Stand: 17.01.19 10:49 Uhr

Bundesregierung überwacht Aktienhandel nicht auf verdächtige Geschäfte

von Christian Salewski & Karsten Polke-Majewski
Das Logo der Cum-Ex-Recherche von correctiv.org. © correctiv.org

Der Staat hat durch Tricks von Banken und Maklern Milliarden von Euros verloren.

Drei Monate, nachdem der größte Steuerraub in Europa öffentlich geworden ist, gesteht die Bundesregierung nun zum ersten Mal ein, dass sie europäische Partnerländer erst Jahre später über Cum-Ex-Geschäfte in Deutschland informiert hat. Obwohl das Bundesfinanzministerium schon seit 2002 von dieser Praxis wusste und bereits 2009 erste Versuche unternahm, dagegen vorzugehen, berichtete man erst 2015 den Partnern von dem Betrug. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktionen der Grünen und der Linken im Bundestag hervor, die ZEIT ONLINE und Panorama vorliegt.

Unter der Leitung des Recherchezentrums CORRECTIV hatten im Oktober 2018 ZEIT ONLINE, DIE ZEIT, Panorama und weitere Medien im Rahmen der CumEx-Files berichtet, dass Betrüger mit steuergetriebenen Aktiengeschäften mindestens 55,2 Milliarden Euro aus den Steuerkassen Deutschlands und denen von mindestens zehn weiteren europäischen Länder geraubt hatten. Sie waren als Cum-Cum- und Cum-Ex-Geschäfte bekannt geworden. Cum-Cum-Deals dienen dazu, eine Steuererstattung zu ergattern, die einem eigentlich nicht zusteht. Bei Cum-Ex werden Steuern doppelt, manchmal sogar noch häufiger zurückerstattet, die nur einmal bezahlt wurden.

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Längst geplündert

Cum-Cum-Geschäfte wurden in Deutschland, Frankreich oder Italien schon seit den 1990er-Jahren getätigt. Cum-Ex-Geschäfte gab es spätestens seit 2001 in Deutschland, seit 2006 in der Schweiz und seit 2012 in Dänemark. Als die Deutschen ihre Nachbarländer warnten, war es für diese daher viel zu spät, ihre Steuerkassen waren längst geplündert worden.

Cum-Cum-Geschäfte haben unter anderem in Frankreich, Italien und den Niederlanden massive Schäden verursacht. Im Kern funktioniert diese Methode so: Inländischen Aktionäre können sich Steuern erstatten lassen, die auf Dividenden anfallen. Ausländische Aktionäre können das nicht. Daraus haben inländische Banken ein Geschäft gemacht. Sie kaufen die Aktien ausländischer Kunden kurz vor Auszahlung der Dividende, kassieren die Steuererstattung und verkaufen die Aktien danach sofort zurück. Die so ermogelte Steuererstattung wird aufgeteilt, der Staat wird ärmer. Die allermeisten am Markt angebotenen Modelle betrachten Fachleute als solchen Steuergestaltungsmissbrauch.

"Neue Kultur des Informationsaustauschs"

Fabio de Masi, Finanzfachmann der Bundestagsfraktion der Linken und einer der Fragesteller, fordert deshalb: "Wir müssen dringend zu einer neuen Kultur des Informationsaustauschs zwischen den Finanzbehörden kommen, innerhalb Deutschlands genauso wie zwischen den europäischen Partnern."

Der Spitzenkandidat der Linken in Hamburg, Fabio De Masi, spricht auf einer Bühne in der Hansestadt. © dpa-Bildfunk Foto: Daniel Reinhardt

Fabio De Masi, Finanzpolitischer Sprecher der Linkspartei, kritisiert den Informationsaustuasch zwischen den Finanzbehörden.

Die Finanzbehörden könnten Hinweise auf solche illegalen Deals aus der Beobachtung des Marktverhaltens gewinnen. Denn überdurchschnittlich starke Ausschläge bei Aktienkäufen und -verkäufen können darauf hinweisen, ob und in welchem Umfang solche Geschäfte zu Lasten der Steuerzahler ablaufen.

Doch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sucht nicht systematisch nach solchen Auffälligkeiten. Auch das geht aus der Antwort der Bundesregierung hervor. Die entsprechenden Transaktionsdaten würden von der Bafin nicht ausgewertet: "Derzeit wäre die BaFin weder technisch noch personell dazu in der Lage, eine solche systematische Auswertung der vorliegenden Transaktionsdaten durchzuführen."

Keine Erkenntnisse

2012 wurden klassische Cum-Ex-Geschäfte in Deutschland verboten. 2016 wurden dann Regeln eingeführt, mit denen auch Cum-Cum-Geschäfte unterbunden werden sollen. Experten wie der Mannheimer Steuerprofessor Christoph Spengel gehen jedoch davon aus, dass Cum-Cum-Gestaltungen weiter möglich sind. Die Bundesregierung widerspricht dieser Annahme. Sie sieht in den neuen Regeln ein "wirkungsvolles Instrument zur Verhinderung von Cum-Cum-Gestaltungen", schreibt sie. Allerdings überprüft das Bundesfinanzministerium nicht, ob diese Geschäfte tatsächlich verhindert werden. In ihrer Antwort schreibt die Bundesregierung: "Zum Aufgriff von Cum-Cum-Fallgestaltungen durch die Steuerbehörden des Bundes und der Länder liegen derzeit keine Erkenntnisse vor." Sie hat ihre europäischen Partner bis 2018 auch nicht über Cum-Cum-Geschäfte informiert.

Gerhard Schick, bis Dezember Finanzexperte der Grünen-Bundestagsfraktion und Gründer der Bürgerbewegung Finanzwende, hält das für besorgniserregend. "Die Bundesregierung geht offenbar davon aus, dass das Cum-Cum-Verbot wirkt. Aber offensichtlich wird gar nicht überprüft, ob das wirklich so ist." Dabei gehe es bei Cum-Cum um noch wesentlich mehr Geld als bei Cum-Ex.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 03.11.2016 | 21:45 Uhr