Stand: 08.11.13 17:29 Uhr

75 Jahre Pogromnacht: "Arisierte" Firmen heute

von Johannes Jolmes, Christian Salewski
Der Historiker Götz Aly. © NDR/ARD

Der Historiker Götz Aly stellt fest, dass es sich bei den "Arisierungen" um Zwang und Gewalt handelte.

Welches Unternehmen blickt nicht gerne auf eine lange und erfolgreiche Unternehmensgeschichte voller Erfolge, neuer Umsatzrekorde und glamouröser Firmenfeiern zurück? Doch in der Vergangenheit vieler Unternehmen gibt es auch dunkle Seiten, etwa in der NS-Zeit. Nur die werden meist nicht ganz so gern erwähnt. Viele - einst von jüdischen Unternehmern gegründete Firmen wurden in den 1930er Jahren "arisiert", wie die Nazis den faktischen Raub durch "Reichsdeutsche" beschönigend nannten. Dieser "systematische Massenraubmord", wie der renommierte Historiker Götz Aly die "Arisierung" bezeichnet, fand ihren ersten Höhepunkt in den Pogromen gegen jüdische Unternehmen am 9. November 1938, vor nunmehr 75 Jahren. Die Bilder von damals sind bekannt, die Geschichte der Marken eher weniger.

Raubzug: Wie der Mittelstand die Juden ausplünderte
Viele bekannte Marken wurden von jüdischen Unternehmern geschaffen, die unter den Nazis faktisch enteignet wurden. Bis heute verschweigen viele Firmen diesen Teil ihrer Vergangenheit.

Bekannte Marken - ihren Besitzern gestohlen

"Arisierte" Marken.

Beispiele von Marken, deren heutige Besitzer die "Arisierung" auf ihren Homepages nicht thematisieren: Trix, Fromms, Camelia, Tempo, Felina, Hedwig Bollhagen.

Millionen Menschen greifen jedes Jahr zu Tempo-Taschentüchern, zu Camelia Binden und zu Fromms Kondomen. Tausende Kunden kaufen bei Leiser Schuhe, bei Thürmann Brötchen oder basteln an ihrer Trix Modelleisenbahn. Was die meisten nicht ahnen: Diese bekannten Marken wurden von jüdischen Unternehmern geschaffen, die von den Nazis verfolgt wurden. So auch Felina, ein Damenunterwäschehersteller aus Mannheim. Einst wurde das Unternehmen von Eugen Herbst gegründet. Die Nazis vertrieben den jüdischen Unternehmer und seine Familie. Die Herbsts flohen, versteckten sich in Rotterdam, retteten sich auf ein Schiff nach Kanada und mussten dort von vorne beginnen. Traumatisiert von der Nazi-Verfolgung, trauernd über Familienmitglieder, die in Auschwitz ermordet wurden.

Der große Profiteur: Richard Greiling

Daheim in Mannheim profitierte vor allem ein Mann von diesem Leid: Richard Greiling. Der Unternehmer "kaufte" die Firma von den Herbsts, zahlte dafür weniger als die Hälfte des damaligen Marktpreises. Bloß: Von dieser Geschichte erfährt der Besucher der Firmenhomepage nichts. Dort nur der beschönigende Hinweis: "Richard Greiling übernimmt das Unternehmen". Nachdem Panorama die Geschichte der Felina thematisiert und das Unternehmen wegen dieser Selbstdarstellung angefragt hatte, waren die Verantwortlichen offenbar aufgeschreckt. Kurze Zeit später wurde die Darstellung auf der Homepage angepasst. "Der Kaufmann Richard Greiling übernimmt das Unternehmen von der jüdischen Gründerfamilie Herbst, die 1936 unter dem zunehmendem Verfolgungsdruck das Land verlassen muss", lautet nun der Eintrag zum Jahr 1936. Zwar nur das Nötigste, aber immerhin etwas bewirkt, könnte man meinen.

Braune Flecken auf der Firmenhistorie

Wenn da nur nicht ein paar weitere dunkle, oder eher braune, Flecken auf der Felina-Geschichte wären. Denn Panorama hatte auch gefragt, warum Felina nichts zu den 79 Zwangsarbeitern schreibt, die für Greiling schufteten. Oder warum nicht erwähnt wird, dass man nachweislich im Ghetto in Lodz produzierte? Auf die letzte Frage gab die Felina-Leitung die schriftliche Antwort, die "Fertigung im Ghetto Lodz während des Zweiten Weltkriegs war uns als Schweizer Eigentümer bisher nicht bekannt". Und tatsächlich wechselte die Felina 1981 den Besitzer. "Eine Schweizer Investorengruppe", wie es auf der Firmenhomepage heißt, übernahm das Unternehmen von den Söhnen des Nazi-Profiteurs Richard Greiling. Handelt es sich also um reine Finanzinvestoren, die keine Verbindung zur Geschichte der Felina haben?

Wussten die neuen Eigentümer tatsächlich nichts?

Dagegen spricht, dass der bereits vor 1981 langjährige Felina-Geschäftsführer Werner Baumgarten noch bis 2006 Delegierter des Verwaltungsrats der Felina International AG war. Im Verwaltungsrat sitzen für gewöhnlich die Eigentümer eines Unternehmens. Baumgarten war nach eigener Auskunft seit dem Tod Manfred Greilings 1974 Geschäftsführer der Felina. Auf Panorama-Nachfrage sagt er, er habe gar als Testamentsvollstrecker für den Sohn Richard Greilings fungiert. 1981 habe er dann mit Freunden den Verkauf organisiert. An wen? "Das sollte ja gerade im Dunkeln bleiben", so Baumgarten.

Dazu passt, dass 1981, just zum Zeitpunkt des Verkaufs, eine Briefkastenfirma mit dem Namen Felina Finances S.E. im Handelsregister der Steueroase Panama auftaucht. Heute nennt die Wirtschaftsauskunft Creditreform den Schweizer Anwalt Hans-Ulrich Greutert als Eigentümer der Felina. Greutert war telefonisch nicht zu erreichen, aber das Handelsregister des Kantons Aargau weist ihn als heutigen Präsident des Verwaltungsrats der Felina aus. Dem dreiköpfigen Gremium gehörte er zuvor jahrelang gemeinsam mit Baumgarten an. Jenem Baumgarten, der nach eigener Auskunft über 50 Jahre im Unternehmen war und vor wie nach 1981 als Seele der Firma galt. Die ominöse "Schweizer Investorengruppe" ist also mit der Geschichte der Felina sehr viel enger verbunden, als die Firmenleitung in ihrer Antwort andeutet.

Wie schnell ist "zeitnah"?

In der Antwort auf die Panorama-Anfrage heißt es zudem, man wolle sich "zeitnah" mit der Historikerin Christiane Fritsche in Verbindung setzen. Fritsche hatte Anfang des Jahres ein Buch zur "Arisierung" in Mannheim veröffentlicht. Zeitnah? Panorama hat mit Christiane Fritsche gesprochen: Die Felina hat sich bis bislang nicht bei ihr gemeldet.

Geschichte einer "Arisierung": Felina Miederwaren

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 31.10.2013 | 21:45 Uhr