Stand: 22.05.16 11:35 Uhr

Hausbrand in Duisburg: Welche Rolle spielte Wärmedämmung?

von Güven Purtul
Ralf Jäger vor einem dunklen Hintergrund © Innenministerium NRW, Pressestelle

Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger gab der nächtlichen Uhrzeit die Schuld an den Folgen der Brandkatastrophe.

Ein versehentlich umgeworfenes Teelicht löst einen verheerenden Wohnhausbrand aus, der wenige Minuten später eine Mutter und ihre Kindern das Leben kostet. Das katastrophale Feuer in Duisburg am Dienstagmorgen lässt auch NRW-Innenminister Ralf Jäger an den Ort des Geschehens eilen: „Das ist das Heimtückische an solchen Bränden, wenn sie in den frühen Morgenstunden ausbrechen und die Menschen im Schlaf davon überrascht werden“, sagt er sichtlich betroffen in die Kameras.

Blitzschnelle Brandausbreitung

Das eigentliche Problem scheint jedoch weniger die Uhrzeit gewesen zu sein als vielmehr die rasante Brandausbreitung, zu der offenbar die Wärmedämmung erheblich beigetragen hat. Denn das Feuer brach im Erdgeschoss aus und lief an der gedämmten Fassade offenbar blitzschnell über vier Stockwerke bis ins Dachgeschoss, wo die Familie schlief.

Vieles spricht dafür, dass in Duisburg eine Wärmedämmung aus Polystyrol gebrannt hat, auch bekannt als Styropor. Obwohl brennbar, ist das Erdölderivat Deutschlands meist verwendeter Fassadendämmstoff. Er ist billiger als andere, nicht brennbare Materialien. Möglich ist der Einsatz aufgrund der behördlichen Einstufung als "schwerentflammbar".

Brand ähnelt NDR Versuch von 2011 

Ausgebrannter Dachstuhl eines Wohnhauses in Duisburg. Bei dem Brand starben vier Menschen. © dpa / picture-alliance Foto: Maja Hitij

Drei Menschen starben in diesem Duisburger Dachstuhl.

Der Brand in Duisburg ähnelt fatal einem Großversuch, den das NDR Magazin 45 Min 2011 in Auftrag gegeben hatte. Um das Etikett „schwerentflammbar“ zu erhalten, muss ein Wärmedämmverbundsystem (WDVS) einen Zulassungstest durchlaufen, einen Brandversuch im Originalmaßstab. Dabei stellen die Prüfer einen Zimmerbrand nach, bei dem die Flammen aus dem Fenster schlagen und die Dämmung erhitzen. Kurioserweise werden die Tests von den Herstellern der Dämmsysteme selbst beauftragt und bezahlt. Die Zulassungsbehörde, das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt), sieht darin kein Problem.

Der Autor dieser Zeilen hatte sich 2011 über Monate vergeblich bemüht, bei einem Zulassungsversuch zu drehen. Schließlich beauftragte 45 Min einen eigenen Brandversuch bei der Materialprüfanstalt (MPA) in Braunschweig. Der Versuchsaufbau lehnte sich an die offiziellen Tests an. Mindestens 20 Minuten sollte die schützende Putzschicht den Flammen standhalten, doch im Versuch für den NDR dauerte es nur acht Minuten bis die Dämmung im Vollbrand stand.

Nicht aussagekräftig? 

Das DIBt sprach dem NDR-Versuch die Aussagekraft ab, da dieser nicht exakt den "für Zulassungsprüfungen geforderten Aufbau" gehabt habe. Durch die "schachtförmige Versuchsanordnung" sei die "thermische Exposition des WDV-Systems deutlich erhöht" worden, so dass diese "nicht mehr einer Brandbeanspruchung unter Realbrandbedingungen" entsprochen habe.

Allerdings werden WDVS in der Realität sogar in engen Lichtschächten eingebaut, eine dahingehende Einschränkung enthalten die Zulassungen nicht. Die Bilder aus Duisburg zeigen, dass es an einem leicht zurückgesetzten Fassadenabschnitt brannte. Vielleicht habe der „Kamineffekt“ die schnelle Ausbreitung des Feuers nach oben begünstigt, mutmaßte ein Feuerwehrmann gegenüber einer TV-Reporterin vor Ort. Bewahrheitet sich das, wäre die oberste Zulassungsbehörde für das Bauwesen böse von der Realität eingeholt worden. Und natürlich stellt sich die Frage, wie aussagekräftig die bisherigen Zulassungsversuche sind.

Genaue Ursache in Duisburg ist noch unklar 

Welches Material in Duisburg tatsächlich gebrannt hat, ist noch offen. Vor laufenden Kameras sprachen Feuerwehrleute nur von einer "Wärmedämmung". Am Telefon wird man konkreter, möchte sich aber keinesfalls zitieren lassen und verweist auf die Pressestelle der Stadt. Die behauptet, "Informationen zur Wärmedämmung" lägen "nicht vor". Einen Maulkorb gebe es nicht. Auch die Pressestelle der Staatsanwaltschaft will die Frage nach dem Dämmstoff "derzeit nicht beantworten". Man könne sich ja "in einigen Wochen noch mal melden".

Gehen die Interessen der Industrie vor Brandschutz?

Vielleicht fürchten die Behörden die Diskussion um brennbare Wärmedämmung, weil dann auch Fördermaßnahmen der öffentlichen Hand thematisiert werden könnten. Dank Milliarden aus Steuermitteln klebt Polystyrol inzwischen auf Millionen Hausfassaden - für die Industrie ein Bombengeschäft.

Das brummt noch immer, obwohl inzwischen die Brandschutzanforderungen für WDVS aus Polystyrol verschärft wurden. Brandversuche einer Arbeitsgruppe der Bauminister mit Beteiligung der Feuerwehr hatten ein Risiko bei Außenbrandszenarien, wie etwa einem Mülltonnenbrand, bestätigt. Neue Brandriegel im Sockelbereich sollen mehr Sicherheit bringen, jedoch nur beim Neubau. Bewohner in bereits gedämmten Gebäuden müssen mit dem höheren Risiko leben. 

"Explosionsartige" Brandausbreitung

So wie in Duisburg, wo ein für die Feuerwehr eigentlich beherrschbares Szenario in einer Katastrophe endete: Bei einem Zimmerbrand platzen schon mal die Fenster, sodass Flammen rausschlagen. Auch mit einem Brandüberschlag ins nächste Geschoss rechnen die Einsatzkräfte. Spätestens dann haben sie die Situation meist im Griff. Jedenfalls, wenn es sich um eine massive, nicht brennbare Außenwandhandelt.

Ganz anders kann das bei Bränden an Styropor-gedämmten Fassaden ablaufen. Eine Liste der Frankfurter Feuerwehr verzeichnet über 80 Fassadenbrände. Die Schilderungen von Feuerwehrleuten ähneln sich: Viele berichten von einer "sehr schnellen" oder gar "explosionsartigen" Ausbreitung der Flammen über die gesamte Höhe der Fassade und vergeblichen Löschversuchen.

 "Da hat die Feuerwehr nix mehr zu machen"

Branddirektor Peter Bachmeier aus München hat mal nachgerechnet: "Stellen Sie sich vor, es brennt eine Mülllagerung und die Flammen erwärmen nur eine Fassadenfläche von fünf auf zehn Metern, bei einer Dämmschichtdicke von 25 Zentimetern. Dann laufen in diesen brennenden Unrat 220 Liter Heizöl. Das muss man sich vorstellen: Da brennt es und jemand schüttet 220 Liter Heizöl rein. Da hat die Feuerwehr nix mehr zu machen. Bis die Feuerwehr kommt, steht das Gebäude im Vollbrand.“

Den Einsatzkräften bleibt dann oft nur noch die Möglichkeit, die durch giftige Rauchgase im Treppenhaus eingeschlossenen Bewohner über Drehleitern zu retten. Für die Familie im Dachgeschoss des Duisburger Wohnhauses kam diese Hilfe zu spät.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 05.07.2012 | 22:30 Uhr