigen, was die Spähsoftware Finspy kann. Er beugt sich über seinen Laptop und tippt "mjm" in das Feld für den Benutzernamen: für Martin Johannes Münch. Zuerst wählt er das Betriebssystem aus, das er angreifen will. Ein iPhone, ein Handy mit Googles Betriebssystem Android oder ein Desktop-PC mit Windows oder dem kostenlosen Betriebssystem Linux? Dann gibt er ein, über wie viele Server in verschiedenen Ländern der Trojaner Haken schlägt, bis auch technisch versierte Opfer nicht mehr nachvollziehen können, wer sie da eigentlich überwacht. Dann wählt er aus, wie fies der Trojaner werden soll, was er können darf: das Mikrofon als Wanze benutzen. Gespeicherte Dateien sichern. Mitlesen, welche Buchstaben der Angegriffene auf der Tastatur drückt. Den Bildschirm abfilmen. Skype mitschneiden. Oder die Webcam anschalten und sehen, wo der Rechner steht.

"Manche Leute sagen: 'Das mag ich nicht, das geht ins Privatleben, ihr überschreitet eine Grenze.' Aber die Tatsache, dass sie es nicht mögen, heißt nicht, dass wir etwas Illegales machen", sagt Münch. "Ich finde 'Deutschland sucht den Superstar' scheiße, deswegen ist es nicht illegal." Es ist Münchs krude Erklärung für ein heikles Geschäft. Denn ein paar Doppelklicks reichen, und jeder Anwender seiner Spähsoftware hat die totale Kontrolle über den Zielrechner.

Fragwürdiges Angebote an Folterstaaten

Münch steht seit 2011 in der Kritik. Während des arabischen Frühlings fanden ägyptische Demonstranten ein Angebot seiner Firma an die später gestürzte Regierung des Autokraten Hosni Mubarak. Es war ein Kostenvoranschlag für die Spähsoftware: Hardware, Training, 287.137 Euro. Münch sieht sich auf Seiten von internationaler Polizei und Ermittlungsbehörden - auf der Achse des Guten. Den Vorwurf, er unterstütze Diktaturen, um Oppositionelle zu bespitzeln, lokalisieren und foltern zu lassen, lässt er nicht gelten: Es gab nur ein Angebot, keine Lieferung. "Und Software foltert keine Leute", sagt Martin Münch. Die Software sammle nur Daten. Die ganze Aufregung? Münch kann sie nicht verstehen.

Alaa Shehabi ist ganz anderer Meinung, für sie ist Münch ein Verbrecher, einer, der mit seinem Produkt Polizei- und Folterstaaten hilft. Der Fall Shehabi zeigt, was die Regierung eines Schurkenstaates mit einem Produkt wie "Finfisher" anrichten kann. Shehabis einziges Vergehen: Sie kritisierte die Regierung ihres Landes. Die junge Frau ist in Bahrain geboren, einem kleinen Inselstaat am Persischen Golf, einem Königreich. Als der arabische Frühling vor zwei Jahren auch in sein Land schwappte und Shehabi mit Tausenden anderen Reformen forderten, rief der König die Armee aus Saudi-Arabien zur Hilfe. Fotos und Videos im Internet zeigen aufgeplatzte Körper, von Tränengas verätzte Augen und von Schrottkugeln durchlöcherte Leiber. Es sind die Bilder eines blutig niedergeschlagenen Protests.

Shehabi, die ihre schönen dunklen Haare unter einem Schleier verbirgt, traf sich mit Reportern. Sie erzählte ihnen von der Polizeigewalt, von den Verletzten, den Toten. Dabei war sie vorsichtig, achtete darauf, dass niemand sie beobachtete, schaltete während des Interviews ihr Handy aus. Trotzdem spürte die Polizei sie wenig später auf. Sie fragten sie, was sie den Journalisten erzählt habe, und warnten sie, so etwas nie wieder zu tun. Die Beamten ließen sie laufen, doch dann kam die erste E-Mail.

Im Betreff stand "torture report on Nabeel Rajab", im Anhang angebliche Fotos des gefolterten Rajabs. Er ist ein Freund Shehabis, ein Oppositioneller wie sie. Shehabi versuchte, das Dokument zu öffnen. Es ging nicht. Gut für sie: Denn im Anhang war ein Trojaner von Gamma versteckt. Shehabis Mails sollten mitgelesen, ihre Telefonate abgehört werden. Der Polizeistaat Bahrain hatte sie im Visier und Martin Münchs Software half offenbar dabei.

"Unterstützung von Menschenrechtsverletzungen"?

Für Andy Müller-Maguhn ist Gamma ein "Softwarewaffenlieferant". Müller-Maguhn war früher Sprecher der Hackervereinigung Chaos Computer Clubs. Er hat eine Website aufgesetzt, buggedplanet.info, das Wikipedia der Überwachungsbranche. Darin protokolliert er Unternehmensdaten, Presseberichte, verwickelte Personen. Der Verkauf der Gamma-Software ist in den Augen Müller-Mahuhns "aktive Unterstützung von Menschenrechtsverletzungen".

In Bahrain berichten zahlreiche Oppositionelle von ominösen E-Mails. Mal lockten sie ihre Opfer damit, dass der König zum Dialog bereit sei, mal mit vermeintlichen Folterfotos. Selbst im Ausland haben Exil-Bahreiner diesen Regierungs-Spam bekommen. Husain Abdulla etwa, der im US-Bundesstaat Alabama eine Tankstelle betreibt und in Washington Lobbyarbeit für Bahrains Opposition macht. Das Königshaus hat ihm deswegen die Staatsbürgerschaft entzogen, wollte ihn aber offenbar trotzdem überwachen. Per Mail bekam er den Trojaner "Finfisher" geschickt. Die bahrainische Regierung versuchte, auf US-Boden einen US-Bürger auszuspähen.

Gamma wirbt in einem Prospekt: "Wenn Finspy Mobile auf einem Handy installiert ist, kann es aus der Ferne überwacht werden, wo auch immer sich das Ziel in der Welt befindet." In der Gamma-Broschüre schwebt das Netz als dunkle, bedrohliche Wolke über der Weltkugel. Wenn Münch die Benutzung des Trojaners beschreibt, sagt er: "Unser Ziel sind einzelne Straftäter." Ein "mutmaßlich" benutzt er nicht, im Gespräch verwendet er die Worte "Kriminelle" und "Straftäter"“, als wären es Synonyme für "Verdächtige" und "Zielperson". Doch auf die Frage, ob auch Oppositionelle ausgespäht wurden, ob Bahrein ein Kunde von Gamma ist, sagt Münch nichts. Er sagt auch nicht, wer nicht sein Kunde ist. Alles ist ganz geheim.

So muss die Firma damit leben, dass Reporter ohne Grenzen und andere Menschenrechtsaktivisten diese Woche eine offizielle Beschwerde bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung einlegen. Jetzt muss das Bundeswirtschaftsministerium prüfen, ob es die Beschwerde annimmt. Dann könnte im Ministerium eine Mediation zwischen Gamma und den Aktivisten folgen. Die OECD-Auflagen sind freiwillig, die Menschenrechtsgruppen hätten gerne stärkere Kontrollen, wohin Gamma exportiert. Ob Gamma sich auf ein Treffen mit den Menschenrechtsaktivsten einlassen wird, will Münch auch nicht sagen. Nur soviel: "Ich bin weder Menschenrechtsexperte noch Exportexperte oder sonstiges. Wir haben ein technisches Produkt."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 07.12.2011 | 23:20 Uhr