Stand: 18.08.17 12:31 Uhr

Bundesregierung: Keine Neonazis bei G20-Krawallen beteiligt

von Julian Feldmann
Zwei Randalierer stehen im Schanzenviertel vor einer brennenden Barrikade. © dpa

Im Zweifelsfall keine Neonazis: Zwei Randalierer im Hamburger Schanzenviertel.

Nach Ansicht der Bundesregierung haben Neonazis sich nicht maßgeblich an den Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel in Hamburg beteiligt. Das geht aus der Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Partei Die Linke hervor, die Panorama vorliegt. Damit bestreiten nun auch höchste staatliche Stellen die Darstellung zahlreicher Medien, wonach sich organisierte Rechtsextremisten an den Krawallen beteiligt hätten.

Der Bundesregierung liegen demnach weder Erkenntnisse über die "organisierte Teilnahme" von Neonazis an den Protesten gegen den G20-Gipfel Anfang Juli vor - noch seien Rechtsextremisten bei den Krawallen im Schanzenviertel festgestellt worden. Auch Hooligan-Gruppen waren demnach nicht beteiligt. Diese Antwort deckt sich mit Recherchen von anderer Seite. Panorama hatte im Juli über den "Mythos Nazi-Randalierer" berichtet.

Viele Medien übernehmen Behauptungen ungeprüft

Zuvor hatten viele Medien ungeprüft Gerüchte über eine angebliche Beteiligung von Rechtsextremisten verbreitet. In einem SWR-Interview hatte der Fotograf Andreas Scheffel behauptet, mehr als 70 organisierte Rechtsextremisten bei den Ausschreitungen im Hamburger Schanzenviertel identifiziert zu haben. Organisierte Neonazis aus verschiedenen Bundesländern hätte er bei den Straßenschlachten zuordnen können. Belege hat Scheffel bis heute nicht vorgelegt. Doch auf der Suche nach den Gründen für die schweren Krawalle passte es vielen offenbar gut, dass nicht nur Autonome und Krawalltouristen verantwortlich sein könnten.

G20-Gewalt: Wer sind die Täter?
Linksextremisten, Demonstranten, Schaulustige, Anwohner - und die Polizei: Panorama hat sich auf Spurensuche begeben und versucht, mit allen Beteiligten zu sprechen.

Neonazis bekommen Bühne für dubiose Selbstbezichtigungen

Wenig später vermeldete das Online-Portal "Thüringen 24" "exklusiv", dass Neonazis die Beteiligung an den Protesten eingeräumt hätten. Dabei wollten sich die Neonazi-Aktivisten des "Antikapitalistischen Kollektivs“ (AKK) offensichtlich bloß wichtigmachen, als sie dem Portal gegenüber die Teilnahme "mehrerer Gruppen" an den Protesten angaben. "Dokumentiert" hat die weitgehend unbekannte Splittergruppe ihre vermeintliche Teilnahme allerdings nur anhand von Propaganda-Material, das offenbar im Hamburger Stadtgebiet angebracht wurde. Anders als bei früheren Aktionen liegen dagegen keine Fotos und Videos vor, die die Neonazis bei der aktiven Teilnahme an Protesten zeigen würden.

Für die "Bild" war trotzdem klar: "Neonazis mischten bei G20-Krawallen mit". "Von wegen nur Linke: Neonazis haben sich unter G20-Demonstranten gemischt", vermeldete die "Funke-Mediengruppe". Selbst die "Kronen-Zeitung" aus Österreich verbreitete die Mär von den randalierenden Rechten: "Gerüchte bestätigt: Neonazis beteiligten sich an G20-Krawallen". Dass einzelne Neonazis sich auch an der Randale beteiligten, ist zwar durchaus möglich, die Anwesenheit größerer oder organisierter Gruppen dagegen scheint mittlerweile so gut wie ausgeschlossen.

Polizei fasst drei Randalierer mit rechter Vorgeschichte

Die Polizei nahm während des gesamten G20-Einsatzes drei Einzelpersonen fest beziehungsweise in Gewahrsam, die den Behörden als politisch rechts motivierte Straftäter bekannt sind. Was den drei vorgeworfen wird, ist nicht bekannt, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf die Linken-Anfrage. Zudem kontrollierte die Polizei zehn Anhänger der rechtsextremen "Hooligans gegen Salafisten" auf dem Hamburger Kiez - allerdings erst am Sonnabend - lange nachdem die großen Krawalle in der Schanze vorbei waren.

Linken-Innenexpertin Jelpke spricht von "Legende"

Die Innenexpertin der Linken, Ulla Jelpke, schließt trotz der Antwort der Bundesregierung nicht aus, "dass während der gewalttätigen Auseinandersetzungen beim G20-Gipfel auch einige rechtsgerichtete Personen insbesondere aus der Hooligan-Szene mitgemischt haben". "Eine stärkere Beteiligung von organisierten Neonazis halte ich allerdings für eine Legende", sagt Jelpke.

Lediglich eine Demonstration von Rechtsextremen habe es zu G20 gegeben: Vier Neonazis hatten sich eine Woche vor dem Gipfel im niedersächsischen Heidenau (Kreis Harburg) versammelt. "Insgesamt fand in der rechtsextremistischen Szene selbst keine nennenswerte Befassung mit dem G20-Gipfel und der sich daran entzündenden Globalisierungskritik statt", resümiert die Bundesregierung.

Ergänzung März 2018:

Vier Personen, die in der Vergangenheit mit rechtsextremen Straftaten aufgefallen sein sollen, wurden im Rahmen des G20-Einsatzes von der Polizei festgestellt, teilte der Hamburger Senat im Januar 2018 auf Anfrage der Linken mit. Panorama ist diesen vier Fällen nachgegangen und konnte keine Hinweise dafür finden, dass die Taten in einem rechtsextremen Zusammenhang stehen.
Einer der angeblich rechtsmotivierten Täter war mit einer Sturmhaube auf dem Weg zu einer Demonstration gegen den G20-Gipfel am 8. Juli aufgegriffen worden. Der Mann aus Eutin in Schleswig-Holstein muss deswegen eine Geldstrafe zahlen. Ein anderer Mann, der von der Polizei als rechtsmotivierter Straftäter geführt wird, muss für drei Jahre und sechs Monate in Haft. In erster Instanz wurde der vorbestrafte Gewalttäter im Dezember schuldig gesprochen, bei der "Welcome to Hell"-Demonstration am 7. Juli mehrere Flaschen auf Wasserwerfer und Polizisten geworfen zu haben. In einem anderen Fall wird gegen einen Mann wegen Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung ermittelt, es wurde jedoch noch keine Anklage erhoben. Gegen den vierten mutmaßlichen Rechtsextremisten ermittelt die Sonderkommission Schwarzer Block wegen Sachbeschädigung.
Laut Staatsanwaltschaft Hamburg deutet bei den drei dort bekannten Verfahren nichts auf eine rechte Motivation der Täter hin. Die Erkenntnisse der Polizei zu "politisch-motivierter Kriminalität rechts", die bei den vier Personen vorliegen, müssen sich nicht auf Verurteilungen beziehen. Bereits der Verdacht kann für einen entsprechenden Aktenvermerk ausreichen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 17.08.2017 | 21:45 Uhr