Stand: 23.06.17 10:00 Uhr

Patienten gegen Hersteller mangelhafter Kunsthüften

von Stefan Buchen

Vor einem Jahr hat Panorama über das Geschäftsgebaren des Medizinprodukteherstellers DePuy, einer britischen Tochter des US-Konzerns Johnson & Johnson, berichtet.  Es ging um zwei Modelle einer Hüftprothese aus Metall, die 2004 auf den Markt kamen. In Deutschland wurden sie bei mehr als 5.000 Patienten eingebaut, weltweit bei rund 100.000. Panorama hat nachgewiesen, dass der Hersteller schon frühzeitig, im Jahre 2006, klare Hinweise von operierenden Ärzten aus aller Welt bekam, die Probleme mit der Hüfte anzeigten. Die Chirurgen meldeten Schmerzen, lockere Hüftpfannen und abgeriebene Metallsplitter im Blut der Patienten. Die Komplikationen seien nicht durch ärztliche Fehler zu erklären. Die Reaktion der Firma auf die Bedenken: „Wir müssen das im Keim ersticken.“ Nach außen wollte man den Schein eines erfolgreichen innovativen Produkts wahren. Intern rechneten die Manager ab 2007 durch, ob sich eine Korrektur des Prothesendesigns lohnen würde. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die Ausarbeitung eines neuen Designs „betriebswirtschaftlich“ unvorteilhaft sei. Zu teuer! Also verkaufte DePuy die schädliche Metallhüfte noch bis 2010 und nahm sie dann „freiwillig“ vom Markt.

Profite aus der Hüfte
Panorama-Reporter Stefan Buchen zeichnet einen medizinischen Krimi nach, in dem Tausende Patienten Opfer eines Konzerns werden, der Profite offenbar über alles stellt.

Starke Belege

Panorama konnte starke Belege für die Geschichte präsentieren: firmeninterne Emails und Dokumente aus den Jahren 2005 bis 2008. Und nicht nur das: ein ehemaliger Berater des Herstellers, der renommierte orthopädische Chirurg Koen De Smet, äußerte sich im Interview vor der Kamera. Er habe die Metallhüfte geprüft und auch selbst bei Patienten eingebaut. Er habe festgestellt, dass die Maße von Kugel und Pfanne fehlerhaft konzipiert worden seien. Das Problem liege nicht in der mangelhaften Operationstechnik von Ärzten, sondern „im Produkt selbst“, sagte De Smet. Das habe er den Verantwortlichen von DePuy schon 2007 mitgeteilt. Anfang 2008 habe er die Firma ein letztes Mal aufgefordert, die Metallhüfte entweder zu verändern oder vom Markt zu nehmen. „Als sie darauf nicht eingingen, habe ich meinen Beratervertrag mit DePuy gekündigt,“ berichtete De Smet.

Nach unserem journalistischen Verständnis waren dies überzeugende Argumente für das Fehlverhalten der Firma. Das Landgericht Bonn sieht das ganz anders, wie Panorama jetzt erfuhr. Dort hat die Hüftpatientin Eva Tritschler die Firma DePuy auf Schadenersatz und Schmerzensgeld verklagt. Ihr wurde am 18.04.2008 eine Metallhüfte von DePuy eingesetzt. 2011 maßen Ärzte eine elf- bis zwölffache Erhöhung der Chromwerte und eine zwanzigfache Erhöhung der Kobaltwerte in ihrem Blut. "Ich habe eine Schwermetallvergiftung," sagte sie im Panorama-Interview. Die Patientin argumentierte, sie habe die DePuy-Prothese zu einem Zeitpunkt bekommen, als der Hersteller schon wusste, dass das Produkt fehlerhaft ist.

Klage abgewiesen

Das Landgericht Bonn wies die Klage ab. In der Begründung schreiben die Richter, die Fehlerhaftigkeit des Produkts sei nicht bewiesen worden. Die Klägerin hätte beweisen müssen, dass die Prothese nach Verkehrsauffassung im Jahre 2008 nicht die nötige Sicherheit bot, heißt es im Urteil.  „Dieser Beweis ist ihr nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme  nicht gelungen.“ Ein Sachverständiger aus Krefeld war vom Gericht über die DePuy-Prothese befragt worden. Der Gutachter hatte zwar bestätigt, dass bei überdurchschnittlich vielen Patienten mit einer DePuy-Hüfte erhöhte Metallionenkonzentrationen im Blut festgestellt würden. Er bewertete die Probleme allerdings nicht als „Produktfehler“. So kam das Gericht zu dem Schluss: „Die Klägerin kann kein Schmerzensgeld beanspruchen.“

Wie bereits in anderen Verfahren ist es DePuy in Bonn erneut gelungen, Zweifel an der Argumentation der Kläger zu säen. Metallionen im Blut seien nicht „beweisend für den Abrieb der Prothese.“ Man müsse bei Medizinprodukten zwischen „Fehler“ und „Fehlerverdacht“ unterscheiden. Es sei weiter von der „Fehlerfreiheit des Produkts“ auszugehen. Und: Hüftprothesen würden nun einmal nicht ewig halten.

"Unsubstantiierter Vorwurf"

Das Erstaunliche aus Sicht von Panorama: Eva Tritschler hat vor Gericht auf unsere Berichterstattung hingewiesen und ausgeführt, der Hersteller habe zum Zeitpunkt ihrer OP gewusst, dass die Prothese Komplikationen hervorruft. Dazu schreiben die Richter lapidar: „Der Vortrag der Klägerin zu einer frühzeitigen Kenntnis der Beklagten von einer etwaigen (zumal nicht bewiesenen) Fehlerhaftigkeit des Produkts ist unsubstantiiert. Von einer Vernehmung des angebotenen Zeugen Dr. Koen De Smet war vor diesem Hintergrund abzusehen.“

Wir haben noch einmal beim Landgericht nachgefragt. „Da die Klägerin nicht die Fehlerhaftigkeit der Hüftprothese im Sinne des Produkthaftungsgesetz beweisen konnte, konnte sie erst recht nicht die Kenntnis der Beklagten von einer solchen Fehlerhaftigkeit erfolgreich vortragen,“ antwortet ein Gerichtssprecher. Als könnte nur ein externer Sachverständiger die „Fehlerhaftigkeit“ feststellen, die Firma selbst jedoch nicht!

Unsubstantiiert! Mit anderen Worten: ist uns doch egal, was im Fernsehen läuft! Wir haben die internen DePuy-Unterlagen mit den entscheidenden Belegstellen zwar schon vor einem Jahr im Rahmen der Fernsehberichte veröffentlicht. Aber das Urteil des Bonner Landgerichts veranlasst uns, die wichtigsten Unterlagen in Gänze auf unserer Webseite der Allgemeinheit zugänglich zu machen.

Berufung wegen schwerer Versäumnisse

Eva Tritschler geht nun vor dem Oberlandesgericht Köln in die Berufung. In der Begründung wirft sie dem Landgericht schwere Versäumnisse vor. So stelle zum Beispiel die Nichtladung des Zeugen Koen De Smet einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör dar. Außer der neuen Gerichtsverhandlung steht der Patientin auch eine Revisions-OP bevor.

Das Unternehmen DePuy hat es in hunderten Verfahren in Deutschland bislang geschafft, eine Verurteilung zu Schadenersatz und Schmerzensgeld zu vermeiden. In den meisten Fällen verglich das Unternehmen sich mit den Geschädigten und zahlte im Rahmen der Vergleichsvereinbarungen recht geringe Summen: 10.000 Euro, mal etwas mehr, mal etwas weniger.

Fest steht, dass die Firma im Fall der Patientin Gabriele Lühmann, deren Fall ebenfalls Gegenstand der Panorama-Berichterstattung war, nicht ganz so billig davon kommen wird. Dem Vernehmen nach laufen die Vergleichsverhandlungen noch.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 26.05.2016 | 21:45 Uhr